Erntedank auf dem Mars?
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Er selbst wolle dort hinziehen, dort bleiben und dort sterben. Nach einer sehr langen und sehr mühsamen Reise mit vielen Entbehrungen wird er dort leben mit dem ganzen Volk, das mit ihm dorthin gereist ist. Sie werden in dieser neuen Welt eine Stadt bauen mit Hochhäusern und Gewächshäuern. Und statt der Straßen gibt es Verbindungstunnels. Denn Luft zum Atmen gibt es dort nicht, aber Staubstürme, die alles umwehen. Am Tag wird es 30 Grad warm, in der Nacht aber minus 130 Grad kalt. Den Sauerstoff muss man mit viel Energie aus den Elementen gewinnen, die dort vorhanden sind. Den Treibstoff für die Raketen auch. Es ist kein Land, in dem Milch und Honig fließen, weil es keine Kühe und keine Bienen dort gibt, aber Gemüse in Gewächshäusern.

Da also will er hinziehen mit vielen anderen, dort wohnen und dort sterben, Elon Musk, auf dem Mars. Bis 2050. Dann ist er 79.

Das also ist das Ziel, das Musk vor Augen hat: auf den Mars zu fliegen, um dort seine letzten Tage zu verbringen und am Ziel seiner Visionen zu sterben.

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Auch Mose wollte dort hinziehen, dort bleiben und dort sterben. Nicht auf den Mars, sondern ins Land Kanaan. Nach einer sehr langen und sehr mühsamen Reise mit vielen Entbehrungen. Er hatte das Ziel vor Augen. Er wollte das Ziel erreichen, um am Ziel seine letzten Tage zu verbringen und dann zu sterben. Ihm wurde es verwehrt. Gott erlaubte es nicht. Er starb auf dem Berg Nebo, das verheißene und gelobte Land vor Augen. (5.Mose 32,48-52). Zuvor aber gab er den Israeliten und uns folgendes Vermächtnis. Er sprach vieles, unter anderem dieses, das wir heute zu Erntedank hören sollen:

Der Herr, dein Gott, bringt dich in ein gutes Land, ein Land mit Wasserbächen, Quellen und Wasser, das in Berg und Tal hervorströmt, 8ein Land mit Weizen, Gerste, Reben, mit Feigen- und Granatapfelbäumen, ein Land mit Ölbäumen und Honig, 9ein Land, in dem du dich nicht kümmerlich nähren musst, in dem es dir an nichts mangeln wird, ein Land, dessen Steine Eisen sind und in dessen Bergen du nach Erz graben kannst. 10Und du sollst dich satt essen, und du sollst den Herrn, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.

11Achte darauf, dass du den Herrn, deinen Gott, nicht vergisst; missachte nicht seine Gebote, Rechte und Satzungen, die ich dir heute gebe.

12Wenn du dich satt isst und schöne Häuser baust und darin wohnst, 13wenn deine Rinder und Schafe sich vermehren und Silber und Gold sich bei dir häuft und alles, was du hast, sich mehrt, 14dann soll dein Herz sich nicht überheben, und du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht vergessen, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus, 15der dich durch diese große und furchtbare Wüste geleitet hat, wo es Feuerschlangen gibt und Skorpione und dürres Land, in dem es kein Wasser gibt, der für dich Wasser aus dem Kieselfelsen quellen ließ, 16der dich in der Wüste mit Manna speiste, das deine Vorfahren nicht kannten, um dich demütig zu machen und zu erproben, um dir schließlich Gutes zu tun.

17Und du sollst nicht denken: Meine Kraft und die Stärke meiner Hand haben mir diesen Reichtum erworben. 18Denke vielmehr an den Herrn, deinen Gott, denn er ist es, der dir Kraft gibt, Reichtum zu erwerben, weil er den Bund hält, den er deinen Vorfahren geschworen hat, wie es heute der Fall ist.

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Die Reise von der Erde über den Mond zum Mars würde etwa ein halbes Jahr dauern. Die Reise von Ägypten über den Sinai nach Kanaan dauerte 40 Jahre. Sie vergaßen nie diese 40 Jahre. Diese Migration wurde das identitätsstifte religiöse Urmoment Israels. Nicht das, was in der Bibel davor steht, nicht die Erschaffung der Welt, nicht die Geschichten von Abraham, Isaak, Jakob und Josef, sondern der Auszug aus Ägypten, also die Migrationserfahrung. Sie vergaßen das nie. Auch lange Zeit, nachdem sie angekommen, sich eingelebt und viele Generationen dort gelebt haben, sie vergaßen es nie, bis heute nicht.

