Gottesreichsautomatik
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Die Wahrheit hängt an den Bäumen und sprießt auf den Feldern. Eine der Wahrheiten, die auf den Feldern sprießt, ist die mit dem Reich Gottes. Und die geht so:

Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn einer Samen aufs Land wirft; er schläft und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same geht auf und wächst, er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. (Mk 4,26-28)

Ich mag es, wenn es von selbst läuft. Mein Kaffeeautomat: Ich tippe auf den Taster, ein Krächzen, ein Schlürfen, ein Gurgeln, und schon ist der duftendste Kaffee in der Tasse. Schon vor 20 Jahren habe ich Trecker gesehen, die ihre Runden von ganz allein übers Feld ziehen, also selbstfahrend. GPS-gesteuert. Auch das selbstfahrende Auto wird kommen, es ist fast einsatzbereit. Auf dem Feld gibt’s nicht so viel Gegenverkehr wie auf den Straßen und keine unberechenbaren Radfahrer, deswegen ging das mit den Treckerautomaten schneller als mit dem Autoautomaten.

Wird auch der Mensch zum Automaten? Das wünsche ich mir manchmal. Statt, dass ich einen anderen mühsam davon überzeugen muss, etwas zu tun - ein Knopfdruck, ein Krächzen, ein Schlürfen, ein Gurgeln, und schon ist die Küche aufgeräumt. 

Es gibt Hoffnung. Letzten Sonntag hat eine von Elon Musks Firmen einem Gelähmten einen kleinen Computerchip ins Hirn operiert und mit vielen Synapsen verbunden, so dass der Menschen einen Computer oder sein Handy mit dem Hirn bedienen kann. Vom Gedanken direkt zur Maschine. Ich denke nur, ein Kaffee wäre jetzt schön und schon fängt der Automat an zu krächzen, zu schlürfen und zu gurgeln. Vielleicht geht das auch irgendwann in umgekehrter Richtung: Ich tippe etwas in mein Handy und ein anderer macht unwillkürlich, was ich eintippe: Mülleimer leeren. Der Smartmensch. Oder direkt von Hirn zu Hirn. Ich denke nur: Mülleimer müsste mal geleert werden, und schon macht’s einer. 

***

Ich mag Automaten. Ich mag es, wenn es von selbst geht. Warum rede ich von Automaten? Weil das Wort in der kleinen Geschichte vorkommt, die Jesus erzählt hat. 

Von selbst bringt die Erde Frucht – automatä. 

Die Frucht wächst automatisch. So ist das. Man sät etwas und dann regnet es oder nicht, dann muss man ein bisschen gießen und dann wächst es von allein. Ein normaler Vorgang. Eigentlich nichts Besonderes. 

Zu etwas Besonderem wird die Sache durch den Vergleich. Denn ein Gleichnis ist eine kleine Geschichte, die etwas vergleicht. So wie mit der Saat, die von selbst wächst und Frucht bringt, so ist es auch mit dem Reich Gottes. Es wächst von selbst. Und das, liebe Gemeinde, klingt gut, ist aber ein dicker Hund, eine Unglaublichkeit, wenn nicht gar eine Provokation. 

Das Reich Gottes: Die Welt, so wie wir sie uns wünschen. Kein Hass und kein Hunger mehr, keine Gewalt und kein Krieg mehr, kein Neid und kein Egoismus mehr, keine Lüge und keine Ungerechtigkeit mehr, sondern eine Welt voll Liebe und Gerechtigkeit. Das Reich Gottes. Die Welt, so wie Gott sie sich vorstellt und wir sie uns wünschen. Eine Utopie. Eine Welt, von der viele sagen: Die wird es nie geben. Jesus aber sagt: Die wird es geben. Und die noch viel größere Provokation: Die wird es von ganz allein geben. Automatisch. 

Dass eine Welt voll Liebe und Gerechtigkeit von ganz alleine entstehen soll – nein! Wer kann denn so was glauben? Wenn sie überhaupt jemals Wirklichkeit werden soll, dann doch nicht von alleine! 

Von alleine, automatisch, heißt jedoch nicht: ohne uns. Natürlich geht das nur mit uns Menschen. Es geht ja um eine menschliche Welt. Es gibt keine menschliche Welt ohne Menschen. Wenn aber das Reich Gottes mit den Menschen und für die Menschen von alleine kommt, dann doch nur so, dass die Menschen von sich aus gut werden, von alleine das Gerecht tun, von alleine liebevoll, rücksichtsvoll, bescheiden, altruistisch und vernünftig werden. Gutmensch-Automaten. Klingt doof – wäre aber toll. 

Wir wollen keine Maschinen, keine Roboter werden. Aber Menschen, die von sich aus das Gute tun, das wäre ein großer Schritt in Richtung Reich Gottes. Man müsste den anderen dann nicht andauernd sagen, was sie tun und was sie lassen sollen. Keiner muss dann mehr andere belehren. Das meint ja das Wort „Gutmensch“; es ist ja eigentlich ein Schimpfwort. Gutmenschen sind Leute, die sich für moralisch besser halten und deshalb meinen, andere immerzu belehren zu müssen. Es wäre schön, wenn wir alle echte Gutmenschen wären, einfach gute Menschen, die es von sich aus sind, ohne belehrt worden zu sein und ohne andere belehren zu müssen. 

