Anfänge in Gottes Namen
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. (Ps 124,8)

Aller Anfang geschieht im Namen Gottes, alle Hilfe kommt von Gott.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Am Anfang der Bibel steht, dass Gott Himmel und Erde schuf. Am Anfang dieser Gemeinde steht Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Am Anfang des ersten Dokuments dieser Gemeinde steht, dass alle Hilfe und aller Anfang im Namen des Gottes geschieht, der Himmel und Erde gemacht hat.

Aller Anfang geschieht im Namen Gottes, alle Hilfe kommt von Gott.

***

Am 10. Juni 1672 schlug jemand ein ledergebundenes Buch voller leerer Seiten auf, griff nach der Feder, tauchte die Spitze in die Tinte und schrieb oben auf die erste Seite:

Notre aide et notre commencement soit au nom de Dieu qui a fait le ciel et la terre. Amen.

Der 10. Juni 1672 war ein Freitag, wie in diesem Jahr auch. Und am Sonntag werden sie Gottesdienst gefeiert haben, am 12. Juni 1672. Das war der Sonntag Trinitatis, wie in diesem Jahr auch. Der Sonntag, der der Dreieinigkeit Gottes gewidmet ist, Gott, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Weil Menschen aus den Völkern den Gott Israels und Schöpfer des Himmels und der Erde durch Jesus Christus kennengelernt haben. Und weil die beiden, Christus und der Heilige Geist, ihnen erlauben, zu Gott Vater zu sagen. Und der Zeitgeist erlaubt uns, zu Ihr auch Mutter zu sagen und Heilige Geistkraft statt Heiliger Geist. Das haben sie 1672 sicher noch nicht gemacht. Manche misstrauen dem Zeitgeist, weil sie meinen, er sei das Gegenteil vom Geist der Wahrheit und also ein Gegengeist zum Geist Gottes. Aber das ist noch lange nicht ausgemacht. Die Ewige geht mehr mit der Zeit als die Gralshüter der Dogmen ihm das zutrauen.

Manches aber bleibt sich gleich und muss sich gleich bleiben. Dass man den Gottesdienst in Namen Gottes beginnt, das bleibt sich gleich durch alle Zeiten und Zeitalter hindurch, auch wenn die Namen Gottes weiblicher geworden sind.

Vieles hat sich geändert in den 350 Jahre Französische Kirche. Dass es Frauen im Consistoire gibt. Dass es Pastorinnen gibt. Und manches ist gleichgeblieben wie am Anfang. Dass die Gemeinde ihr Pastoren und Pastorinnen wählt, aber die Ältesten berufen werden. Und dass die Zehn Gebote vorgelesen werden. Wir ändern uns und bleiben uns doch gleich. Das ist mit der Kirche nicht anders wie mit den Menschen.

Aber um sich gleichzubleiben, um Identität zu wahren bei aller Veränderung, muss man der Anfänge gedenken und dessen, was vor den Anfängen war. Das tun wir heute. Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

***

Am Anfang dieser Gemeinde steht dieser Satz, der am Ende eines Psalms steht.

Ps 124 legt Israel Worte der Erinnerung in den Mund: Es war der Herr, der Israel gerettet hat, vor seinen Feinden, auf der Flucht vor den Ägyptern durch das Wasser. Immer wieder haben seine Feinde versucht, Israel zu fangen. Gott hat es befreit. Deshalb kann es am Schluss als Fazit und Merksatz sagen: Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Die Hugenotten lasen die Psalmen und fühlten sich wie Israel. Angefeindet, bedrängt, aber von Gott beschützt, geleitet, befreit.

Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Mit diesem Satz hört der Psalm auf und fängt die Geschichte der Berliner Hugenottengemeinde an.

Weil aus dem letzten Satz eines Psalms ein erster Satz für alles geworden ist, was man im Namen Gottes anfängt, muss einer irgendwann zur Hilfe noch den Anfang gesetzt haben. Jetzt heißt der Satz also: Unsere Hilfe und unser Anfang steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat

***

Jede Gemeindegründung ist ein Neuanfang in einer uralten Geschichte. Jeder Neuanfang lebt aus der Erinnerung an glücklich gewendete Not. Jeder Anfang, der glücken soll, geschieht im Namen Gottes.

Es ist der Name des ewigen Gottes, der Anfang und Ende umspannt, der sich und uns treu ist und der doch in und mit der Zeit geht. Sich in allem Wandel treu bleiben - das ist die Weisheit Gottes und die Kunst des Lebens und das Überleben der Kirche. Die Kirche hat das ganz gut hingekriegt. Es gibt sie seit fast 2000 Jahren. Die Französische Kirche hat das auch ganz gut hingekriegt. Es gibt sie seit 350 Jahre. Wer es schafft, sich treu zu bleiben, hat keine Angst vor Veränderung. Wer sich erinnert, wo er herkommt, kann sich wandeln, ohne sich zu verlieren.

Unsere Hilfe und unser Anfang steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Die ersten dokumentierten Worte dieser Gemeinde verweisen sie auf einen Anfang, der vor ihrem Anfang liegt, und auf eine Hilfe, die vor aller Hilfe liegt, die sie geben kann. Wenn sie sich das immer wieder in Erinnerung ruft, kann sie auch im Zeitgeist den Geist Gottes entdecken, kann sie mit der Zeit gehen und dennoch Gott und sich treu bleiben.

Notre aide et notre commencement soit au nom de Dieu qui a fait le ciel et la terre. Amen.