Schon wieder predigen! Ich weiß nicht, was ich predigen soll. Der Geist ist mir ausgegangen. Was soll ich euch sagen? Habe ich überhaupt etwas zu sagen? Sollte ich etwa besser als ihr wissen, wie das Leben funktioniert? Sollte ich moralisch integrerer sein als ihr, so dass ich euch ermahnen dürfte? Weiß ich besser als ihr, was zu tun ist? Kann ich euch etwas erklären? Ja, das könnte ich, ich habe ja Theologie studiert. Ich könnte meine Examenskenntnisse vom Römerbrief aufzufrischen und euch vortragen, wann er entstanden ist, wer diese Römer waren, an die dieser Paulus einen Brief schrieb, was sonst noch darin steht, was ähnlich und was anders ist wie in den andern Briefen. Das könnte ich erklären. Und dann würde ich kühn behaupten, es sei heute alles ganz genauso wie damals. Aber das stimmt schon deshalb nicht, weil heute jeder eine ganze Bibliothek in der Hosen- oder Handtasche hat und selbst sich bei Wikipedia über den Römerbrief informieren kann. Wen’s interessiert, der kann doch selbst nachgucken. Ich will auch nicht darüber predigen, weil das keine Predigt wäre, sondern eine Vorlesung.
Was also soll ich predigen? Ach, seufz, ich weiß es nicht. Also predige ich darüber, dass ich nicht weiß, über was ich predigen soll. Und wenn diese Unpredigt fertig ist, dieses Gestammele und Rumgeeiere, das am Ende sicher kein Amen verdient, wenn mir bis dahin nicht noch was Geistreiches einfällt, dann muss ich auch noch mit euch beten.
Was soll ich dann beten? Ich weiß nicht, was ich beten soll. Ich falte die Hände, ich schließe die Augen und dann denke ich immer an die gleichen: Meine Frau, meine Tochter, meinen Sohn, meine Mutter. Vielleicht fällt mir noch der eine oder die andere Freundin ein, der es gerade nicht so gut geht. Und dann – was soll ich sagen – kommen mir immer die hungernden Kinder in Afrika in den Sinn und ich ärgere mich und denke: Herrgott nochmal, keine Klischees in Gottes Ohr! Konzentriere dich doch mal auf die letzten Fernsehnachrichten und Handy-News: Klar, wir werden für Israel beten und für Indien. Hier für Frieden, dort für Gesundheit. Für Frieden und Gesundheit, das geht immer.
Aber wird Gott hören, auf unsere immer gleichen Gebete? Beten wir richtig? Werden ihm meine Worte gefallen? Sind sie geistreich genug für seine anspruchsvollen Ohren? Oder zu elaboriert?
Was soll ich beten? Wie soll ich beten? Was soll ich predigen? Wie soll ich predigen? Ach, ich weiß es nicht. Ich brauche mehr Geist! Zum Beten und zum Predigen! Mehr Geist, damit beides geistreicher wird, unser Predigen und unser Beten, geistreicher und geistlicher, inniger, authentischer und origineller, wacher. Mehr Geist, bitte!
Paulus schreibt:
Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 27Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will.
1. Komm, o komm, du Geist des Lebens,
wahrer Gott von Ewigkeit,
deine Kraft sei nicht vergebens,
sie erfüll uns jederzeit;
so wird Geist und Licht und Schein
in dem dunklen Herzen sein.
4. Reiz uns, dass wir zu ihm treten
frei mit aller Freudigkeit;
seufz auch in uns, wenn wir beten,
und vertritt uns allezeit;
so wird unsre Bitt erhört
und die Zuversicht vermehrt. [EG 134, Heinrich Held, 1658]
Wir wissen nicht, was wir beten und was wir predigen sollen. Es fehlt der Geist, der jeden kleinen Seufzer Gebet werden lässt, der jedes unbeholfene Gestammel in Gottes Ohr leitet. Bis der Geist kommt und in uns betet und in uns predigt, bis der Geist kommt und uns Worte gibt, die von Gott kommen und zu Gott gehen, müssen wir an dem festhalten, was wir wissen.