So könnte das Reich Gottes von selbst wachsen: Alles wird gut, auch ohne Werte und ohne Moral und ohne Ethik. Das wäre dann alles nicht mehr nötig. Mit neuen Menschen, mit guten Menschen. 

***

Die Wahrheit von der besseren Welt sprießt auf den Feldern und die Wahrheit vom guten Menschen hängt an den Bäumen. Dort hat Jesus sie gepflückt. So trägt jeder gute Baum gute Früchte, sagt er, jeder faule Baum aber trägt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte tragen. (Mt 7,17f)

Was macht uns zu einem guten Baum? Gottes Zutrauen, Gottes Zusagen, die machen uns zu guten Menschen. Er braucht dazu keine Genmanipulation und auch keinen Computerchip im Hirn. Gott macht das mit seinem Wort, mit seinen Zusagen, die von nichts Anderem reden, als von seinem grenzenlosen und ungebrochenen Vertrauen in uns. Seine Zusagen erzählen von einer Treue, die ewig ist, künden von einer Leidenschaft, die höher ist als alle unsere Erfahrung. Worte aus einer anderen Welt. Aber sie machen uns groß, obwohl wir uns klein fühlen, sie machen uns stark, obwohl wir uns schwach fühlen. Sie machen uns Ehre, obwohl es da doch nichts zu ehren gibt. Worte, die wir uns selbst nie sagen könnten. Weil wir uns selbst nicht so viel zutrauen, wie sie uns zutrauen. Gott glaubt an uns. Er glaubt uns besser, als wir sind. Lassen wir ihn! Warum sollten wir ihm seine guten Einreden ausreden? 

„… Einer wirft Samen aufs Land…“ Wir sind das Land. 

Wir müssen unsere Gene nicht optimieren und uns keine Chips ins Hirn pflanzen lassen, wir brauchen auch keine moralischen Schulungen und ethischen Diskurse. Es genügt, Gott zuzuhören. Lass dir an seiner Gnade genügen. 

***

Und dann wächst Gottes Reich? Und dann kommt die bessere Welt von allein, automatisch? 

Ich sagte ja, das Gleichnis ist ein dicker Hund, eine Unglaublichkeit, eine Provokation. Es ist ein Angriff auf den Machbarkeitswahn wie auf den Panikaktionismus. Und ein Aufruf zu so etwas Altmodischem wie Gottvertrauen und Gelassenheit. Selbst der beruhigend gemeinte Satz: „Wir schaffen das“ ist noch zu viel „Wir“ und zu viel Appell. Es müsste eigentlich heißen: „Es wird schon!“ Automatisch. Kaum zu glauben. Und doch wahr. 

Die besten Wahrheiten hängen an den Bäumen und sprießen auf den Feldern. 

Dass etwas ganz von selbst geht, automatisch, ohne dass wir zu Automaten werden oder zu Robotern, sondern in aller Freiheit und aller Fröhlichkeit Menschen bleiben, dafür gibt es noch ein Gleichnis. Das steht nicht in der Bibel, sondern sitzt hier. Ihr seid es! Die zur Ehre Gottes singende Gemeinde. 

Auch wenn du sonst nie singst und keine Noten lesen kannst – du machst den Mund auf, lässt einen leichten Luftstrom durch die Stimmbänder säuseln und es kommt der richtige Ton heraus. Ganz von allein. Gelockt von Klang der Orgel, getragen vom Gesang der anderen. 

Und wer im Chor singt, macht diese Erfahrung noch intensiver: Es kommt vor, dass du gerade nicht weißt, wie der nächste Ton geht, welches Intervall du jetzt rauf oder runter musst und es grad auch nicht in den Noten findest. Doch ehe du in Panik gerätst, kommt der nächste Ton von selbst aus der Kehle und es ist der richtige Ton. Ganz automatisch, mitgetragen von den Stimmen um dich herum und nicht nur von den anderen Stimmen, sondern auch von der Musik an sich, vom Klang, von der Harmonie, die dir den richtigen Ton aufs Stimmband legt. Nicht wir singen mehr, sondern die Musik singt in uns. Und das Erstaunliche dabei ist: Wir fühlen uns nicht entmenschlicht, entmachtet, entmündigt und entindividualisiert. Im Gegenteil: Singen ist schön und macht Spaß. Wir sind keine Singautomaten, wir sind Menschen. 

***

Und es gibt noch ein Gleichnis für das, was Jesus meint. Das sehen wir seit drei Wochen und gestern wieder. Hunderttausende versammeln sich. Sie tun es nicht, wie Herr Höcke meint, weil jemand es ihnen gesagt hat. Sie tun es ganz von selbst, weil sie die weltoffene Demokratie in unserem Land mögen und das zeigen wollen. Das ist noch nicht das Reich Gottes. Aber es wächst. 

***

Von selbst bringt die Erde Frucht – automatisch.

Das Reich Gottes, eine Welt voll Liebe und Gerechtigkeit kommt ganz von selbst. Kaum zu glauben. Und doch kann es gehen. Mit Menschen, die im Einklang mit Gott sind und im Einklang mit sich selbst. Mit Menschen, die auf dem Feld und im Garten sehen, wie es von selbst wächst. Mit Menschen, die die in der Gemeinde singen und hören, wie von selbst die richtigen Töne kommen, die Gott loben. Es wird schon – automatisch. Ihr werdet sehen. 

Amen.