„O Gott…“ – über ein abgesoffenes Gleichnis und die Rettung durch ein Lied
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt, ist einem klugen Mann gleich, der sein Haus auf Fels gebaut hat. 25Da gingen Regengüsse nieder, Sturzbäche kamen, und Winde wehten und warfen sich gegen das Haus, und es stürzte nicht ein. Denn Fels war sein Fundament. 26Und jeder, der diese meine Worte hört und nicht danach handelt, ist einem törichten Mann gleich, der sein Haus auf Sand gebaut hat. 27Da gingen Regengüsse nieder, Sturzbäche kamen, Winde wehten und schlugen gegen das Haus, und es stürzte ein, und sein Sturz war gewaltig.

 

Als die Sturzbäche weg waren, die sein Haus mitgerissen hatten, kamen die Fragen: Warum haben die Vorfahren das Haus so nah an den Fluss gebaut, warum auf Schwemmland, warum auf Sand? Warum ist die Ahr so angeschwollen wie nie zuvor seit Menschengedenken? Wessen Schuld ist das alles? Und warum heißt dieser verdammte Ort „Schuld“.

Es gibt Zufälle, die wären komisch, wenn sie nicht so tragisch wären. Warum ist gut zwei Wochen nach der Flutkatastrophe dieses Gleichnis Predigttext? „… wie ein törichter Mann, der sein Haus auf Sand gebaut hat. Da gingen Regengüsse nieder und Sturzbäche kamen …“

Als die Sturzbäche weg waren, die sein Haus mitgerissen hatten, kamen die Fragen: Ist er dieser törichte Mann. Sein Haus in Schuld ist weg. Ist es seine Schuld? Hat er etwa nicht auf Jesus gehört? Hätte er weniger Auto fahren sollen? Hätte er auf die paar Urlaube mit dem Flieger verzichten sollen? Hat Jesus gesagt, er solle weniger Auto fahren, weniger fliegen, weniger heizen, weniger CO2 ausstoßen?

Wenn die Sturzbäche weg sind, die die Häuser mitgerissen haben, kommen nicht nur die Fragen nach der Schuld, sondern auch noch Predigttexte, die einen verwirren. Es doch nur ein Gleichnis! Aber wenn das, was doch bloß Vergleich und Bildseite sein soll, so schrecklich Wirklichkeit wird, dann wird ein Gleichnis zu einem unheimlichen Text.

Ich will über dieses Gleichnis vom Hausbau, das nach der Ordnung der Predigttexte heute dran wäre, nicht weiter predigen. Man kann darüber gut zwei Wochen nach der Flutkatastrophe nicht predigen. Die Wirklichkeit hat das Gleichnis überspült, seine Aussage ist untergegangen. Das Gleichnis steht am Ende der Bergpredigt. Wahrscheinlich kann man solche Vergleiche nur anstellen, wenn man auf einem Berg steht. Unten im Tal verbieten sie sich, und in Zeiten, in denen sich der Bildteil als brutale Wirklichkeit in Szene gesetzt und die Aussage mitgerissen hat, erst recht.

Darum bin ich froh, dass Rainer Scharf mich auf das schöne Lied aufmerksam gemacht hat, das wir schon gesungen haben. Weil er Variationen aus Bachs Partita über dieses Lied spielt, habe ich es mir genauer angesehen und finde, dass es ein sehr schönes Lied ist. Ist das eine Flucht vor einem schwierigen Predigttext und Feigheit vor einer schwierigen Situation?

Vielleicht. Aber es gibt Situationen, da scheint es mir sinnvoller zu beten, als zu predigen. Das Lied von Johann Heermann ist ein Gebet. Auch Beten will gekonnt sein. Das Lied „O Gott, du frommer Gott“ ist ein gekonntes Gebet. Und ein gekonntes Gebet ist auch eine Predigt, weil es uns auf das hinweist, was wirklich wichtig ist.

