Eine Meditation zum „Thron der Gnade“
Pfarrerin Senta Reisenbüchler

Wie soll es nur weitergehen? Haben wir die Kraft, das durchzustehen? Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste. Es sind keine guten Zeiten. Wir fühlen uns ausgelaugt. Keine Energie mehr da. Es war doch mal ganz anders, unbeschwerter, leichter. Wir haben uns doch gegenseitig ermutigt: „Wenn wir jetzt zusammenstehen, dann schaffen wir das schon, ein Ende ist in Sicht. Dann wird alles wieder gut“. So sicher sind wir uns aber gar nicht mehr. Eine Herausforderung löst die nächste ab. Wir sind müde geworden. Wie soll es nur weitergehen?

Liebe Gemeinde,

das ist keine Momentaufnahme – März 2024. Hohe Mieten, Jahre der Inflation, Landtagswahlen bei denen eine Partei mit sogenannten „Remigrationsplänen“ von Menschen, die hier angeblich nicht hingehören, starke Ergebnisse einfahren wird. 700 Tage Ukrainekrieg, der Antisemitismus, der nie weg war aber seit dem 7. Oktober wieder auf dem Vormarsch ist, dazu politisch autoritäre Tendenzen wohin wir schauen. Das Leid der Menschen in den palästinensischen Gebieten.

Nein, keine Momentaufnahme. Sondern diese Worte können wir uns so - oder so ähnlich - von den Adressaten des Hebräerbriefes vorstellen. Sie sind müde geworden und verzagt. Der Weg, zu dem sie einmal aufgebrochen sind, empfinden sie jetzt als steinig. Sie dachten eigentlich, dass Jesus nach seinem Tod und seiner Himmelfahrt nach der Auferstehung ganz bald wiederkommen würde. Dass die Lasten ihres Alltags bald ein Ende nehmen würden. Doch die Zeit zieht sich. Einige beginnen zu zweifeln: Was bringt mir mein Glaube in dieser so anstrengenden Zeit? Worauf kann ich überhaupt noch hoffen? 

Dieser Resignation begegnet der Hebräerbrief mit einem eindringlichen Werben für den Glauben. Trotz allem. Für ein Dabeibleiben. Trotz allem. Für eine regelrechte Glaubenserneuerung. Trotz allem. Er führt ihnen vor Augen, dass es sich lohnt dabei zu bleiben, sich einzubringen, zu kämpfen für sich und andere. Eine vollkommene Vollendung aber, die wird es erst in der Zukunft geben. Durch den Glauben an Jesu Tod und seine Auferstehung ist aber bereits ein Vorgeschmack von dieser Vollendung da. So sagt er: Schaut nicht nur auf euch und die Belastungen und Mühen eures Alltags. Sondern schaut auf Gott.

Im Hebräerbrief klingt das so: Ich lese den Predigttext aus Hebräer 4:

Da wir nun einen großen Hohen Priester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, so lasst uns am Bekenntnis festhalten. Denn wir haben nicht einen Hohen Priester, der nicht mit uns zu leiden vermöchte in unserer Schwachheit, sondern einen, der in allem auf gleiche Weise versucht worden ist, aber ohne Sünde. Lasst uns also freimütig hintreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden und uns so geholfen werde zur rechten Zeit.

Liebe Gemeinde,

das sind eindrückliche und auch durchaus sonderbare Bilder, die der Hebräerbrief hier malt - Jesus Christus als Hohepriester, der die Himmel durchschreitet und uns den Weg zum Thron der Gnade ebnet.

Der Hohepriester kommt an vielen Stellen der Bibel vor. Er ist es, der die Kluft zum Heiligsten überwindet. Das macht er, indem er für seine Vergehen und für die Verfehlungen des Volkes opfert. Am großen Versöhnungstag dann tritt er einmal im Jahr in das Allerheiligste im Tempel und schafft so einen Zugang zur unmittelbaren Gegenwart Gottes.

Das überträgt der Hebräerbrief jetzt auf Jesus mit einer besonderen Pointe: Jesus gehört auf die Seite Gottes, er hat die Himmel durchschritten, er sitzt zur Rechten Gottes. Und zugleich gehört er auf unsere Seite. Als Mensch ist er uns gleich geworden, hat die Tiefen des Menschseins durchlebt.

