Über den Glauben. Drei Witze und ein Ernstfall
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und verpflanze dich ins Meer!, und er würde euch gehorsam sein.

Jesus muss viel gelacht haben, es kann nicht anders sein. Und die Leute haben mit ihm gelacht.

Das Problem, das wir heute mit dem Glauben haben oder zu haben glauben, ist nicht, dass wir nicht glauben können – wir können glauben und glauben ja auch alles Mögliche – sondern dass wir dabei zu wenig lachen. Zum Glauben braucht man nämlich Fantasie und zum Lachen auch. Wer Fantasie hat, kann beides, glauben und lachen. Wer glaubt, lacht, und wer lacht, kann auch glauben. Fantasie hat man, wenn man sich etwas bildlich vorstellen kann. Und das ist nun gar keine Kunst, vor allem in der Bibel nicht, die voller Bilder ist, wo man gar nicht viel Fantasie braucht, sich die Bilder gar nicht malen muss, weil sie schon gemalt sind und deshalb auch keinen großen Glauben braucht, sondern nur einen klitzekleinen, senfkornwinzigen. Man muss gar nicht aufmerksam zuhören – hören ist immer schwieriger als sehen – muss nur hingucken und schon fangen die komischen Bibelbilder an zu laufen: Reis dich aus, du Maulbeerbaum und ab ins Meer! Und weil‘s ein Maulbeerbaum ist und keine Trauerweide, die gleich rumgeheult hätte, mault der Baum erstmal: „Nee, will ick nich, det is mir zu nass, wat soll ick denn im Meer, viel zu kalt!? Hab ooch nie schwimmen gelernt.“ Und dann muss der alten Maulheld unwillkürlich selber lachen über seinen Witz, denn nichts schwimmt so gut wie ein Baum. Und dann haste seinen Widerstand schon gebrochen, er hat ihn vielmehr selbst schon gebrochen und du sagst: Na los, mach jetz hinne! Und der Baum fängt an, zu knarren, hebt ein bisschen die Äste, schüttelt seine Wurzeln aus dem Sand und dann siehst du einen Maulbeerbaum baden gehen.

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Apropos baden gehen: Jetzt kommt der nächste Witz, ein Witz mit Fritz. Ich weiß zwar nicht, mit welchem, aber Witz mit Fritz geht in Preußen immer. Dass Jesus seinen Glaubenswitz ausgerechnet mit einem Maulbeerbaum erzählt, ist ja an sich schon ein Witz – den verstehen aber nur die Preußen und die Hugenotten. Alle Fritze haben daran geglaubt, dass man Maulbeerbäume einfach so versetzen kann, der dritte, der dann der erste wurde, und dann der erste Fritz, der noch einen Willi hatte und dann der zweite Fritz, der ein großer war, weil sein Glaube zwar ein bisschen aus der Facon geraten und doch der allergrößte war, jedenfalls sein Glaube daran, dass man Maulbeerbäume einfach so versetzen könne aus Israel, wo es warm war, oder aus Italien oder Südfrankeich ins kühle und flache und sumpfige Brandenburg. Der Glaube des großen Fritz war wirklich riesig und hat viel bewirkt. Vom großen Glaubensfritz lernen wir, dass ein großer Glaube auch tätig wird und nicht nur darauf wartet, bis sich erfüllt, woran er glaubt. Er hat nicht nur geboten, dass jeder Bauer seine paar Maulbeerbäume haben sollte und verboten, Maulbeerbäume zu fällen, er hat auch Anschubfinanzierungen aufgelegt und in die Qualifizierung und Professionalisierung investiert. Glaube und Tun stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern ein rechter Glaube macht aktiv und setzt politisches Tun in Gang. Der große Fritz hat was für seinen Glauben an das preußische Seidenwirtschaftswunder getan. Was man allerdings beim großen Glaubensfritz auch sieht, ist, dass am Ende doch alles vergeblich sein kann. Der Glaube setzt viel in Bewegung, verpflanzt hunderttausende von Maulbeerbäumen und doch ist am Ende alles für die Katz, wenn’s der falsche Glaube ist. Der Glaube des großen Fritz ging baden. Den versetzten Maulbeerbäumen war es in Brandenburg viel zu nass und zu kalt und den Raupen auch. Jetzt, mit dem Klimawandel, jetzt könnt man es nochmal versuchen. Aber jetzt braucht man‘s auch nicht mehr. Sein Glaube bewirkte viel und verfehlte am Ende doch sein Ziel. Mindestens die Hälfte des Seidenbedarfs sollte im Land produziert werden, tatsächlich kam man auf nie mehr als 5 %.