 

Es beginnt aber wie jedes Gebet mit einer Anrufung Gottes, die Gott und den Beter daran erinnert, wer Gott ist:

1. O Gott, du frommer Gott,

du Brunnquell guter Gaben,

ohn den nichts ist, was ist,

von dem wir alles haben:

gesunden Leib gib mir

und dass in solchem Leib

ein unverletzte Seel

und rein Gewissen bleib.

Der erste Wunsch ist eigentlich immer der nach der Gesundheit. Bei Geburtstagen: Was soll ich Ihnen wünschen? Gesundheit! Und das ist ja auch verständlich, denn ohne Gesundheit ist alles andere nichts. Geld, Ansehen, Macht, selbst die Liebe ist doch alles nichts, wenn man unter Schmerzen und körperlichen Einschränkungen leidet. Allerdings denkt Heermann nicht nur an die leibliche Gesundheit, sondern er bittet auch um eine unverletzte Seele und ein reines Gewissen. Wir wissen, dass Menschen unter seelischen Verletzungen oft weit mehr leiden als unter körperlichen Gebrechen.

Das Lied steht in unserem Gesangbuch unter der Rubrik „Arbeit“. Um die Arbeit geht es eigentlich nur in der 2.Str. Gott soll helfen, dass wir in unserem Stand das fleißig tun, wozu wir von Gott berufen sind. Luther hatte die mittelalterliche Ständelehre modifiziert: die Stände (Adel, Klerus, Bürger, Handwerker, Bauer) werden nicht durch unsere Herkunft und Geburt begründet, sondern durch die Berufung durch Gott: Jeder muss in dem Stand, in den Gott ihn berufen hat, Gott und dem Nächsten dienen.

2. Gib, dass ich tu mit Fleiß,

was mir zu tun gebühret,

wozu mich dein Befehl

in meinem Stande führet.

Gib, dass ich’s tue bald,

zu der Zeit, da ich soll,

und wenn ich’s tu, so gib,

dass es gerate wohl.

Die dritte Strophe gefällt mir besonders gut. Da geht es unsere Worte, um das, was wir sagen. Nicht nur, weil ich als Pfarrer gewissermaßen ein Wort- oder Spracharbeiter bin, sondern weil wir alle unsere Beziehungen, unsere sozialen Kontakte im Wesentlichen durch Sprache gestalten, durch das, was wir sagen und vor allem auch: Wie wir es sagen. Man denkt immer, Worte seien Schall und Rauch, auf die Taten komme es an. Und das sagt im Grunde ja auch das Gleichnis, über das heute eigentlich zu predigen wäre: Nur, wer die Worte Jesu, die er gehört hat, auch tut, hat auf guten Grund gebaut. Aber das heiß ja nicht, dass es nicht auch auf die Worte ankäme. Worte können sehr viel bewirken, aufbauen, aber auch kaputt machen. Gott selbst handelt ja vor allem durch seine Worte an uns und wird uns einmal nicht nur nach unseren Taten, sondern auch nach unseren Worten beurteilen.

3. Hilf, dass ich rede stets,

womit ich kann bestehen;

lass kein unnützlich Wort

aus meinem Munde gehen;

und wenn in meinem Amt

ich reden soll und muss,

so gib den Worten Kraft

und Nachdruck ohn Verdruss.

4. Find’t sich Gefährlichkeit,

so lass mich nicht verzagen,

gib einen Heldenmut,

das Kreuz hilf selber tragen.

Gib, dass ich meinen Feind

mit Sanftmut überwind

und, wenn ich Rat bedarf,

auch guten Rat erfind.

Die 4. Strophe bitten um Mut. Aber nicht um Mut gegen die Feinde, sondern um Mut, das Kreuz zu tragen. Gegen unsere Feinde bitten wir nicht um Mut, sondern um Sanftmut. Wir wollen sie nicht besiegen, sondern mit Sanftmut überwinden.

