"Himmerl und Erde werden vergehen..."
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

28Vom Feigenbaum aber lernt das Gleichnis: Sobald sein Zweig saftig geworden ist und Blätter treibt, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. 29So sollt ihr auch, wenn ihr dies geschehen seht, wissen, dass er nahe ist und vor der Tür steht. 30Amen, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bevor dies alles geschieht.

31Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.

32Jenen Tag oder jene Stunde kennt niemand, die Engel im Himmel nicht, der Sohn nicht, nur der Vater.

33Gebt acht, bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann der Zeitpunkt da ist.

34Es ist wie bei einem Menschen, der außer Landes ging: Er verließ sein Haus, gab seinen Knechten Vollmacht, jedem seine Aufgabe, und dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein.

35Seid also wachsam, denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt: ob am Abend oder um Mitternacht oder beim Hahnenschrei oder am frühen Morgen,36damit er, wenn er auf einmal kommt, euch nicht schlafend finde. 37Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!

 

Verwirrend sind die Zeiten, Ende des Kirchenjahres, Ende der Welt, Gedenken des Endes, Gedenken des Todes und der Toten und der Ewigkeit. Verwirrende Zeiten, verwirrende Tage. Totensonntag und Ewigkeitssonntag. Gedenken wir der Toten und daran, dass unsere Zeit endet, auf dass wir klug werden oder glauben wir an Gott und daran, dass seine Zeit nie endet und ewig ist, auf dass wir froh werden?

Menschen sterben, andere werden geboren. Wenn ein Mensch stirbt, ist es, als bliebe die Zeit stehen. Und die anderen leben ihren Alltag, als gäbe es keinen Tod. Uhren werden angehalten, wenn Menschen sterben, aber die anderen laufen weiter.

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Verwirrende Zeiten, verwirrende Fragen: Ist die Zeit endlich oder ewig? Ist das Leben endlich oder ewig? Ist die Welt endlich oder ewig? Wir werden sie auch heute nicht beantworten können, denn diese Fragen sind uns zu groß.

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Verwirrende Zeiten, verwirrende Texte: Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen. Ist das ein Schrecken oder ist das ein Trost? Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.

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Verwirrende Zeiten, verwirrende Taten. Junge Menschen kleben sich auf Autobahnen an und bewerfen Monets mit Tomatensuppe. Sie seien die letzte Generation. Sie sagen, wir haben keine Zeit mehr. Sie erhitzen die Gemüter. Genau das wollen sie – um der höheren Sache willen. Die Sache, um die es ihnen geht, ist groß, sehr groß – um Himmel und Erde geht es, um nichts weniger. Sie haben Angst, dass die Erde an vielen Stellen unbewohnbar wird. Die Angst ist berechtigt. Alle Zeichen der Zeit deuten darauf hin. Für die Politiker sind auch andere Dinge wichtig. Sie müssen immer abwägen. Für die Jungen hat die Rettung der Erde Priorität. Denn ohne das ist alles andere auch nichts. Wer berufen ist, die Welt zu retten, hat die Moral auf seiner Seite und wer die Moral auf seiner Seite hat, hat auch ein höheres Recht auf seiner Seite. Man kann das kritisieren. Aber stellt euch vor, ihr hättet noch 60 Jahre zu leben, ihr würdet es verstehen.

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Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen. Ist das ein Schrecken oder ist das ein Trost? Ein verwirrender Text in verwirrender Zeit.

Darf ich dieses Wort überhaupt auf die sich anbahnende Klimakatastrophe beziehen? Mir fallen tausend Gründe ein, die mir sagen: Tu es nicht! Jetzt bloß keine Apokalyptik! Kühlen Kopf bewahren, die Sache nicht noch religiös aufladen!

Und dennoch schreit mich dieses Wort an. Es will sich nicht mundtot machen lassen, nicht mit theologischem Besserwissen, nicht mit ethischen oder politischen Klügeleien, nicht mit kühlem Kopf.