Der heutige Sonntag Invokavit steht unter dem Thema „Versuchung“. Wir haben vorhin in der Lesung von dem sogenannten „Sündenfall“ gehört. Diese Erzählung führt uns vor Augen, dass menschliches Leben von allem Anfang an von der Versuchung begleitet ist. Und auch davon diesen Versuchungen zu erliegen und mit ihren Konsequenzen leben zu müssen. 

Eine Geschichte über das Menschsein ist wenn sie nicht bloßer Kitsch 

Von Versuchungen war auch Jesus nicht ausgenommen. Die Bibel erzählt davon, dass Jesus Zweifel hatte - an seiner Sendung. Dass er kraftlos war und zu Gott gefleht hat. Jesus kannte Todesangst. Er hat gekämpft und geweint. Er hat Blut und Wasser geschwitzt. Matthäus berichtet sogar davon, dass der Teufel – das Böse selbst - ihn in der Wüste versucht hat.

Es ist Jesu Blick auf Gott, das Festhalten an Gott als Orientierung, das ihn bewahrt. Jesus lässt nichts - keine Herrschaft, keine anderen Mächte zwischen sich und Gott kommen.

Und wir? Es ist doch eine menschliche Grunderfahrung uns als fehlbar und hilfsbedürftig zu erleben. Andere Behauptungen sind Kitsch oder Kulturindustrie. Es gibt Zeiten, in denen wir kraftlos, müde und traurig sind. Auch schuldig geworden sind. Einen Neuanfang benötigen. Eine neue Perspektive auf uns und die anderen.

Wie soll es nur weitergehen? Haben sich die Adressaten des Hebräerbriefes gefragt. Vielleicht ist diese Frage gar nicht so weit weg von uns heute. Von mir. Wie soll es weitergehen?

Darum lasst uns mit Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, in der wir Hilfe brauchen.

Ich verstehe das nicht als Einladung zum Rückzug, zur Weltflucht. Zum Augenverschließen vor der Realität und ins Jenseits flüchten. Verantwortung einfach abgeben. Nein, ich verstehe das vielmehr als eine Bewegung. Ein Herauszoomen und ein Hereinzoomen. Fast meditativ.

Lassen Sie uns das ausprobieren. Jetzt hier. Wenn Sie möchten, dann schließen Sie doch die Augen und ich paraphrasiere den Predigttext.- Stille –

Ich blicke weg von mir, von meiner ganz konkreten Situation, meinem doch oft festgefahrenen Blick auf mich und andere.

Wir haben einen großen Hohepriester, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, so lasst uns Festhalten am Bekenntnis!

Ich schaue nach oben zu dem, auf dem mein Glaube gründet. Der allmächtige Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde.

Wir haben einen Hohepriester, der mitleiden kann mit unseren Schwächen.

Und ich blicke neben mich zu dem, auf dem mein Glaube gründet. Jesus, der mir in allem gleich geworden ist. Mein Fürsprecher. Der mich versteht. Der mit mir ist. Der für mich ist. Der mir den Weg bereitet.

Darum lasst uns mit Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, in der wir Hilfe brauchen.

Ich trete hinzu zum Thron der Gnade – ich begebe mich ganz in Gottes Gegenwart, in seinen Schutzraum. Ich trete in seine Ruhe ein. Ich spüre Gottes wohlwollenden Blick auf mich. Ich kann so kommen wie ich bin. Mit leeren Händen. Mit meinen Unzulänglichkeiten, mit meinen Zweifeln. Ich muss nicht meine eigene Stärke behaupten. Nichts beweisen.

Und ich blicke nach vorne auf das worauf ich hoffen darf, was mir verheißen ist. Es wird gut werden. Ich schöpfe neuen Mut und neue Hoffnung. Es wird gut werden.

Und dann zoome ich wieder hinein, öffne meine Augen wieder. - Stille -.

Ich stehe aufrecht, bin gestärkt und ermutigt, ich habe empfangen. Eine neue Perspektive/ eine Erinnerung klingt nach – es wird gut werden. Ich blicke mich um und sehe, dass ich nicht alleine bin, sondern Teil der Gemeinschaft. Ich blicke wieder auf mich und meine Herausforderungen, blicke auch auf die Sorgen meiner Freunde und Nachbarinnen und auf die, die zu wenig Gehör finden, keine Lobby haben. Und ich lasse mich in Anspruch nehmen – denn es soll gut werden. Schon jetzt.

Amen.