Wir wissen zwar nicht, was wir beten sollen, schreibt Paulus, aber - fügt er hinzu - wir wissen etwas anderes:
28Wir wissen aber, schreibt er weiter, wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.
Welch ein Satz! Welch ein Wissen! Ob Paulus wusste, dass dieser Satz einmal Karriere machen würde, als er ihn schrieb? Fettgedruckt in der Lutherbibel steht er in unzähligen Losungen, Kalenderblättern, Taufurkunden und Konfirmationsurkunden. Ein Satz, den man herausnehmen und an die Wand hängen kann. Ein Satz, der ein Leben lang dort hängt und nicht vergilbt.
28Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.
Ein großartiger Satz! Aber nur, so lange es gut läuft. Wenn es nicht mehr gut läuft, fällt der Satz von der Wand und dir auf die Füße. Dann tut der Satz weh. Wenn nichts mehr zu deinem Besten dient, wenn sich alles gegen dich verschworen hat, dann kommt auch noch dieser Satz und watscht dir ins Gesicht und klagt dich an: Du liebst Gott wohl nicht?!
Ich z.B. habe in den letzten Tagen, ja Wochen einen veritablen Impfneid entwickelt. Täglich melden sich Freunde und Bekannte: Ich habe einen Impftermin! Oder: Ich wurde schon geimpft! Nur mich scheinen sie vergessen zu haben. Liebe ich Gott zu wenig? Läuft alles Bestens, dann liebe ich Gott genug, läuft es aber nicht gut, dann liebe ich den Herrn, meinen Gott, wohl nicht von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt? Nein, das kann es ja wohl nicht sein! Mit der Liebe zu Gott darf man sich nicht verrückt machen. Denn bleischwer wird die Liebe, wenn sie fraglich wird. Und je höher sie hängt, desto tiefer fällt sie. Darum: Nimm sie nicht so schwer, häng sie nicht so hoch, lad sie nicht so auf.
Ihr braucht euch nicht zu fragen und zu quälen, ob ihr Gott liebt von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Ihr tut es. Sonst wärt ihr nicht hier. Warum denn sonst seid ihr in die Kirche gekommen? Wegen der Atmosphäre, wegen dem Pfarrer, wegen der Orgel, um zu singen? Ja, vielleicht auch deswegen. Aber vor allem doch wegen Gott. Weil ihr ihn liebt. Oder euch für ihn interessiert. Und bei Gott, das ist schon Liebe. Weil ihr ihm etwas sagen wollt. Weil ihr beten wollt. Auch das ist Liebe. Heißt Liebe nicht auch Anbetung?
Es hat euch was hier gerufen. Eure Liebe zu Gott.
So erklärt es auch Paulus:
28Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Wer hier ist, ist gerufen und berufen, wer hier ist, liebt Gott. Machen wir es mit der Liebe zu Gott nicht komplizierter als es ist. Sie ist einfacher als die Liebe zu Menschen, weil Gott einfacher ist als Menschen es sind, weil Gott gradliniger und treuer ist, als wir Menschen es sind.
Wer hier ist, der liebt Gott. Und vieles mehr. Wer hier ist, kann gewiss sein und darf gewiss werden: Es ist schon alles geklärt. An jede deiner großen Lebensfragen hat er schon ein grünes Häkchen gesetzt. Beantwortet schon, bevor du sie dir stellst.
Bin ich gewollt? Werde ich gebraucht? Werde ich den Erwartungen gerecht? Werde ich geachtet? Liebt mich jemand? Das sind die Fragen des Lebens. Sie sind beantwortet. Alle. Längst. Von Gott. Ja, ja, ja. Paulus sagt es so:
29Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.
Gott hat dich gewollt, Gott braucht dich, du wirst seinen Erwartungen gerecht, weil Christus dir das abnimmt, du wirst geachtet und geliebt von dem, der dich ins Leben gerufen, gerechtfertigt und geheiligt hat.
