"Liebst du mich?"
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Wir müssen mal kurz über die Liebe reden. Lieber nicht??? Doch! Vor Ostern hätten wir uns noch drücken und rausreden können, aber nach Ostern geht das nicht mehr. Da holt uns das ein. Da holt er uns ein, bevor er in den Himmel reist. 40 Tage, um noch ein paar Sachen zu klären, z.B. das mit der Liebe. 40 Tage zwischen Ostern und Himmelfahrt, um noch offene Wunden zu heilen, Therapietage nach Ostern. Also reden wir mal kurz über die Liebe.

Als sie nun gegessen haben, sagt Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als diese mich lieben? Er sagt zu ihm: Ja, Herr, du weisst, dass ich dich lieb habe. Er sagt zu ihm: Weide meine Lämmer!

16Und er sagt ein zweites Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Der sagt zu ihm: Ja, Herr, du weisst, dass ich dich lieb habe. Er sagt zu ihm: Hüte meine Schafe! 17Er sagt zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und er sagt zu ihm: Herr, du weisst alles, du siehst doch, dass ich dich lieb habe. Jesus sagt zu ihm: Weide meine Schafe! 18Amen, amen, ich sage dir: Als du jünger warst, hast du dich selber gegürtet und bist gegangen, wohin du wolltest. Wenn du aber älter wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst. 19Das aber sagte er, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen werde. Und nachdem er dies gesagt hatte, sagte er zu ihm: Folge mir!

Jesus kommt zu Petrus und fragt ihn etwas … Peinliches. Und jetzt machen wir uns keinen schlanken Fuß und sagen: Petrus ist katholisch. Nein, Petrus steht für die Kirche, also auch für uns.

Kommt also Jesus und fragt Petrus – also uns: Petrus, hast du mich lieber als mich die anderen liebhaben?

Was ist denn das für eine fiese Frage?! Was soll man darauf antworten?

„Hast du mich lieber als mich die anderen liebhaben?“ – „Ja! Ganz klar. Aber die anderen, also die ...na ja…. Aber ich!“

„Hast du mich lieber als mich die anderen liebhaben?“ – „Ich? Ähm, nö. Wieso?“ – Auch komisch.

Was soll Petrus auf solch eine fiese Frage antworten?

Er zieht sich geschickt aus der Schlinge. „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe.“ So richtig gut ist die Antwort aber auch nicht. „Hast du mich lieb?“ – „Och Schatz, das weißt du doch, hab ich dir doch vor 30 Jahren schon gesagt.“

Liebesbekenntnisse sind wie Fisch, die müssen frisch sein. Glaubensbekenntnisse dagegen sind wir Wein, die werden meist mit zunehmendem Alter besser. Wenn Liebesbekenntnisse länger liegen, fangen sie an zu stinken - und zwar vom Kopf her. Mit „das weißt du doch!“ auf die Fragen: „Hast du mich lieb?“ zu antworten, die Liebe also auf ein vergangenes und erinnertes Wissen zurückzuführen, führt komplett am Kern der Liebe vorbei. Und mit einem Glaubensbekenntnis zu antworten, wenn ein Liebesbekenntnis erwartet wird, macht alles nur noch schlimmer: „Liebst du mich?“ – „Ja, ich glaube!“

Lieber Petrus, deine Antwort: „Das weißt du doch“ ist doch keine so gute Idee.

Aber die Frage ist ja auch wirklich fies. Jesus fragt nicht: „Hast du mich lieb?“, sondern er fragte: „Hast du mich lieber … als die anderen mich liebe haben?“

Die Liebe verträgt keinen Komparativ, so viel ist klar. Und doch kommt so viel Elend unter uns Menschen genau daher, von der vergurkten weil ständig sich vergleichenden Liebe.

