Idiotischer Reichtum
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Erntedank, liebe Gemeinde, Erntedank mitten in der Stadt, Erntedank für Städter wie wir. Das Feld ist weit, der Supermarkt ist nah. Haben Sie Ahnung von der Ernte? Ich nicht. Also muss man sich informieren. Als Städter habe ich keine Zeit, aufs Land zu fahren und mit einem Landwirt zu sprechen. Ich vermute mal, der hat auch keine Zeit. Also habe ich mir den Erntebericht der Bundesregierung runtergeladen. Der hat 50 Seiten. Ich habe keine Zeit, 50 Seiten zu lesen. Aber er beginnt so: Landwirtschaft ist „Draußenwirtschaft“. Sie ist im höchsten Maße abhängig von Klima und Wetter. Letzteres fuhr 2023 vielerorts in Deutschland Achterbahn: Auf ein recht kaltes und nasses Frühjahr folgten ein trockener Frühsommer und zu viele Niederschläge während der Erntezeit. Regional wüteten Unwetter mit Starkregen, Sturm oder Hagel. 

Und wie war die Ernte? Ein paar Überschriften: Deutschland: Wintergerste mit guten Ergebnissen, Weizenernte leidet unter der Witterung. Rapsanbau ausgeweitet, Sonnenblumenanbau rückläufig. Marktgerechte Apfelernte, erneut schwache Erdbeersaison. Gute Weinlese in Aussicht, Hopfen: das zweite unterdurchschnittliche Jahr. Ist das eine Entscheidungshilfe bei der Feierabendfrage Frage: Wein oder Bier?

Bei manchem etwas mehr, bei anderen etwas weniger, global immer mehr, trotz Wetter, trotz Achterbahn, trotz Krieg in der Ukraine und trotz der Tatsache, dass man das immer noch alles draußen machen muss – Draußenwirtschaft. 

Beim Überfliegen des Ernteberichts habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass wir bald hungern werden. Diese Befürchtung hatte ich – ehrlich gesagt - noch nie. Gott sei Dank! Wir haben unsere Wirtschaft und unsere Landwirtschaft – als die Draußenwirtschaft und auch die Dinnenwirtschaft - so gut organisiert und so global aufgestellt, dass uns Pech mit dem Wetter vor der Haustür nichts mehr anhaben kann. Gott sei Dank! 

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Wenn also uns Städter die eigene Erfahrung und Anschauung nichts mehr sagen und auch der Erntebericht irgendwie keine klare Aussage gibt, wie das mit der Ernte ist, dann müssen wir doch in die Bibel gucken, um eine klare Aussage zu erhalten. Hören wir also den Menschen klarer Worte:

16Er erzählte ihnen aber ein Gleichnis: Das Land eines reichen Mannes hatte gut getragen. 17Da dachte er bei sich: Was soll ich tun? Ich habe keinen Raum, wo ich meine Ernte lagern kann. 18Und er sagte: Das werde ich tun: Ich werde meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und dort werde ich all mein Getreide und meine Vorräte lagern. 19Dann werde ich zu meiner Seele sagen können: Seele, du hast reichen Vorrat daliegen für viele Jahre. Ruh dich aus, iss, trink, sei fröhlich! 20Gott aber sagte zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht fordert man deine Seele von dir zurück. Was du aber zurückgelegt hast - wem wird es gehören? 21So geht es dem, der für sich Schätze sammelt und nicht reich ist vor Gott.

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Hütet euch vor Habgier, vor jeder Art von Habgier – das ist eine klare Ansage, liebe Gemeinde. Alles andere aber scheint mit hier ziemlich unklar zu sein. Ich verstehe vieles nicht, wenn ich so ehrlich sein darf. Vor allem in diesem Gleichnis verstehe ich vieles nicht. 

Was, so frage ich mich und frage euch – was ist denn so verkehrt daran, größere Scheunen zu bauen, wenn die alten zu klein geworden sind? Irgendwo muss das Getreide, müssen die Früchte ja gelagert werden. Hat nicht Josef, der Visionär des Pharao, den Getreideüberfluss der sieben reichen Jahre in Scheunen bevorraten lassen für die sieben dürren Jahre, die folgten? Das war doch eine gute Idee.

