Gott knausert nicht
Pfarrer Dr. Matthias Loerbroks

Als aber viele Massen zusammenkamen und sie Stadt um Stadt ihm zuliefen, sprach er durch ein Gleichnis: Der Sämann zog hinaus, um seinen Samen zu säen. Und während er säte, fiel einiges an den Weg daneben und wurde zertreten, und die Vögel des Himmels fraßen es weg. Und anderes fiel auf den Felsen, wuchs und verdorrte, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und anderes fiel mitten unter die Disteln, und die Disteln wuchsen mit und erstickten es. Und anderes fiel auf die gute Erde, wuchs und brachte Frucht, hundertfältig. Dies sagte er und rief: Wer Ohren hat zu hören, höre!

Da geht jemand reichlich verschwenderisch um mit seinem Hab und Gut, mit seinem Saatgut. Er streut einfach aus, ohne genau darauf zu achten, wo es hinfällt. Und so geht Manches daneben. Doch das bekümmert ihn nicht. Unbekümmert und sorglos wirft er die Samenkörner in die Gegend, überschwänglich, übermütig. Kein ängstlicher und enger Mensch ist das, der etwa alle paar Schritte Probebohrungen vornimmt, ob der Boden auch gut genug ist, aussichtsreich. Sondern er ist großzügig. Und er kann sich diese Großzügigkeit leisten. Etwas wird schon auf fruchtbaren Boden fallen. Und was da hin fällt, aufgeht, Wurzeln schlägt, das trägt so viel Frucht, dass es wirklich nicht drauf ankommt, wenn einiges am Wegesrand zertreten wird oder von Vögeln aufgefressen, einiges auf felsigem Grund verdorrt, einiges unter Dornen erstickt. Sei's drum. Der Mann ist sich sicher, dass er nicht vergeblich arbeitet. Die wundersame Kornvermehrung auf dem guten Land ist so gewaltig, dass zu Wut über das verlorene Saatgut kein Raum bleibt. Was da aufwächst, ist mehr als genug. Er braucht sich keine Sorgen zu machen. Und er macht sich auch keine.

Das Wachstum der Saat auf fruchtbarem Boden ist so großzügig und verschwenderisch wie der Sämann, der sie ausstreut. Der Same, der auf gute Erde fällt, bringt Frucht – hundertfältig. Das ist nun auch in der Bibel nicht das Normalmaß, sondern Maß für eine ganz wundersam erfolgreiche Ernte, sichtbares Zeichen für Gottes Segen. Einst hatte Gott dem Abraham versprochen, er werde gesegnet sein und seinerseits ein Segen für andere. Und dieses Versprechen galt auch Abrahams Sohn Isaak. Als dann trotz dieser Verheißung im Land Israel eine Hungersnot ausbricht, erinnert Gott den Isaak an dieses Versprechen und befiehlt ihm, nicht die Flucht nach Ägypten zu ergreifen wie einst Vater Abraham, der dort seine Frau Sara im Stich ließ. Isaak bleibt im Land, entgeht nicht nur der Hungersnot, sondern, so heißt es: Isaak säte in dem Land und erntete in jenem Jahr hundertfältig, denn der HERR segnete ihn. Und er wurde ein reicher Mann, immer reicher, bis er sehr reich war. Dieses überraschende Wachstum erregt zunächst den Neid der Philister, die damals das Land beherrschen, und sie bekämpfen ihn. Aber dann – eine für die heutige Lage im Land verheißungsvolle Wendung – ändern sie ihre Meinung, finden es besser, einen so offenkundig Gesegneten zum Freund zu haben, schließen mit ihm einen Bund. Und so hatte Gott sich das ja auch gedacht mit seinem Segen für Abraham, Isaak und Jakob: der soll Allen zugutekommen. Hundertfältig wurde so zum Ausdruck für den Reichtum von Gottes Segen. Noch heute gibt es ein Stadtviertel in Jerusalem, in dem besonders toratreue Juden leben, das nach dieser Isaak-Geschichte Mea Schearim, hundertfältig, heißt.

So ein Gesegneter ist auch der Sämann in unserer Geschichte. Ein Gesegneter hat es nicht nötig, kleinlich und kleinkariert zu sein. Er kann großzügig sein. Er braucht sich keine Sorgen zu machen.