Liebst du mich mehr als anderen mich lieben, fragt Jesus den Petrus, also uns. Lieben die Evangelischen ihn mehr als die Katholiken? Die herzlichen Lutheraner mehr als die verkopften Reformierten? Die direkten Brandenburger mehr als die komplizierten Berliner? Wer liebt ihn am meisten? Und wen eigentlich? Den Pfarrer? Die Superintendentin, den Bischof? Die Ratsvorsitzende? Ach nein, Jesus! Ich vergaß fast. In der Kirche wird so oft „Liebe deinen Nächsten!“ gerufen, dass man schnell man den Überblick verlieren kann.

Jesus lieben! Wenn mich jemand fragt: „Liebst du Jesus?“, wie vor 2 Wochen nach dem Ostergottesdienst mich das einer gefragt hat, den ich noch nie gesehen habe, dann sage ich erstmal nichts und denke mir nur: Ja, irgendwie schon, aber das sag ich dem nicht, weil ich das „irgendwie“ auf die Schnelle auch nicht erklären kann, weil ich selten die eigentlich einfachen Dinge als aufgeklärter Theologe, der ich sein will, einfach erklären kann. Denn der Glaube geht durch den Kopf und hängt die Liebe ab und die Hoffnung – ach je, wo hab ich die denn gelassen? „Liebst du Jesus?“ Ich schweige lieber, denn wenn ich JA sage, hält er mich für einen Pietisten oder Evangelikalen, der ich nicht bin.

Mir geht es also überhaupt nicht besser als dem Petrus – im Gegenteil, noch schlimmer ist es. Ich kann nicht einmal sagen: Du weißt doch, dass ich dich liebehabe. Ich weiß es ja selbst nicht mal. Irgendwie schon, ja, da ist so was, wie eine Beziehung, aber… ist das Liebe? Ich liebe meine Frau, ich liebe meine Kinder, ich habe liebe Freunde – liebe ich Jesus? Ich kann das nicht recht beantworten, denn verglichen mit den anderen Lieben ist das bei Jesus doch irgendwie was Anderes.

Wie schwer ist es, von der komplizierten, sich immerzu vergleichenden Liebe zur einfachen Liebe zu kommen, zum einfachen JA!

Drei Therapiesitzungen braucht Jesus bei Petrus. Dreimal fragt er ihn nach seiner Liebe. Dreimal, weil Petrus dreimal Nein zu Jesus gesagt hat, „Nein, den kenne ich nicht!“ Dann krähte der Hahn. Seitdem hat Petrus ein Trauma. Er träumt schlecht, bis der Hahn ihn aus den Träumen holt. Dann muss er weinen. Diese Wunde muss geheilt werden. Dazu nimmt sich Jesus 40 Tage Zeit. Dreimal hat Petrus Nein zu Jesus gesagt. Dreimal soll er nun Ja zu ihm sagen.

Dreimal also fragt Jesus den liebesgehemmten Petrus nach seiner Liebe. Beim zweiten Mal nicht mehr im Komparativ – therapeutischer Fortschritt, exegetisch evaluierbar - nicht mehr: „Liebst du mich mehr als die anderen mich lieben?“, sondern nur noch: „Liebst du mich?“ Aber auch beim zweiten Mal setzt Petrus zu seinem Ja noch das „Das weißt du doch“ hinzu. Er traut dem Augenblick reiner Gegenwart immer noch nicht. Er hängt immer noch in der Erinnerung fest. Die Freundschaft, der Verrat. Die Liebe, der Schmerz. Er kommt nicht los. „Du weißt doch… trotz allem liebe ich dich.“

Er ist noch nicht so weit. Es braucht noch einen dritten Durchgang. Die dritte Wiederholung.

Und jetzt? Wird es jetzt endlich? … Leider immer noch nicht. Immer noch kein einfaches JA auf die Frage „Hast du mich lieb?“. Im Gegenteil: Petrus wird traurig, weil er das zum dritten Mal gefragt wird.