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Immer schon sind Menschen gewandert. Ausgewandert, eingewandert, völkergewandert. Heute spricht man von Migration. Wandern klingt mehr nach Urlaub, Migration mehr nach Leid. Und das soll es ja, denn die Ursache für Migration ist das leidvolle Leben, vor dem man flieht auf der Suche nach dem besseren Leben. Das gab es immer schon.

Aber dass sich mit dieser Erfahrung eine religiöse Identität verbindet, ist – soweit ich sehe – einmalig. Sie haben einen Gott, der sie sich ausgesucht hat, um mit ihnen zu wandern. Nicht zur Erholung, sondern zum Überleben. Israel, das Volk mit Migrationsreligion. Sie haben es nie vergessen. Und irgendwie blieben sie immer auf dem Sprung. Sie wurden sesshaft, betrieben Ackerbau und Viehzucht, bauten Städte, Schmolzen das Erz, schmiedeten das Eisen, und bei jeder Ernte dachten sie daran, dass Gott sie dahin geführt hat. Dass sie als Israel nicht schon immer im gelobten Land waren, sondern als Flüchtlinge von ihrem Gott dahin geführt wurden.

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Wir feiern heute Erntedank. Ein Schatten liegt auf dem Fest. Von unbekümmerter Fröhlichkeit kann keine Rede sein. Nicht nur der Krieg in der Ukraine, bei dem kein Ende in Sicht ist, sondern auch das Gefühl, mit dieser Ernte gerade noch mal davongekommen zu sein. Die Dürren werden schlimmer, die Überschwemmungen werden schlimmer, die Hurrikane und Taifune und Zyklone werden heftiger. Es vergeht kein Wetterbericht ohne alarmierende Statistiken. Wie lange werden wir noch die Felder bestellen können? Wie lange werden wir noch Ernten haben, für die wir danken können? Wie lange noch werden wir Erntedank feiern können? Oder werden wir Erntedank gerade dann wieder bewusster und dankbarer feiern, wenn eine gute Ernte nichts Selbstverständliches mehr sein wird, wenn das mit der Landwirtschaft überall schwer geworden ist, weil die Elemente außer Rand und Band geraten sind?

Der Klimawandel wird zu einer neuen großen Völkerwanderung führen. Menschen aus Gegenden, in denen nichts mehr wächst, wandern in Regionen, in denen es noch Nahrung und Wasser gibt. Und wenn der Meeresspiegel steigt, wandern Menschen aus tiefen Regionen in höher gelegene Gebiete.

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Elon Musk glaubt, es müsse die ganz große Migration werden, von der Erde auf den Mars. Es ist bei Musk, soweit ich das verstanden habe, keine Flucht vor dem Klimawandel und einer infolgedessen unbewohnbar gewordenen Erde, sondern die kühne und irgendwie babylonische Überzeugung, die Menschheit sei dazu bestimmt, den interstellaren Raum zu erobern und zu besiedeln. Musk glaubt, der Mensch sei kein Erdenwesen, sondern ein Allwesen, kein Adam, kein Erdling, sondern ein Räumling. Der Mensch, das multiplanetare Wesen. Und er, Elon Musk, führe das Menschenvolk gleichsam zu seiner eigentlichen Bestimmung.

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Es ist nicht ausgeschlossen, dass Musks Marsvisionen Wirklichkeit werden. Vieles Kühne, was er sich vorgenommen hat, wurde realisiert. Warum nicht auch die Marsträume? Das meiste allerdings mit erheblicher Verzögerung. Also vielleicht nicht 2050 auf dem Mars. Geben wir noch 40 Jahre dazu. Vielleicht 2090. Dann wäre Musk 120 Jahre alt, so alt wie Mose.