Jesus erzählt diese Geschichte, um zu erklären, wie es mit dem Reich Gottes ist, wie es kommt und sich durchsetzt. Seit Beginn seines öffentlichen Auftretens redet Jesus davon, das Reich Gottes sei zum Greifen nah. Gott hat sich nicht abgefunden mit dem schreienden Unrecht der bestehenden Welt, er will die Welt verändern, Gerechtigkeit durchsetzen, Frieden, Leben in Fülle. Sein Reich. Und mit dieser Botschaft findet er mächtig Anklang: viele Leute kommen zusammen, Stadt um Stadt laufen sie ihm zu. Aber ist diese plötzliche Begeisterung auch haltbar? Werden ihm die Leute auch dann die Treue halten, wenn es ihnen schwer wird? Werden sie nicht beim ersten Konflikt mit der bestehenden Welt, mit den jetzt herrschenden Mächten einknicken, umfallen? Darüber, sagt Jesus, mach ich mir keine Illusionen. Aber auch keine Sorgen. Und erzählt diese Geschichte.

So ist das nämlich mit Gott und seinem Reich. Gott knausert nicht, kalkuliert nicht. Er streut einfach aus. Wie Liebende, die ohne Berechnung ihre Liebe verströmen. Wenn sie anfangen zu rechnen, abzurechnen, aufzurechnen, wieviel sie geben, wieviel sie dafür bekommen, dann ist die Liebe schon vorbei. Solange sie lieben, kommt ihnen nicht in den Sinn, ihre Liebe könnte verschwendet sein. Sie sind sich sicher, dass sie auf fruchtbaren Boden fällt. Es wäre jammerschade, sie zurückzuhalten. Auch Gott ist sich sicher, dass er nicht vergeblich arbeitet.

Oft kann man den Eindruck haben, dass Gott völlig gescheitert ist. Vielleicht hat er, in jüdischer Tradition wird damit gerechnet, seinen Bund, seine Tora zuvor schon anderen Völkern angeboten. Aber dann kann man darüber wenig sagen, weil er offenbar nur bei Israel offene Ohren, fruchtbaren Boden fand. Aber wird dieses Volk nun von den anderen als ein Segen für alle dankbar begrüßt, freundlich aufgenommen? Keine Rede davon: es wird verachtet, gemieden, verleumdet, gequält. Und doch lebt dieses Volk, auch in unserem Land, die Finsternis hat dieses Licht nicht auslöschen können.

Und Jesus selbst. Da sendet Gott seinen Sohn. Eine Liebeserklärung an alle Menschen, sein Ja-Wort in Person. Und ausgerechnet einer seiner engsten Freunde, einer der Zwölf, überliefert ihn an die führenden Leute seines Volkes, die wiederum überliefern ihn in die Hände der Völker, und die bringen ihn um. Und dann hat Jesus doch unermesslich viele Anhänger gefunden, gerade unter den Völkern.

Aber was haben die bewirkt? Haben sie sich, befreit von Angst, von aller Schicksalsergebenheit, froh und munter daran gemacht, nach dem Reich Gottes zu trachten, für Gerechtigkeit zu kämpfen, für Versöhnung und Frieden zu arbeiten? Einige schon. Viele aber klammerten sich ängstlich ans Bestehende, stützten und unterstützten Ausbeutung und Unterdrückung, trugen nicht zum Frieden bei, sondern zum Hass. Und doch hat das Evangelium nie nur als einlullendes Opium gewirkt, immer wieder seine Sprengkraft gezeigt, hundertfältig.

Mit seiner Geschichte vom überschwänglich verschwenderischen Sämann will uns Jesus dazu ermuntern, großzügig zu sein, nicht eng und verkniffen zu werden, berechnend, ängstlich zurückhaltend. An dem, was ihr verkrampft zurückhaltet, damit es nur ja nicht die Falschen kriegen, werdet auch ihr nicht froh, nicht glücklich. Sondern ersticken. Mag ja sein, dass vieles danebengeht. Aber ihr könnt nie wissen, was alles doch und wo und wann überraschend und überwältigend Wirkung zeigt, Frucht bringt.

Paulus, einer der größten Schüler und großzügigsten Verbreiter des Evangeliums, schreibt: Ist Gott für uns, wer mag gegen uns sein? Welcher auch seines eigenen Sohns nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle dahingegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Angesichts dieses hingebungsvollen Geschenks Gottes ist nicht zu verstehen, dass wir im Ausstreuen des Evangeliums, im Teilen und Mitteilen von lebendigem Leben, Lebenskraft und Lebenslust so eng und ängstlich, kleinlich und kleinlaut sind. Liebe Gemeinde, ihr seid Gesegnete des HERRN, könnt es euch darum leisten, großzügig, überschwänglich zu sein. Lasst euch anstecken von Gottes übermütiger Sorglosigkeit.

Amen