Ansprache des Trainers vor dem Spiel des Lebens
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

12Darum stärkt eure müden Hände und eure zitternden Knie 13und lenkt eure Schritte entschlossen in die richtige Richtung! Denn die lahm gewordenen Glieder dürfen sich nicht auch noch ausrenken, sondern sollen wieder heil werden.

14Bemüht euch mit ganzer Kraft um Frieden mit jedermann und richtet euch in allem nach Gottes Willen aus! Denn ohne ein geheiligtes Leben wird niemand den Herrn sehen.

15Achtet darauf, dass niemand sich selbst von Gottes Gnade ausschließt! Lasst nicht zu, dass aus einer bitteren Wurzel eine Giftpflanze hervorwächst, die Unheil anrichtet; sonst wird am Ende noch die ganze Gemeinde in Mitleidenschaft gezogen. 16Achtet auch darauf, dass niemand ein unmoralisches Leben führt oder mit heiligen Dingen so geringschätzig umgeht wie Esau, der sein Erstgeburtsrecht für eine einzige Mahlzeit verkaufte. 17Ihr wisst, wie es ihm später erging: Als er den Segen bekommen wollte, der ihm als dem Erstgeborenen zustand, musste er erfahren, dass Gott ihn verworfen hatte. Er fand keine Möglichkeit mehr, ⸂das Geschehene⸃ rückgängig zu machen, so sehr er sich auch unter Tränen darum bemühte.

18Nun habt ihr Gott ja auf ganz andere Weise kennen gelernt als die Israeliten damals am Sinai. Der Berg, zu dem sie kamen, war ein irdischer Berg. Er stand in Flammen und war in dunkle Wolken gehüllt. Es herrschte Finsternis, ein Sturm tobte, …

22Ihr hingegen seid zum Berg Zion gekommen, zur Stadt des lebendigen Gottes, zu dem Jerusalem, das im Himmel ist. Ihr seid zu der festlichen Versammlung einer unzählbar großen Schar von Engeln gekommen 23und zu der Gemeinde von Gottes Erstgeborenen, deren Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Ihr seid zu Gott selbst gekommen, dem Richter, vor dem sich alle verantworten müssen, und zu den Gerechten, die bereits vollendet sind und deren Geist bei Gott ist. 24Und ihr seid zu dem Vermittler des neuen Bundes gekommen, zu Jesus, und seid mit seinem Blut besprengt worden – mit dem Blut, das noch viel nachdrücklicher redet als das Blut Abels.

25Hütet euch also davor, den abzuweisen, der zu euch spricht! 

Ich habe zwei Fragen. Erstens: Ist das Leben ein Spiel oder ist das Leben ein Kampf? 

Und zweitens: Was sagt ein Trainer zu seiner Mannschaft vor dem Spiel des Lebens, damit sie im Wettkampf siegen? Fußball, Handball, Volleyball – egal. Sie stehen im Kreis, leicht gebückt, an den Schultern verschränkt wie aneinander gekettet, der Trainer in der Mitte, er redet engagiert, er gestikuliert, er macht Mut, er feuert an, man sieht es auf dem Bildschirm, aber man hört nicht, was er sagt. Ich würde gerne hören, was er sagt. Oder noch mehr in der Halbzeitpause, seine Mannschaft liegt zurück, droht, das Spiel zu verlieren. Der Trainer muss verhindern, dass seine Spieler resignieren, das Spiel vorzeitig verloren geben. Was sagt ein Trainer dann? 

Ich spiele nicht Fußball, auch nicht Handball oder Volleyball. Ich habe nie einem Trainer zugehört, ich weiß nicht, was er sagt, um mich zu ermutigen. Aber ich bin Pfarrer. Das ist ein bisschen wie Trainer. Ich muss auch aufmuntern, Worte finden. Das Leben soll ein Spiel sein, aber am Ende will man doch gewinnen. Und die meisten haben die Halbzeitpause schon hinter sich. Aber sie kommen bei kurzen Unterbrechungen – man nennt das Sonntag – an den Spielrand, um sich ermutigen zu lassen. Was also sage ich?

Was wir vorhin gehört haben, dieser Ausschnitt aus dem Hebräerberief, könnte eine Vorlage sein. Wer immer diesen Text geschrieben hat – er führt sich so ein bisschen wie ein Trainer auf. 

Stärkt eure müden Hände und eure zitternden Knie und lenkt eure Schritte entschlossen in die richtige Richtung! Denn die lahm gewordenen Glieder dürfen sich nicht auch noch ausrenken, sondern sollen wieder heil werden.

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Ist das Leben ein Spiel oder ein Wettkampf? Ein Fußballspiel heißt Fußballspiel und ist doch ein Wettkampf. Es geht ums Siegen und Verlieren. Und das Leben? Ist es mehr Spiel oder mehr Kampf? 