Und dann: Was ist denn so verkehrt daran, wenn einer ausgesorgt hat und sich zur Ruhe setzt? Einer hat sein Leben lang hart gearbeitet, hat sich ein gewisses Vermögen aufgebaut, setzt sich dann zur Ruhe und genießt die Tage, die ihm noch bleiben. Ist es denn ausgemacht, dass so ein Mensch vergessen hat, dass er jederzeit sterben kann? Umgekehrt gefragt: wird einer, dem sehr bewusst ist, dass er morgen tot umfallen kann, nicht doch auch vorsorgen, etwas für das Alter zurücklegen? Freilich, es kann sein, dass du morgen tot umfällst. Es kann aber auch sein, dass das nicht geschieht und du 40 Jahre lebst. Gut, wenn du dann vorgesorgt hast. Müsste man nicht zu einem reichen Menschen, der sein ganzes Vermögen verprasst hat, weil er sich sagte: ‚Wer weiß, vielleicht bin ich morgen tot und habe nichts davon gehabt und wem gehört dann mein Vermögen?‘ und der dann doch noch lange lebt als armer Mensch auf Kosten der Allgemeinheit oder seiner Kinder, müsste man nicht zu so einen Menschen sagen: Du Narr! Warum hast du nicht vorgesorgt?

Im Gleichnis wird aber der, der sich etwas fürs Alter zur Seite legt, ein Narr geschimpft. 

Wo ist der springende Punkt? Was habe ich übersehen in dieser Geschichte vom reichen Kornbauern, wie sie in der Lutherbibel heißt? Irgendwas muss mich auf eine falsche Fährte gelockt haben. Vielleicht der schöne Ausruf: Seele, …ruh dich aus, iss, trink, sei fröhlich! Das ist ein bisschen ähnlich wie am Schluss der bekannten Liste aus dem Buch des Predigers, wo es erst immer heißt: Alles hat seine Zeit – übrigens gleich am Anfang auch: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit – und dann: pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist – also ernten, hat seine Zeit; und dann als Fazit der Beobachtung, dass alles seine Zeit hat: Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes (Koh 3,9-13)

Noch einmal: Was macht der Mensch im Gleichnis falsch? Er sammelt eine gute Ernte in Scheuen, das tat Josef auch. Er lässt es sich gut gehen, vielleicht auch gerade am Angesicht seiner Sterblichkeit und der Tatsache, dass er seine Lebenszeit nicht in Händen hält. Das rät der Prediger auch. 

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Vielleicht ist dies das Problem des reichen Kornbauers: Sein Reichtum hat ihn isoliert. Im Gleichnis könnte das dadurch zum Ausdruck kommen, dass er nur mit sich selber redet. Er fragt zunächst sich selbst: Was soll ich tun, meine Scheune ist zu klein? Dann sagt er sich selbst: Das werde ich tun: die alte abreißen und eine größere bauen. Und dann spricht er zu sich selbst: Seele, du hast reichen Vorrat daliegen für viele Jahre. Ruh dich aus, iss, trink, sei fröhlich! 

Selbstgespräche eines Reichen. Er spricht mit sich selbst über seinen Vorrat. Er spricht nicht mit anderen darüber. Er überlegt nicht mit anderen, was er mit der guten Ernte anfangen könnte. Er behält sie für sich, er braucht sie für sich, sie ist seine Seelenberuhigung. 

Reichtum isoliert. Wer viel hat, wird oft einsam. Die Reichen schützen ihren Besitz und sich selbst. Sie zäunen sich ein, sie mauern sich ein, sie verbergen sich hinter Sichtschutz und stellen einen Wachschutz davor. Sie reden nicht mehr mit jedem, allenfalls noch mit ihresgleichen. Unter ihresgleichen müssen sie ihren Reichtum nicht rechtfertigen und brauchen sich nicht zu schämen. Wer sich aber absondert, verliert auch allmählich den Bezug zur Realität. Sie sehen das Elend in der Welt nicht mehr und irgendwann denken sie, dass es das nicht mehr gibt. 

Reichtum kann man als Privatangelegenheit ansehen. Das Wort privat kommt vom lateinischen Verb privare = rauben, absondern, vorenthalten. Man sondert etwas ab von der Allgemeinheit, von der Öffentlichkeit, hält es ihr vor und sondert sich ab mitsamt dem Vermögen. Privat. 

Du Narr, sagt Gott zu so einem. Man kann auch sagen: Du Idiot! Das kommt vom griechischen idiotes und heißt Privatperson. Das ist nämlich einer der, der nur für sich selber da ist. 