Dem schließt sich in der nächsten Strophe nahtlos die Bitte um Friede und Freundschaft mit allen Menschen an. Was dabei allerdings die Einschränkung „so weit es christlich ist“ bedeutet, ist mir nicht ganz klar. Soll es heißen: Frieden mit Christen ja, aber nicht etwa mit den muslimischen Türken? Solch eine Einschränkung würde wir heute nicht mehr machen.

Dann aber kommt wieder etwas Erstaunliches: Für den Fall, dass Gott uns mit Reichtum, mit Geld und Vermögen segnet, bitten wir darum, dass nichts unrechtmäßig Erworbenes dabei sei. Offenbar wurde damals schon etliche durch die Hehlerei mit Diebesgut oder erpressten Gütern reich. Die Bitte hat heute nichts an Aktualität verloren. Reiche müssen sich genau anschauen, was die Bank mit ihrem Geld macht und welche Aktien sie kaufen. Bekomme ich die Rendite durch Cum-Ex-Geschäfte oder gar durch Investments, die am Ende der Geldwäsche dienen? Je mehr Vermögen einer hat, desto dringender muss er beten:

5. Lass mich mit jedermann

in Fried und Freundschaft leben,

so weit es christlich ist.

Willst du mir etwas geben

an Reichtum, Gut und Geld,

so gib auch dies dabei,

dass von unrechtem Gut

nichts untermenget sei.

Lieder aus dieser Zeit haben immer ein dickes Ende. Der Tod prägte da Leben damals viel mehr als heute. Er stand einem wirklich täglich vor Augen. Die Menschen haben damals noch Tote gesehen. Sie hatten unsere Sterblichkeit vor Augen. Heute sieht man ja keine Toten mehr. Außer man ist Arzt oder Bestatter. Die Menschen sind auf einmal weg. Mehr als damals muss man heute an unsere Sterblichkeit glauben.

Drei von acht Strophen widmen sich dem Ende.

Str. 6 bedenkt das Alter, Str. 7 das Sterben und Str. 8 die Auferstehung. Trotz des immer dicken Endes schließen diese Lieder hoffnungsvoll, weil sie – natürlich – noch an die Auferstehung glauben.

Zunächst die Bitte um ein würdevolles Altern:

6. Soll ich auf dieser Welt

mein Leben höher bringen,

durch manchen sauren Tritt

hindurch ins Alter dringen,

so gib Geduld; vor Sünd

und Schanden mich bewahr,

dass ich mit Ehren trag

all meine grauen Haar.

Es hat lange gedauert, bis es meinem Bruder, meiner Frau und mir gelungen ist, meine Mutter davon zu überzeugen, sich die Haare nicht mehr färben zu lassen. Aber das hat ihr geholfen zu akzeptieren, dass sie eine alte Frau ist. Sie ist jetzt entspannter als zuvor. Es gibt nichts Verkrampfteres als die beharrliche Verleugnung des Alters. Die Verleugnung des Alters, die Angst vor dem Altern und die mangelnde Ehrerbietung dem Alter gegenüber – das ist auch so etwas, das in unserer westlichen Konsumgesellschaft schief läuft. „… dass ich mit Ehren trag all meine grauen Haar“, das ist ein Gebot christlicher Lebensführung.

7. Lass mich an meinem End

auf Christi Tod abscheiden;

die Seele nimm zu dir

hinauf zu deinen Freuden;

dem Leib ein Räumlein gönn

bei seiner Eltern Grab,

auf dass er seine Ruh

an ihrer Seite hab.

Die Vorstellung von einer unsterblichen Seele hält sich hartnäckig, obwohl sie sich in der Bibel nicht findet. Auch hier, in der besten Zeit protestantischer Frömmigkeit. Tritt der Tod ein, trennt sich die Seele vom Leib. Der Leib wird begraben, nicht irgendwo in der Fremde, sondern – darum bitten wir Gott – dort, wo er in gehört, ins Elterngrab. Die Seele aber kommt zu Gott und soll bei Gottes Freunden Gesellschaft finden.