Der Glaubensprediger und Lebenstrainer im Hebräerbrief versucht, mit Appellen seine Mannschaft, seine Gemeinde zu ermutigen. Bemüht euch um Frieden, richtet euch nach Gottes Willen aus, achtet auf ein moralisches Leben, auch bei den anderen! Er droht sogar ein bisschen: Ohne ein heiliges Leben wird niemand Gott sehen. 

Wenn ich diesen Trainer so höre, gewinne ich den Eindruck, das Leben sei doch eher ein Kampf. Ein Wettkampf gegen das Böse. 

Ich weiß nicht, ob mir solch eine Traineransprache neue Kraft schenken und Flügel verleihen würde, mit denen ich spielend die zweite Halbzeit bestreiten könnte. Ich habe bei moralischen Appellen schon immer eigentlich mehr Abwehr als Zustimmung empfunden. Wenn ich solche Appelle höre, legt sich mir immer der trotzige Satz auf die Zunge: „Du hast gut reden!“ 

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Doch ich sollte nicht voreilig urteilen, ich sollte ihm zu Ende zuhören. Denn dann ändert er seine Ansprache und schlägt einen anderen Ton an. Plötzlich spricht der Trainer vom Sieg. Erinnert seine Mannschaft daran, wie schön das sein wird, nachher, wenn sie gewonnen haben und feiern. Der Jubel, der Applaus, die Freude. Er ist sich sicher, dass sie siegen werden. Es kann gar nicht anders sein. Schließlich sind sie ausgewählt worden. Die Jungs sind ja nicht irgendwer. Sie stehen unter Vertrag, weil sie die besten sind. 

So muss das ein guter Trainer machen. Er stellt ihnen den Sieg vor Augen, er macht ihn schmackhaft, das hebt die Stimmung. 

So macht es der Prediger und Trainer im Hebräerbrief. Er malt seiner Gemeinde das gute Ende vor Augen. 

Ihr seid zum Berg Zion gekommen, zur Stadt des lebendigen Gottes, zu dem Jerusalem, das im Himmel ist. Ihr seid zu der festlichen Versammlung einer unzählbar großen Schar von Engeln gekommen und zu der Gemeinde von Gottes Erstgeborenen, deren Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Ihr seid zu Gott selbst gekommen, dem Richter, vor dem sich alle verantworten müssen, und zu den Gerechten, die bereits vollendet sind und deren Geist bei Gott ist. Und ihr seid zu dem Vermittler des neuen Bundes gekommen, zu Jesus.

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Es sieht so aus, als seien wir schon da. Es sieht so aus, als seien wir schon am Ziel. Wir sind bei Gott, wir sind im himmlischen Jerusalem. 

Wer das Ziel genauer betrachten will, wer es begehen und seine Schönheit bewundern will, muss in der Bibel noch ein bisschen weiterblättern. In den letzten Kapiteln der Offenbarung kann man es detailliert besichtigen. Schon das irdische Jerusalem ist schön, das himmlische noch schöner. Zwar sind die Moscheen, Kirchen und Synagogen in Jerusalem schön – manche sind etwas verbaut und manche haben Narben von vielen Streit der Religionen und Konfessionen, aber im himmlischen Jerusalem sind keine Tempel, Synagogen, Kirchen und Moscheen mehr. Wo sie waren, stehen nun die Lebensbäume aus dem Paradies. Und in ihrem Schatten wohnt auf einen der Plätze Gott mitten unter den Menschen in einem Zelt. 

Dort seid ihr schon – im Glauben. Und der Glaube überflügelt manchmal jeder Realität. Das kann gefährlich werden und zu Realitätsverlust führen. Aber nicht bei diesem Glauben, dieser Glaube ist gut. Er führt uns nicht aus dem Leben heraus, er führt uns ins Leben hinein, macht aus dem Kampf ein Spiel, das wir gerne spielen. Wir nehmen die Herausforderung an, wir bringen den Ball nach vorne, nicht ängstlich, nicht verkrampft, sondern locker und fair. Denn das Spiel ist längst gewonnen. Dafür hat Gott gesorgt. 

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So müsste es sein. Manchmal geht es aber auch schief. Vor einigen Wochen hat der Fußballverein meiner Geburtsstadt Saarbrücken - ich glaube, er spielt in der dritten Liga –beim DFP-Pokal den FC Bayern besiegt. Was ist da passiert? Waren die Bayern zu siegesgewiss? Und waren deshalb nachlässig und unaufmerksam? Sind die Bayern Opfer ihrer Selbstsicherheit, ihrer Arroganz geworden? Ihres Glaubens an sich selbst? „Mir sein mir.“ 

Das gibt es auch. Davor warnt der Prediger im Hebräerbrief. Achtet darauf, schreibt er, dass niemand hinter der Gnade Gottes zurückbleibt. Achtet darauf, dass ihr die Gnade nicht verspielt!

Gott ist gnädig. Gott öffnet den Himmel. Wir werden bei ihm sein. Meine Fragen sind beantwortet. Das Leben ist ein Spiel. Wir werden gewinnen! Das Einzige, worauf du noch achten musst: Das du es nicht verspielst. Aber das wird nicht passieren. 

Amen.