Liebe Gemeinde,
wir haben es heute – ganz im Zeichen der Passionszeit - mit einer finsteren Geschichte zu tun.
„Während er aber noch redete“ – so beginnt der Predigttext. Es ist Nacht. Jesus ist niedergeschlagen. Gemeinsam mit seinen Jüngern war er in den Garten Gethsemane gegangen. Er spürte: die Schlinge um ihn zog sich langsam zu. Er hatte gebetet und um den richtigen Weg gerungen. Seine drei engsten Freunde hatte er mit sich genommen, damit sie mit ihm wach bleiben und beten. Aber sie schliefen ein. Das war wahrscheinlich gar nicht böse gemeint. Sie waren einfach erschöpft, vielleicht auch deprimiert. Auch sie merken; die Finsternis legte sich langsam sie. Vielleicht erinnert uns das an den Lock-Down – diese Zeit, in der viele von uns diese tiefe Müdigkeit und Trägheit gespürt haben.
Nun aber kommt plötzlich Bewegung in die Szene. Nicht dass es damit besser würde – aber zumindest das Warten hat ein Ende. Ich lese den Predigttext aus Lukas 22. Das heißt es
Während er (Jesus) noch redete, da kam eine Schar, und der, welcher Judas hieß, einer von den Zwölfen, ging ihnen voran; und er ging auf Jesus zu, um ihn zu küssen. Da sagte Jesus zu ihm: Judas, mit einem Kuss lieferst du den Menschensohn aus? Als nun seine Begleiter sahen, was da geschehen sollte, sagten sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohen Priesters und hieb ihm das rechte Ohr ab. Jesus aber entgegnete: Lasst das! Nicht weiter! Und er rührte das Ohr an und heilte ihn. Dann sagte Jesus zu den Hohen Priestern und zu den Hauptleuten der Tempelwache und zu den Ältesten, die zu ihm gekommen waren: Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen, mit Schwertern und Knüppeln? Tag für Tag war ich bei euch im Tempel, und ihr habt mich nicht festgenommen; aber das ist eure Stunde, und darin besteht die Macht der Finsternis.
Die Macht der Finsternis – sie schlägt zu.
Ich kann nicht anders als kurz an Star Wars zu denken. Da würde es jetzt heißen: Gut gegen Böse, die Schlacht beginnt! „Möge die Macht mit dir sein.“ Und einer von den Jüngern ist ganz so wie ein Yedi-Jünger. Er zieht sein Schwert und …. trifft nicht ganz. Nur das Ohr hat er erwischt. Er, der gerade noch geschlafen hat, ist froh, jetzt endlich was tun zu können. Sich beweisen zu können. Aktiv zu sein. Ich kann ihn verstehen. Man muss doch irgendetwas tun! Zum Nichtstun und warten verdammt zu sein, während die eigene Welt zu Bruch geht – das hält man kaum aus. Aber rettet das die Situation?
Die Macht der Finsternis – sie küsst.
Im Gewand der Freundschaft kommt sie daher. Judas heißt der Jünger, der Jesus verrät. Er hatte sich weggeschlichen von den anderen. Er hatte den Hohenpriestern und Hauptleuten gesagt, wo sie diesen Jesus ergreifen können. Nicht öffentlich, so dass es Aufregung gegeben hätte. Nicht im Tempel, nein. Sondern: Heimlich, nachts, abseits. Steckbriefe gab es damals noch nicht. Auch keine Fotos. Also wussten die Soldaten nicht, wen sie hätten ergreifen sollen. Man musste ein Erkennungszeichen ausmachen. Ein Kuss – als Erkennungszeichen. Ein Kuss - Ausgerechnet.
Und Jesus, wie reagiert er?
Muss er nicht maßlos enttäuscht gewesen sein von seinem Freund Judas? So viel hatten sie gemeinsam erlebt, so vertraut waren sie sich. Vermutlich wurde jeder und jede von uns schon mal hintergangen, kennt dieses Gefühl: die Scham, die Schande, die Fassungslosigkeit. Das kann doch nicht sein! Nicht der, der nicht! Der wird mich doch nicht hintergehen. Manch eine Freundschaft, manch eine Beziehung führt in die bittere Erkenntnis, dass der oder die andere längst andere Pläne hatte. Oder manch eine Kollegin ist klammheimlich an einem vorbeigezogen, hat im Hinterzimmer Deals unter der Hand abgeschlossen. Sich den Posten ergattert, nur die eigenen Ziele vor Augen gehabt. Intrigiert wird vor allem da, wo man sich gut kennt: in der Familie, unter Freunden, auf der Arbeit – und ja auch in der Kirche.
Wer dann zum Opfer wird, den drängt es, um sich zu schlagen – oder Pläne zu schmieden, es dem anderen genauso heimzuzahlen. Oder die passiv aggressive Variante: zu hoffen, dass ganz ohne das eigene Zutun dem anderen etwas Schlechtes widerfährt. Ohne das man sich sozusagen selbst die Hände schmutzig macht. Man also die Gute bleiben kann und trotzdem ein stückweit die Misere des Anderen ansehen kann. So weit so menschlich.