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Jesus ist kein Kommunist. Er will dem Einzelnen das Eigentum nicht wegnehmen und es verallgemeinern, also verstaatlichen. Aber er meint wohl auch wie das Grundgesetz, dass Eigentum verpflichte. Reichtum macht etwas mit den Menschen. Entweder es isoliert sie macht sie zu Idioten oder aber es öffnet ihnen den Weg zu den Menschen, indem sie ihnen Anteil an ihrem Reichtum geben. 

Ein Freund erzählte mir neulich, ein Verwandter habe es ein gutgehendes Geschäft verkauft und dadurch ein kleines Vermögen gewonnen. Nun will er Teile davon in seinem Verwandten- und Freundeskreis unter denen verschenken, die es nötig haben. Er wird wohl auch noch etwas für sich und sein Auskommen im Alter behalten, aber doch nur so viel, wie er braucht. Das übrige gibt er her. Dafür reicht seine alte Scheune und sein altes Bankkonto. Er muss keine größere Scheune bauen und muss sich keine neue Bank suchen, die nur für die Reichen da ist. 

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Nachdem Jesus das Gleichnis vom reichen Kornbauern erzählt hat, sagte er dies:

Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um das Leben, was ihr essen werdet, noch um den Leib, was ihr anziehen werdet. 23Denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung. … 

So kümmert auch ihr euch nicht darum, was ihr essen und trinken werdet, und ängstigt euch nicht. … Trachtet vielmehr nach dem Reich Gottes, dann werden euch diese Dinge dazugegeben werden. … 33Verkauft euren Besitz und gebt Almosen! Macht euch Geldbeutel, die nicht verschleißen: einen unerschöpflichen Schatz im Himmel, wo kein Dieb naht und keine Motte frisst. 34Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein. (Lk12,22-34)

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Wo also schlägt dein Herz? Worin liegt dein Glück? Wie stellst du dir den Himmel vor? Das ist alles die gleiche Frage. Ist der Himmel, ist der Ort deiner Seligkeit das Luxusresort auf einer einsamen Südseeinsel? Sonne, Meer, Essen und Trinken, aber keine Menschen? Zur Not ein paar Angestellte, die dir den Cocktail an die Liege bringen. Oder ist deine Seligkeit, dein Glück das Hochzeitsfest. Das nämlich ist das biblische Bild für den Himmel. Auch Essen und Trinken, aber mit vielen Menschen, die lachen und reden und tanzen und das schönste feiern, was es zwischen Menschen gibt: die Liebe. Amen. 

 

Fürbitten und Unservater

Gott, Schöpfer,

Danke.

Danke für Sonne und Regen.

Danke für den Weizen und die Kartoffeln.

Danke für die Möhren und den Kohl.

Danke für die Äpfel und die Birnen,

Danke für für Kirschen und die Zwetschgen.

Aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.

Segne die Metzger und die Köche.

Segne die Erntehelfer aus Polen und die Schlachthofarbeiter aus Rumänien.

Segne die Verkäuferinnen bei Lidl und bei Aldi,

Segne die Aushilfen bei McDonald und BurgerKing.

Gott, Erbarmer,

Danke.

Danke, dass wir satt werden. 

Danke für die Vielfalt der Nahrungsmittel.

Danke für die Qualität des Essens.

Danke für die Gastfreundschaft in den Familien und Gemeinden.

Danke für die Engagierten in den Tafeln. 

Aller Augen warten auf dich, Herr, gib den Hungernden ihre Speise zur rechten Zeit.

Segne die Hilfsorganisationen.

Segne die Entwicklungshilfe.

Segne die im Bauch Hungernden mit Brot.

Segne die geistlich Hungernden mit deinem Wort.

Segne die Kirchen mit deinem Geist.

Segne die Missionsarbeit der Kirchen.

Segne die Erde mit dem Salz der Christen. 

Gott, Erlöser,

Danke.

Danke für den Frieden in unserem Land.

Erlöse die Menschen in der Ukraine vom Krieg, erlöse Putins Soldaten vom Krieg. Erlöse die Welt von den Putins. 

Aller Augen warten auf dich, Herr, gib Frieden zu dieser Zeit.

Rette alle, die auf der Flucht sind, bringe sie in ein sicheres Land. 

Heile die Kranken, erlöse die Sterbenden.

Amen.