Von Geldern und Talenten
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Es ist wie mit einem, der seine Knechte rief, bevor er außer Landes ging, und ihnen sein Vermögen anvertraute; und dem einen gab er fünf Talent, dem andern zwei, dem dritten eines, jedem nach seinen Fähigkeiten, und er ging außer Landes. Sogleich machte sich der, der die fünf Talent erhalten hatte, auf, handelte damit und gewann fünf dazu, ebenso gewann der, der die zwei hatte, zwei dazu. Der aber, der das eine erhalten hatte, ging hin, grub ein Loch und verbarg das Geld seines Herrn. Nach langer Zeit aber kommt der Herr jener Knechte und rechnet mit ihnen ab. Und der, der die fünf Talent erhalten hatte, trat vor und brachte fünf weitere Talent und sagte: Herr, fünf Talent hast du mir anvertraut; fünf Talent habe ich dazugewonnen. Da sagte sein Herr zu ihm: Recht so, du bist ein guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles will ich dich setzen. Geh ein in die Freude deines Herrn! Da trat auch der mit den zwei Talent vor und sagte: Herr, zwei Talent hast du mir anvertraut; zwei Talent habe ich dazugewonnen. Da sagte sein Herr zu ihm: Recht so, du bist ein guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles will ich dich setzen. Geh ein in die Freude deines Herrn! Da kam auch der, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste von dir, dass du ein harter Mensch bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und du sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast, und weil ich mich fürchtete, ging ich hin und verbarg dein Talent in der Erde; da hast du das Deine. Da antwortete ihm sein Herr: Du böser und fauler Knecht! Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? Dann hättest du mein Geld den Wechslern bringen sollen, und ich hätte bei meiner Rückkehr das Meine mit Zinsen zurückerhalten. Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talent hat. Denn jedem, der hat, wird gegeben werden, und er wird haben im Überfluss; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen werden, was er hat. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneklappern sein.

Wo verstecken Sie ihr Erspartes? Etwa auf der Bank?

Angeblich – so sagt es die Untersuchung einer Versicherung – verstecken fast die Hälfte aller Bundesbürger Bargeld zu Hause. Man hat sogar die Beliebtheit der Verstecke herausgefunden. 4% haben ihr Geld im Schuhschrank, 5% in der Spardose und 7% im Spülkasten der Toilette. 10% verstecken das Ersparte unter der Matratze, 11% im Kleiderschrank; 22% unter dem Sofapolster. Spitzenreiter unter den Geldverstecken, wer hätte das gedacht, ist der Kühlschrank: 24% der Deutschen deponieren ihr Geld dort.

Doch neuerdings hilft kein Verstecken mehr. Ohne einzubrechen stiehlt eine Räuberin unser Geld: die Inflation.

Fast die Hälfte also verstecken Geld zu Hause, aus Misstrauen oder Ängstlichkeit, im Kühlschrank oder im Klo. Es werden auch welche dabei sein, die es im Garten vergraben haben, wie der dritte Angestellte im Gleichnis, das Jesus erzählt.

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Ein Gleichnis vom Himmelreich als Geschichte von Kapitalisten. Das ist schon erstaunlich. Gelobt werden die Geldvermehrer, getadelt wird der Ängstliche. Die Geschichte hat wenig übrig für Mitgefühl und Solidarität. Das Himmelreich stellt man sich eigentlich anders vor.

Es geht aber wahrscheinlich gar nicht ums Geld. Ein Wort aus diesem Gleichnis weist den Weg: das Talent. Im Text bezeichnet tálanton noch eine Gewichts- oder eher eine Währungseinheit – fünf, zwei oder ein tálanton werden den Sklaven anvertraut. Über das Lateinische und Französische hat das Wort als Fremdwort Eingang in unsere Sprache gefunden. Es bezeichnet jetzt eine besondere Gabe. Der Bedeutungswandel des Wortes markiert den Weg zur Deutung des Gleichnisses. Der reiche Herr vertraut seinen Sklaven oder Angestellten eine – allerdings unterschiedlich hohe – Summe Geldes an, meint: Gott gibt uns Gaben – allerdings im unterschiedlichen Maße. Aus denen sollen wir was machen.

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Mach was aus deinen Gaben! Gott hat jedem etwas mitgegeben. Jeder hat zu irgendwas ein Talent. Viele machen etwas daraus. Doch nicht alle. Da gibt es die einen, die aus lauter Ängstlichkeit nichts machen. Aus Angst, etwas falsch zu machen, machen sie gar nichts. Aus Angst, falsche Entscheidungen zu treffen, treffen sie keine Entscheidung. Aus Angst, für ihre Meinung kritisiert zu werden, äußern sie nie ihre Meinung.

Und dann gibt es die, die aus Bequemlichkeit ihr Talent nicht für andere einsetzen. Die keine Verantwortung übernehmen wollen. Die lieber ihr privates Glück suchen. Warum soll ich mir das antun? Das macht mir ein wenig Sorge. Die Ängstlichen gab es wahrscheinlich immer und wird es immer geben. Aber die Bequemlichkeitsprivatiers, die scheinen zuzunehmen. Immer schwieriger wird es, verantwortungsvolle Positionen zu besetzen. Schulleiterinnen werden gesucht, Bürgermeister und Ortsvorsteherinnern, auch Politiker. Nicht nur mangelnde Wahlbeteiligung trocknet eine Demokratie aus, sondern auch mangelnde Bereitschaft, sich wählen zu lassen. Warum soll ich mir das antun? Die persönliche work-life-balance scheint wichtiger als gesellschaftliche Verantwortung.

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Was hilft gegen die Ängstlichkeit? Und was hilft gegen die Bequemlichkeit?

Gegen die Ängstlichkeit hilft, dass du dir klarmachst: Gott verlangt nicht mehr von dir, als du geben kannst. Denn oft sind es die anderen, oft bist du es auch selber, der dich überfordert, aber nicht Gott. Gott überfordert dich nicht. Deshalb musst du dich selber auch nicht überfordern. Und Angst vor Fehlern musst du auch nicht haben. Gott verzeiht. Denk an Christus, denk an das Kreuz, um dich zu versichern, dass die Fehler, die du machst, längst vergeben sind. Christus trägt die Sünd der ganzen Welt. Also auch deine. Nicht Fehler ärgern Gott, sondern völlige Untätigkeit. Gott hat eine hohe Fehlertoleranz, aber keine Wegducktoleranz.

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Und was hilft gegen die Bequemlichkeit? Der gute Lohn. Das meint aber nicht das Geld. Der Lohn, den du erwarten kannst, wenn du deine Talente für andere einsetzt, ist das Feed-back. Da kommt nämlich was zurück. Etwas, das viel besser ist als Geld. Etwas, das du nicht im Klokasten oder im Kühlschrank verstecken musst. Ein Dank, ein Lob, eine Anerkennung, eine Freundschaft, in einigen Fällen sogar Liebe.

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Gott hat jedem zu irgendetwas Talent gegeben. Von keinem verlangt er zu viel. Viel verlangt er von denen, denen er viel Talent gegeben hat. Und von denen, denen er wenig gegeben hat, von denen verlangt er auch nur wenig. Doch ganz verstecken darf sich keiner. Ein Talent hat jeder.

Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. (Mt 5,16)

Amen.