Ja, so ist das mit unserer komplizierten Liebe. Irgendwie unheilbar. Selbst wenn Jesus der Therapeut ist und zwischen Ostern und Himmelfahrt noch Sondersitzungen einlegt.

Aber er akzeptiert es. Bei Petrus und bei uns. Er beauftragt uns trotzdem damit, dass wir uns um seine Herde kümmern. „Weide meine Schafe!“

Es stimmt ja nicht, dass wir erst eine reine, einzigartige und unvergleichliche Liebe zu Jesus empfinden müssen oder uns zu ihr bekennen müssen, bevor wir in der Lage sind, uns um andere zu kümmern. Jesus jedenfalls verlangt von Petrus nicht die konkurrenzlose Liebe, eine Liebe, die ungetrübt einzig ihm, dem Herrn gilt. Priester und Pfarrerinnen, Diakoninnen und Älteste müssen nicht in reiner Liebe zu Jesus entbrannt sein, frei von allen anderen Bindungen, um Gott und den Menschen dienen zu können. Auch mit unserer Unfähigkeit, einfach Ja zu Jesus zu sagen, traut er uns zu, uns gut um die anderen zu kümmern, um die Schafe, um die, die den Weg zu den grünen Auen aus den Augen verloren haben.

Und noch etwas fällt hier auf – leider nur, wenn man Griechisch kann. Da stehen zwei verschiedenen Wörter für Liebe in Frage und Antwort. Es gibt zunächst auch deshalb keine Übereinstimmung zwischen Jesus und Petrus, weil Petrus mit einer anderen Liebe antwortet als nach der Jesus gefragt hat. Jesus fragt zweimal nach der agape. Petrus antwortet: „Du weißt doch, dass ich dich liebe – philo.“

Der Unterschied ist gar nicht so ganz klar. Manche sagen, es seien nur zwei verschiedene Wörter für mehr oder weniger das gleiche. Die meisten sehen aber doch einen Bedeutungsunterschied. Die agape sei die selbstlose Liebe, die vor allem die Liebe zwischen Gott und Mensch benennt, und die philia die auf Gegenseitigkeit beruhende Liebe und die die Liebe zwischen den Menschen meint. Nehmen wir es mal so. Zweimal fragt Jesus nach der selbstlosen Liebe und Petrus antwortet mit der anderen. Und bei dritten Mal? Da gibt es endlich eine Übereinstimmung. Jedoch nicht so, dass Petrus endlich auf die selbstlose agape kommt, sondern beim dritten Mal fragt Jesus „phileis me?“ und nicht mehr „agapas me?“ Beim dritten Mal lässt Jesus sich auf die Liebe ein, die Petrus zu geben vermag.

Wir wollen halt immer was für unsere Liebe. Bisschen was muss doch rausspringen – und sei es nur ein bisschen Gegenliebe. Hat Jesus das endlich eingesehen? Wie schwierig das mit der Liebe ist – in dieser Welt, in diesen Zeiten und überhaupt.

Eine nachösterliche Therapie, in der allerdings weniger der Patient als vielmehr der Therapeut zur Einsicht gekommen zu sein scheint. Auch eine Form von Gnade.

Die Einsicht, dass auf die einfache Frage: „Liebst du mich?“ ein ebenso einfaches JA einstweilen nicht zu haben ist. Nicht bei uns schwierigen Menschen. Auch nicht in der Kirche, wo frische Fragen so oft mit alten Glaubensbekenntnissen beantwortet werden. Erst, wenn es die Kirchen nicht mehr gibt, weil das Reich Gottes endlich da ist, erst, wenn wir dem Herrn ins Angesicht sehen dürfen, erst, wenn es nur noch den Augenblick reiner Gegenwart geben wird und alle Traumata und Peinlichkeiten, alles Versagen und aller Verrat wirklich vergeben und vergessen ist, erst dann wird es uns wohl gelungen, auf die einfache Frage nach unserer Liebe mit einem einfachen JA zu antworten.

Amen.