Liebe Gemeinde, wenn wir nicht wissen, was wir beten sollen, und nicht wissen, was wir predigen sollen, weil uns der Geist im Stich lässt – das kann vor Pfingsten schon mal der Fall sein – dann vergewissern wir uns das, was wir wissen. Berufen, gerechtfertigt, geheiligt und erlöst. Immer die gleichen alten Wahrheiten. Sie verbrauchen sich nie. Sie vergilben nie. Sie werden nicht alt. Sie bleiben frisch und sie halten frisch – bis der Geist kommt und dir noch bessere und noch frischere Worte gibt, für das, was am Ende doch immer das gleiche ist, weil es mehr als das im Grunde nicht zu predigen und nicht zu beten gibt.
29Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.
In einer Woche kommt der Geist. Eigentlich kommt er immer, wenn man ihn braucht. Wenn man z.B. nicht weiß, was man beten oder was man predigen soll. Dann kommt er und lässt unverhofft das Telefon klingeln. Ich war beim Predigtschreiben am Freitag gerade an diesem Punkt und unglücklich, weil ich doch zum Schluss endlich mal „Butter bei die Fische“ geben müsste und ich eine schöne geistreiche Geschichte erzählen müsste, die davon erzählt, wie einem, der Gott liebt, alle Dinge zum Besten dienen. Doch mir fiel keine ein. Ob der Impfneid auch noch eine Predigtblockade entfacht hat?
Genau an dieser Stelle beim Predigtschreiben klingelte am Freitag das Telefon. Meine Hausärztin ließ mir mitteilen, dass ich für Mittwoch einen Impftermin bekomme. Kein Scherz, kein konstruierter Predigteinfall, die reine Wahrheit, so war es, genauso. Genau in dem Moment, als ich dachte, jetzt muss zum Schluss noch eine schöne Geschichte zu dem Satz her: denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten, klingelte mein Telefon. Da kam zum Impftermin der Geist und ein Lachen und die Sonne, der Impfneid im Nu verflogen, die Blockade aufgelöst und ich dachte: Na, dann ist ja am Ende doch noch was geworden aus dieser Predigt, die so ratlos begonnen hat. Jetzt kann Pfingsten werden und ich kann mit gutem Gewissen Amen sagen:
Amen.
Fürbitten
Komm, Heiliger Geist,
es wird Zeit, das du kommst und uns milde stimmst, und versöhnlich und nachgiebig und hoffnungsfroh. Es wird Zeit das du kommst und uns den Glauben stärkst und auch die Liebe, denn ohne die Liebe ist doch auch der Glaube nichts.
Komm, Heiliger Geist, und bete du in uns. Dein unaussprechliches Seufzen wird von Gott erhört. Rücke uns die ins Blickfeld, die wir übersehen, bring uns ins Gedächtnis die, die wir vergessen haben, entwirre unsere verworrenen Gedanken, korrigiere unsere unbeholfenen Ausdrücke, ergänze unsere unvollständigen Sätze, weite unsere engen Wünsche.
Komm, Heiliger Geist, lehre uns, deine Worte zu weiterzusagen, so, dass sie verstanden werden, so, dass sie geachtet werden, so, dass sie beherzigt werden, so, dass sie neue Wege eröffnen, dass sie versöhnen, wo man hasst, und Vertrauen geben, wo man zweifelt.
Wir bitten dich um Frieden in Israel, Frieden für Israel. Zerreiß die Kette von Gewalt und Gegengewalt, lass die Raketen ihr Ziel verfehlen, gib der Hamas Vernunft und der Regierung Israels Weisheit.
Dämme das Virus ein, wo es noch unkontrolliert wütet, besonders in Indien, in Brasilien und Argentinien.
Und nun, Gott, Vater im Himmel, höre auf die Bitten, die bedachten und die unbedachten, die wohl formulierten und die geseufzten, die jede und jeder in der Stille spricht.
Amen.