Es gibt Worte, die bleiben. Die überstehen jede Panik, die widerstehen jedem besseren Wissen, die stehen auf gegen jeden Spott und überleben jede Ignoranz. Diese Worte sind unverwüstlich, nicht klein zu kriegen, nicht tot zu schlagen, nicht zum Schweigen zu bringen. Es gibt Worte, die sind noch gültiger als die Worte der Wissenschaft, noch gültiger als die Worte der Moral, noch gültiger als die Worte des Gefühls. Es gibt Worte, die sind wahrer als alles andere. Es gibt Worte, die sind ewig. Und genau das sagt ja dieses Wort. Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.

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Ist das nicht merkwürdig? Dieses Wort kündigt etwas Schreckliches an und strahlt dabei eine überirdische Beruhigung aus? Was es sagt, müsste Panik auslösen; doch das Gegenteil ist der Fall. Es ragt aus einer anderen Welt in unsere hinein und es scheint, als könne ihm all das, was uns so schwer bedrückt, nichts anhaben. Es verführt uns dabei nicht in Träume und Illusionen, es wirkt nicht wie eine Droge, sondern wie ein Trost. Ein Trost, der uns genau dort trifft, wo wir ratlos umherirren: in unserem Leben.

Die Klimaaktivisten der letzten Generation würden entgegnen: Was nützen uns noch Gottes Worte, wenn Himmel und Erde vergangen sind? Gottes Worte verhallen dann in heißen Wüsten oder schweben wieder auf toten Ozeanen wie ganz am Anfang. Aber da ist keiner mehr, der sie hört.

Das scheint wahr! Gegen die Logik der Klimaaktivisten lässt sich nichts einwenden. Die Logik ist zwingend: Was soll Gottes ewiges Wort, wenn keiner mehr da ist, der es hört? Weil die Logik zwingend ist, wollen sie das rettende Handeln mit fast allen Mitteln erzwingen.

Und dennoch vermag die bezwingende Logik den Satz von Gottes ewigem Wort nicht zu entkräften. Trotz allem beruhigt mich dieser Satz so unendlich: meine Worte aber werden nicht vergehen.

Es sind Sätze wie dieser, von denen wir leben. Sätze, die uns halten, obwohl sie weder in wissenschaftliche Prognosen noch in politische Aktionen umzuwandeln sind. Worte wie dieses sagen nicht, was zu tun ist. Man kann mit ihnen weder ethische Anleitungen noch politische Agenden stricken. Wir brauchen das ja auch gar nicht, denn wir wissen, was zu tun ist. Wenn wir ehrlich zu uns sind!

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Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen. Worte wie dieses begründen eine überirdische Hoffnung, eine Hoffnung also, zu der in dieser Welt gar kein Grund besteht. Vielleicht ist es ja gerade das, was sie so tröstlich macht.

Gottes ewiges Wort schafft Leben. Er will, dass gehört wird, was er sagt, und er sorgt dafür, dass es gehört wird. Weil Gott will, dass sein Wort gehört wird, werden wir leben. Gottes Wort wird nicht echolos im leeren All verhallen.

Denn wie der Regen und der Schnee herabkommen vom Himmel und nicht dorthin zurückkehren, sondern die Erde tränken und sie fruchtbar machen und sie zum Sprießen bringen und Samen geben dem, der sät, und Brot dem, der isst, so ist mein Wort, das aus meinem Mund hervorgeht: Nicht ohne Erfolg kehrt es zu mir zurück, sondern es vollbringt, was mir gefällt, und lässt gelingen, wozu ich es gesandt habe, spricht Gott. (Jes 55,10-11)

Und Er versprach, nie wieder die Erde zu verfluchen um der Menschen und ihrer Bosheit willen:

Solange die Erde währt, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (1.Mose 8,22)

Und Jesus weist auf den Feigenbaum. Von ihm sollen wir lernen: Sobald sein Zweig saftig geworden ist und Blätter treibt, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Was wäre aber in diesen verwirrenden Zeiten von einem Feigenbaum zu lernen, dessen Zweige im Winter treiben, weil wir die Erde zu einem Treibhaus gemacht haben? Erkennt die Zeichen der Zeit, mahnt Jesus. Seid wach!

