Die große Ernte
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Und Jesus zog umher in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen.

Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren geängstet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.

Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.

 

Klar ist nur so viel, liebe Gemeinde: Es ist Landwirtschaft. Aber was genau: Viehzucht oder Ackerbau? Da ist einerseits der Hirt, der lateinisch Pastor heißt, der die verstreuten Schafe sammeln soll und den wir heute einführen, damit er die französischsprachigen Schafe sammelt, die in der großen Stadt zerstreut sind. Also Viehzucht.

Und da ist andererseits die Ernste, die groß ist. Heute werden auch einige Erntearbeiter und Erntearbeiterinnen eingeführt. Also Ackerbau.

Was macht die Kirche eigentlich: Viehzucht oder Ackerbau?

Ich will beim Ackerbau bleiben, beim Bild von der Ernte. Nicht, weil zur Arbeit eines Pastors nichts mehr zu sagen wäre, sondern weil mir das Bild von der Ernte treffender zu sein scheint für das, was wir in der Kirche machen.

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Die Ernte ist groß. Das überrascht. Der Eindruck ist doch eher, dass alles immer dürrer, magerer, kleiner wird. Immer weniger Menschen in der Kirche, immer weniger machen mit, immer weniger erwarten überhaupt noch etwas von uns. Die Ernte ist groß. Echt jetzt?

Vielleicht arbeiten wir auf den falschen Feldern. Die Kirchenäcker sind mager, das stimmt. Aber in der Welt ist die Ernte groß. Gott, liebe Gemeinde, wirkt nicht nur in der Kirche. Gott wirkt auch und vor allem in der Welt, auf den Feldern, wo sein Name nicht genannt wird, wo sein Name vielleicht gar nicht gekannt wird.

Wir sind nicht gut beraten, wenn wir immer nur auf unseren eigenen Laden, auf den eigenen Acker, auf unsre Gemeinde, auf unsere Kirche, schauen. Wir sind nicht gut beraten, wenn wir meinen, bei uns in der Kirche müsse das Reich Gottes wachsen. Es wächst außerhalb der Kirche. Und das ist eine gute Nachricht.

Gott ist da, Gott wirkt, Gott lässt das Gute in der Welt wachsen. Das ist so. Man muss es nur entdecken. Das Leben wird sicherer, gesünder, glücklicher, reichhaltiger, angenehmer. Das Zusammenleben wird friedlicher und gerechter, die Energiegewinnung, das Arbeiten, das Reisen sauberer. Der Wohlstand wächst.

Das ist so, obwohl es oft nicht so scheint. Wir haben beim Blick in die Zeitung, ins Internet, ins Fernsehen einen anderen Eindruck. Das könnte aber daran liegen, dass die Medien immer sensibler und globale jede Irritation registrieren. Das Schlimme und die Bedrohungen werden heute leichter entdeckt und öffentlich gemacht als früher. Und auch das ist eine gute Nachricht. Das vermittelt aber den Eindruck, als sei es auch schlimmer.

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Die Ernte ist groß. Der Arbeiter sind wenige. Aber es ist nicht unser Feld, es ist Gottes Feld. Nicht wir säen das Gute, Gott sät den guten Samen. Nicht wir lassen wachsen. Gott lässt wachsen.

Und was ist dann die Aufgabe von uns wenigen in der Kirche? Braucht Gott uns überhaupt noch? Wir schauen zu. Aber wir sind keine stummen Zuschauer, sondern wir sagen, was wir sehen und sagen, was es bedeutet. Wir sagen, dass die Welt nicht gottverlassen ist. Wir sagen es gegen allen Augenschein. Wir sagen es einer Welt, die oft nur die Dornen und die Disteln sieht, aber nicht die guten Keime der Saat Gottes. Die Keime der Versöhnung, der Gerechtigkeit, der Solidarität, der Hoffnung. All das gibt es. Es ist unsere Aufgabe als Kirche, es zu entdecken und Gott dafür zu loben. Die Welt bringt viel gute Frucht. Gott sei Dank.

Amen.