Doch nicht so Jesus. „Verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?“, fragt er Judas. Das klingt nicht wehrhaft, standhaft und wütend, sondern niedergeschlagen, verletzt und enttäuscht. So wird auch der Hieb mit dem Schwert von Jesus nicht gutgeheißen. Nein, keine Gewalt. „Nicht weiter!“ Im Gegenteil: Jesus versorgt den Soldaten mit dem abgeschlagenen Ohr.
Alles was Jesus gegen seine Gefangennahme setzt, ist die Frage, warum sie ihn nicht im Tempel ergriffen haben. Aber eigentlich weiß er das. In der Öffentlichkeit ergreifen die Leute leicht Partei für einen charismatischen Führer wie ihn; aber wenn er erstmal als Verbrecher angeklagt ist, dann bröckelt die Zustimmung. Vielleicht ist ja doch was dran, wenn die Justiz ihn schon festgesetzt hat …
So endet unser Predigttext mit den Worten von Jesus: „Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“
Der Sonntag heute heißt OKULI. Er zitiert damit auf Latein einen Vers aus dem Psalm 25, den wir vorhin als Trostwort gehört haben: „Oculi mei semper ad Dominum.“ - „Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“
Auf den Herrn sehen. Auf Jesus schauen. Wie ist das in dieser Geschichte des Verrats? Wir sehen einen Menschen an einem Tiefpunkt seines Lebens. Jesus wird nichts erspart – auch der Verrat nicht. Trotzdem bleibt er ruhig. Er nimmt die Situation an, so wie sie ist. Er will nicht auch noch seine Jünger in Gefahr bringen. Er weiß für sich selbst, dass er diesem Weg folgen muss – die anderen aber sollen frei gehen können.
Auf Jesus schauen. Das heißt in diesem Zusammenhang vielleicht eine schwierige Situation aushalten zu können. Nicht drein zu schlagen. Keinen Gegenangriff zu planen. Der Finsternis ein Stück weit ihre Macht zu lassen – Vielleicht heißt das auch unterscheiden zu können welcher Kampf sich zu kämpfen lohnt und wann es nur Verlierer geben kann?
Wir kommen auch in der Passionszeit immer von der Auferstehung her und blicken mit diesen Augen auf den Verrat und auf das kommende Kreuz. Und so wissen wir schon immer: Jesus ist das Licht, das letztlich nicht verlöschen wird. Im Gegenteil. Strahlend wird es aufgehen am Ostermorgen. Wir wissen das – die Jünger damals und wohl auch Jesus wussten das nicht. Sie konnten nur ihr Vertrauen auf Gott setzen, dass er es schon richtigmachen wird – irgendwie. Und sie mussten warten und durch viel Angst und Trauer hindurchgehen, bis ihr Vertrauen belohnt wurde. Erst auf Kreuz und Tod folgt die Auferstehung und das neue Leben.
Wir erleben es immer wieder, dass die Finsternis Macht hat und Macht ergreift: Im persönlichen Leben und auf der politischen Bühne, im Beruf und in der Wirtschaft, selbst in der Wissenschaft – in unserer Welt kann fast alles sowohl zum Guten als auch zum Schlechten dienen. Und ich bin die allerletzte, die dazu ermuntern würde Dinge einfach hinzunehmen, ohne Murren zu ertragen, auf sein Recht zu verzichten, geduldig und demütig zu sein – vor allem als Frau. Nein. Wir können für uns und andere einstehen, aufstehen, wählen, demonstrieren, streiken, spenden. Das alles geht.
Aber es gibt da noch die anderen Kämpfe. Die Schlachten, die nicht zu gewinnen sind oder bereits endgültig verloren gegangen sind, eine zugefügte Verletzung, die ich nicht mehr gut machen kann. Wie sehr ich mich auch anstrenge, flehe und hoffe. Den Lauf der Zeit, den ich nicht verändern kann. Diagnosen, die keine Hoffnung mehr zulassen.
Dann die Augen auf Jesus zu richten, heißt vielleicht der Macht der Finsternis zumindest innerlich etwas entgegen zu setzen. Jesus als Lichtschein einer anderen Welt, auf die wir gemeinsam hoffen und um die wir gemeinsam beten. Wo es ein würdiges Leben für mich und die anderen gibt. Versöhnung. Ein Wiedersehen.
Wie sehr man im Angesicht der Macht der Finsternis manchmal ringen kann, ringen muss, um die Fassung und um die Hoffnung nicht zu verlieren – das führt uns der Psalm 25 vor Augen:
Meine Augen sehen stets auf den HERRN;
denn er, er wird meine Füße aus dem Fangnetz ziehen.
HERR, wende dich mir zu und sei mir gnädig,
denn ich bin einsam und vom Leid gebeugt.
Sprenge du die Fesseln, die mir das Herz zusammenschnüren,
lass mich frei werden von allem, was mir jetzt noch Angst macht.
Achte auf mein Elend und auf meine Mühe
und vergib mir alle meine Sünden!
Sieh doch, wie viele Feinde ich habe,
sie verfolgen mich mit abgrundtiefem Hass!
Bewahre mein Leben und rette mich!
Lass mich nicht in Schande geraten, denn bei dir suche ich Zuflucht.
Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sollen mein Schutz sein,
denn meine Hoffnung bist allein du.
Gott lege uns diese Verse aufs Herz, wenn uns Finsternis umgibt.
Amen.