Es kommt eben nicht nur darauf an, dass man glaubt. Entscheidend ist ja wohl auch, was man glaubt. Jeder nach seiner Facon ist Blödsinn. Der Glaube an den Maulbeerbaum oder an den Weihnachtsmann ist eben nicht dasselbe, wie der Glaube an den lebendigen Gott Israels und Vater Jesu Christi.

Und noch etwas kann man an dieser Geschichte über den zwar großen aber falschen Maulbeerbaumglauben lernen: Die Enttäuschung macht auch noch blind und böse. Nachdem sich abzeichnete, dass es nicht so werden würde, wie er sich das vorgestellt hatte, hat Friedrich auf seine Bauern und Beamten und auch auf die Geistlichen geschimpft. Sie seien alle faul und unfähig.

Mit dieser blinden Enttäuschung ist Friedrich nicht allein. Gerade die glaubensstärksten und aktivsten Christen werden oft enttäuscht und dann auch noch blind und meinen, es läge ja doch nur an den bequemen und faulen und nur sich selber sehenden Zeitgenossen, dass der Weltfriede und die Weltgerechtigkeit und die Liebe zu allen Menschen und die Klimaneutralität und das Reich Gottes noch so weit weg sind. Aber liegt es wirklich an den Menschen oder nicht doch am falschen Glauben? Maulbeerbäume gedeihen nicht gut in Brandenburg und das Reich Gottes wächst nicht im Kanzleramt. Da hilft aller Glaube wenig.

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Das bringt mich zum dritten Punkt und der ist nicht mehr zum Lachen, sondern ein Ernstfall.

Irgendeiner seiner Zuhörer muss damals den Humor verloren und sich gesagt haben: Der Glaube versetzt Maulbeerbäume?! So ein Quatsch! Da stimmt doch das Bild hinten und vorne und auch oben und unten nicht. Die übergroße Macht des kleinsten Glaubens, die muss doch auch im Bild viel Größeres bewegen, als bloß so einen blöden Maulbeerbaum. Vielleicht war es Matthäus, der so dachte, der auch sonst weniger Humor hat als seine Kollege Lukas, vielleicht aber auch einer davor, wer weiß das schon? Und so hat also der sich aufplusternde Glaube eines allzu ernst gewordenen Jüngers den Maulbeerbaum im Text oder in der Erzählung durch den Berg ersetzt. Berge soll der Glaube versetzen können, nicht bloß Maulbeerbäume. Und das, ihr Lieben, finde ich gar nicht mehr lustig. Denn da kommen mir nur Bilder vor die Augen, die mich erschaudern lassen. Ich sehe Erdrutsche und Schlammlawinen, die Häuser und Menschen mitreißen, ich sehe riesige Bagger, die Berge wegbaggern und Löcher in die Landschaft buddeln. Ja, Berge versetzten, das ist doch alles heute kein Problem mehr, das passiert ständig. Oh, welch großen Glauben haben wir doch alle!

Und dann sehe ich in diesen Tagen wieder Menschen, deren Glauben so groß war, dass es ihnen gelungen war, zwar nicht Berge zu versetzen, aber Wolkenkratzer zum Einsturz zu bringen, Flugzeuge zu kapern und in Türme zu steuern, sich selbst zu opfern und im Moment vor dem Einschlag „Allahu agbar“ zu rufen: Gott ist groß! Welche ein großer Glaube, welche eine Glaubenskraft!

Ja, der Glaube vermag viel, Berge kann er versetzen, Hochhäuser zu Schuttbergen verwandeln, der Glaube vermag Gewaltiges, Ungeheures, Tödliches, auf Teufel komm raus, wenn der Glaube an den falschen Gott glaubt. Wir glauben nicht an einen Gott, der es zur Ehre gereichen ließe, wenn seine Gläubigen die Ungläubigen töten.

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Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Ich will glauben. Ich will aber keine Berge versetzen. Ich will auch die Maulbeerbäume dort stehen lassen, wo sie hingehören. Ich glaube an einen Gott, der nicht von mir verlangt, meinen Glauben durch große Taten zu beweisen. Ich glaube an den Gott, der gnädig mit mir ist und nicht mehr von mir verlangt als ich recht und billig geben kann. Und ich glaube an einen Gott, der für uns den größten Witz aller Zeiten gemacht hat: Er hat den Tod getötet. Ich glaube an einen Gott, der mich angstfrei leben lässt, damit ich tun kann, was sinnvoll ist und vernünftig. Ich glaube an einen Gott, der mich so glauben lässt, dass mir das Lachen nie vergeht.

Amen.