Der Glaube an eine leibliche Auferstehung ist, obgleich ein Kernstück des christlichen Glaubens, heute selbst unter Christen rar geworden. Mir ist diese Hoffnung, ja mehr noch: der Ausblick auf die leibliche Auferstehung wichtig, obwohl ich ihn mir und euch nicht erklären kann. Vielleicht fehlt mir einfach der Mut, ohne diesen Ausblick leben zu können, der Mut, den Tod als das Ende und die Vernichtung all dessen zu akzeptieren, was ich war und bin. Ich bin zu feige zum existentialistischen Nichts.

So unbiblisch Heermann in der 7. Str. mit der Vorstellung einer vom Leib abtrennbaren Seele ist, so biblisch ist er wieder in der 8.Str. In biblischen Zeiten glaubten die Christen an die leibliche Auferstehung und an das baldige Ende der Welt und die Wiederkunft Christi. Alles war miteinander verbunden: Wenn diese Welt zu Ende geht, kommt Christus wieder und weckt die Toten auf.

Nun wartet die Welt schon 2000 Jahre auf die Wiederkunft Christi und ihr Ende und je länger sie wartet, desto weniger Lust hat sie darauf, unterzugehen. Im Gegenteil, wir ersehnen nicht das Ende der Welt wie die Christen in biblischer Zeit, sondern wir befürchten es. Und wenn das menschliche Leben in dieser Welt an sein Ende kommt, dann hat es nicht Gott herbeigeführt, sondern dann haben wir Menschen unser Haus unbewohnbar gemacht, weil wir darin hausten wie die Vandalen.

So bleibt es eine der größten Herausforderungen unseres Glaubens, auf die Auferstehung des ganzen Menschen zu hoffen und gleichzeitig dafür zu beten und daran zu arbeiten, dass diese Welt noch lange besteht und uns die Erde ein Zuhause bietet, in dem wir gerne leben.

8. Wenn du die Toten wirst

an jenem Tag erwecken,

so tu auch deine Hand

zu meinem Grab ausstrecken,

lass hören deine Stimm

und meinen Leib weck auf

und führ ihn schön verklärt

zum auserwählten Hauf.

Amen.

 

Fürbitten

O Gott, du frommer Gott,

alles kommt von dir, auch die Gesundheit. Halte uns den Leib und auch die Seele gesund, damit wir ohne Schmerzen und ohne Unmut dich loben können. Erleichtere alle, die Lasten und Schatten auf ihrer Seele haben.

Bewahre uns vor sinnlosem Tun und segne die Frucht unserer Arbeit, dass sie das Leben und die Welt ein kleines Stück besser machen.

Ich will auf meine Worte achten und achte du auch auf sie. Fahr mir übern Mund, wenn ich Blödsinnrede oder andere sich über das ärgern müssen, was ich sage. Wenn wir aber was Wichtiges zu sagen haben, dann hilf du, dass es verstanden und beherzigt werde.

Heldenmut brauchst du uns nicht zu geben, lieber Gott, aber Sanftmut, damit wir mit Geduld und Empathie alle Widrigkeit der Menschen überwinden.

Bewahre uns vor Feindseligkeit, Habgier und Korruption, führe uns auch nicht in Versuchung, dass wir selbst korrupt werden oder opportunistisch.

Hilf uns, ewiger Gott, in Würde zu altern, geduldig und fröhlich zu sein bei allem, was nicht mehr ist und nicht mehr geht und, barmherziger Gott, bürde uns kein Leben auf, das über die uns bemessene Zeit geht. Das ewige Leben soll uns nach der Auferstehung von den Toten blühen und nicht davor. Lass uns erkennen, wann es Zeit ist zu gehen, und lass es auch alle erkennen, die um uns sind, auch die Ärzte. Und wenn du die Toten auferwecken wirst, dann vergiss mich nicht. Ich will auch dabei sein. Amen.