Das sind wir. Wir erkennen die Zeichen der Zeit. Wir sind alarmiert. Auch durch die Aktivisten mit ihren wohlbedachten Aktionen des zivilen Ungehorsams. Übrigens nennen sie sich nicht deshalb „letzte Generation“, weil sie denken, sie seien die letzte Generation, die auf Erden lebt, sondern weil sie die letzte Generation sind, die noch etwas ändern kann. Ich habe viel Verständnis für ihre Angst und das, was sie tun. Aber ich möchte ihnen eines sagen: Die Zeichen der Zeit sagen nicht, dass jetzt die Welt untergeht.

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Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen. Jenen Tag oder jene Stunde kennt niemand, die Engel im Himmel nicht, der Sohn nicht, nur der Vater. Gebt acht, bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann der Zeitpunkt da ist.

Die Welt geht jetzt nicht unter. Wir tun alles dafür, dass sie nicht untergeht. Wir ändern unser Leben. Die Welt wird übrigens auch nicht untergehen, wenn es kein Wachstum mehr gibt. Sie wird auch nicht untergehen, wenn wir weniger Energie verbrauchen, weniger rumreisen und weniger Fleisch essen. Wir werden unser Leben ändern. Vielleicht mit Einbußen am Bruttosozialprodukt, aber nicht mit Einbußen am Lebensglück.

Diese Zeit ist gar nicht so verwirrend. Denn Gottes ewiges Wort hält und klärt und schafft sich seine Hörerinnen und Hörer und seine Täter und Aktivistinnen, wie zu allen Generationen.

Himmel und Erde werden vergehen, aber nicht jetzt! Gottes Worte werden gehört und sie werden vollbringen, was ihm wohlgefällt. Amen.

 

Fürbitten

Gott des Himmels und der Erde. Du bist ewig und allmächtig, barmherzig und von großer Güte.

Du rufst uns ins Leben, rufst das Leben vor dem Tod, rufst das Leben in den Tod, rufst das Leben aus dem Tod.

Hör nicht auf, das Leben zu rufen.

Du gibst Worte in die Ohren, malst Bilder vor die Augen, die sind wie lebendiges Wasser, die erfrischen, wenn wir müde geworden sind in dieser dunklen Zeit. Das danken wir dir.

Aber du weißt es und wir hören nun beinahe täglich davon: Es gibt noch den Tod, den der Unschuldigen und den der Schuldigen, es gibt noch das Leid, das der Trauernden und das der Unterdrückten, es gibt noch das Geschrei, das der Kranken und das der Gequälten. Ihre Tränen wirst du abwischen in einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Uns aber hilf, ihre Tränen aufzufangen unterm alten Himmel und auf der alten Erde, in die so viele Tränen fließen, mehr als die Tropfen des Regens.

Gib uns Ungeduld, dass wir nicht warten auf den neuen Himmel und die neue Erde, sondern jetzt schon kämpfen gegen das, was Leid, Geschrei und Tod hervorruft, kämpfen gegen Ungerechtigkeit und Gewalt, gegen den CO2-Austoß und den Raubbau, gegen Krankheit und Verzweiflung, gegen Schuld und Angst.

Und gib uns Geduld, dass wir ertragen, was wir nicht ändern können, ohne zu resignieren.

Und wenn wir sterben müssen, Herr, so lass uns selig sterben und auferstehen im neuen Jerusalem und Nachbar sein an deinem Zelt. Gib uns ein seliges Sterben und ein fröhliches Auferstehen.

Amen.