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Ob sie in Musks Mars-City einen Sabbat und einen Sonntag haben werden? Ob sie Weihnachten feiern und Pessach und Ostern und Erntedank? Ob sie Heimweh haben werden? Ob sie sich überhaupt irgendwelche Gefühle leisten werden? Eine Sehnsucht nach Wasserbächen mit frischem Wasser, nach guter Luft, nach dem Duft des überreifen Obstes, das die Bienen und die Wespen und die lästigen Fruchtfliegen anlockt? Nach einer Bank, um in der Sonne zu sitzen?

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Erntedank, liebe Schwestern und Brüder, wir wollen nicht auf den Mars. Das ist kein gelobter Planet, dort fließen nicht Milch und Honig. Der Mars ist eine elende Wüste. Gott führt uns nicht in einer Wüste. Er hat uns in ein gelobtes Land geführt. Er hat uns eine Erde gegeben, die wunderbar ist, die alles bietet, was wir zum Leben brauchen.

12Wenn du dich satt isst und schöne Häuser baust und darin wohnst, 13wenn … Silber und Gold sich bei dir häufen und alles, was du hast, sich mehrt, 14dann soll dein Herz sich nicht überheben, und du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht vergessen…. 17Und du sollst nicht denken: Meine Kraft und die Stärke meiner Hand haben mir diesen Reichtum erworben.

Das, was wir auf der Erde haben, hat Gott uns geschenkt, uns und allem, was auf Erden lebt. Und das ist alles mehr als genug. Wir können das alles nicht aus eigener Kraft irgendwo anders rekonstruieren. Wir können nicht Gott spielen, auch nicht auf dem Mars.

Die Kinder Israels sind mit Gott ins gelobte Land gezogen. Wer ein Weltraumnomade wird, die Erde verlässt, weil sie abgegrast ist und nichts mehr hergibt, um auf andere Planten weiterzuziehen, bis auch die abgegrast sind, der zieht ohne Gott seine Plantenwanderungen.

Wir danken heute Gott für alles, was er uns auf dieser Erde zum Leben gegeben hat. Es ist sehr schön und gut. Und wir halten seine Gebote und Satzung und erhalten damit das, was er uns gegeben hat.

Nur in der Umkehr zu einem bescheideneren Leben, das von der Erde nicht mehr nimmt als sie geben kann, können wir heute Erntedank feiern.

18Denke vielmehr an den Herrn, deinen Gott, denn er ist es, der dir Kraft gibt, Reichtum zu erwerben, weil er den Bund hält, den er deinen Vorfahren geschworen hat, wie es heute der Fall ist.

Gott hält seinen Bund. Dieser Bund bezieht sich auf die Erde. Auf dem Mars gibt es keinen Regenbogen. Amen.

 

Fürbitten

Gott, Schöpfer,

Danke.

Danke für Sonne und Regen.

Danke für den Weizen und die Kartoffeln.

Danke für die Möhren und den Kohl.

Danke für die Äpfel und die Birnen,

Danke für für Kirschen und die Zwetschgen.

Aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.

Segne die Metzger und die Köche.

Segne die Erntehelfer aus Polen und die Schlachthofarbeiter aus Rumänien.

Segne die Verkäuferinnen bei Lidl und bei Aldi,

Segne die Aushilfen bei McDonald und BurgerKing.

Gott, Erbarmer,

Danke.

Danke, dass wir satt werden.

Danke für die Vielfalt der Nahrungsmittel.

Danke für die Qualität des Essens.

Danke für die Gastfreundschaft in den Familien und Gemeinden.

Danke für die Engagierten in den Tafeln.

Aller Augen warten auf dich, Herr, gib den Hungernden ihre Speise zur rechten Zeit.

Segne die Hilfsorganisationen.

Segne die Entwicklungshilfe.

Segne die im Bauch Hungernden mit Brot.

Segne die geistlich Hungernden mit deinem Wort.

Segne die Kirchen mit deinem Geist.

Segne die Missionsarbeit der Kirchen.

Segne die Erde mit dem Salz der Christen.

Gott, Erlöser,

Danke.

Danke für den Frieden in unserem Land.

Erlöse die Menschen in der Ukraine vom Krieg, erlöse Putins Soldaten vom Krieg. Erlöse die Welt von Putin.

Aller Augen warten auf dich, Herr, gib Frieden zu dieser Zeit.

Rette alle, die auf der Flucht sind, bringe sie in ein sicheres Land.

Heile die Kranken, erlöse die Sterbenden.

Amen.