Mehr aus Brot machen
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Es wird knapp, liebe Gemeinde! Das Getreide wird knapp. Die Ukraine kann kaum mehr liefern. Die Russen verhindern es.

Das Gas wird knapp. Die Russen wollen nicht mehr durchleiten. Um uns zu bestrafen, dass wir den Ukrainern helfen.

Der Strom wird knapp. Raus aus der Kohle, raus aus dem Gas, raus aus der Atomenergie und die Windräder wollen wir nicht sehen, nicht vor unseren Wohnzimmern.

Die Arbeitskräfte werden knapp. Du kriegst keine Handwerker mehr. Die Restaurants haben geschlossen, obwohl die Leute in Scharen kommen würden. Sie kriegen kein Personal. An den Flughäfen fehlt es, in den Kliniken sowieso. Überall fehlen Arbeitskräfte.

Es wird knapp. Alles wird knapp. Die fetten Jahre sind vorbei, die Jahre des Überflusses sind Geschichte. Vielleicht kommen wieder Jahres des Mangels, Zeiten, wie sie die längste Zeit der Menschheit gewesen sind. Leere Supermarktregale, kalte Wohnungen, kein Urlaub, den Winterpulli musst du selber stricken und die Winterreifen musst du wieder selber anschrauben.

Die Bibel erzählt Geschichten vom Mangel, davon, dass zu wenig da war, um alle satt zu machen. Doch dann wurde alle satt. Die Theologen nennen solche Erzählungen „Wundergeschichten“. Aber es gibt dort keine Wunder. Es geschieht etwas Anderes.

Die eine dieser Mangelgeschichten haben wir vorhin gehört, eine aus der hebräischen Bibel, das sog. Manna-Wunder. Und die aus dem Neuen Testament geht so.

Danach ging Jesus ans andere Ufer des Sees von Tiberias in Galiläa. 2Viel Volk aber folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. 3Jesus aber stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. 4Das Passa war nahe, das Fest der Juden.

5Als nun Jesus seine Augen aufhebt und sieht, dass so viel Volk zu ihm kommt, sagt er zu Philippus: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese zu essen haben? 6Dies sagte er aber, um ihn zu prüfen; er selbst wusste ja, was er tun wollte. 7Philippus antwortete ihm: Brot für zweihundert Denar reicht nicht aus für sie, wenn jeder auch nur ein wenig bekommen soll. 8Einer von seinen Jüngern, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagt zu ihm: 9Ein Kind ist hier, das fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat, aber was ist das für so viele? 10Jesus sprach: Lasst die Menschen sich setzen! An dem Ort war viel Gras. Da setzten sich die Männer, etwa fünftausend an der Zahl. 11Jesus nahm nun die Brote, sprach das Dankgebet und teilte davon allen, die dasaßen, aus, so viel sie wollten, ebenso von den Fischen.

12Als sie aber satt waren, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren geht. 13Sie sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit den Brocken, die von den fünf Gerstenbroten übrig blieben, nachdem sie gegessen hatten.

14Als nun die Leute das Zeichen sahen, das er getan hatte, sagten sie: Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll. 15Als Jesus nun erkannte, dass sie kommen und ihn in ihre Gewalt bringen wollten, um ihn zum König zu machen, zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.

Diese Geschichte ist ein Dauerbrenner in der Bibel. Ginge es in ihr nicht um ein durch und durch ernstes Thema, könnte man sie den „running gag“ der Bibel nennen. Sie kommt im Neuen Testament in allen Evangelien mehrfach vor und hat ihren Vorläufer in der hebräischen Bibel. In der Wüste fällt Brot vom Himmel, wir haben es vorhin gehört.

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Nach wenigen Wochen Wüste waren die Kinder Israels den Mangel satt. Schon am Anfang der 40jährigen Wüstenzeit murrten sie über ihre Befreiung und beschwerten sich bei Mose und Aaron. Der HERR aber übernahm die Verantwortung und ließ süße Speise vom Himmel kommen. Es lag morgens da, als wäre es in der Nacht vom Himmel geregnet und schmeckte süß.

Was ist das? Man hu? So was kannten sie nicht. Plötzlich lagen diese kleinen Kügelchen überall auf dem Boden. Wie süße Pastillen. Wir wissen mittlerweile, was es ist: Ein Sekret der Tamariskenbäume, wenn sie von einer Schildlaus gestochen werden. Morgens liegt es um die Bäume herum, bevor die Hitze der Sonne es zum Schmelzen bringt. Es sieht aus, als wäre es in der Nacht vom Himmel gefallen und ist essbar.

Was ist das? Mose gab ihnen eine andere Erklärung. Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat. Brot vom Himmel. Manches Nahrungsmittel wird kostbarer, wenn es geistlich aufgeladen wird. Speise vom Herrn statt von der Schildlaus.

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Die Geschichte von der Brotvermehrung, von der Speisung von Tausenden schreit auch nach einer geistlichen Aufladung. Sie legt es geradezu darauf an, dass wir dabei an das Abendmahl denken. Jesus nahm die Brote, sprach das Dankgebet und teilte davon allen, die dasaßen, aus. Das Brot des Lebens ist Jesus Christus. Er selbst teilt sich aus. Das macht alle satt. Was nach menschlichen Maß nie und nimmer reichen wird, ist nach dem Maß Gottes schierer Überfluss. Es macht alle satt und reicht auch noch, um mit den Resten 12 Körbe zu füllen. Zwölf wie die Zahl der Jünger, wie die Zahl der Stämme Israels. Die Völker werden satt und für Israel bleibt immer noch genug übrig. Die Völker nehmen Israel das Brot nicht weg und auch nicht das Wort aus Gottes Mund.

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Brot vom Himmel. Leib des Herrn.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus Gottes Mund kommt, sagt Jesus und zitiert die Tora.

Brot vom Himmel. Leib des Herrn. Wort aus Gottes Mund. Wenn zu wenig Brot da ist, wird das Wort aus Gottes Mund uns nähren und satt machen. Gottes Wort lädt das geistlich auf, was da ist. So wird aus wenigem ganz viel. Baumsafttröpfchen werden zu Himmelsbrot, fünf Brote und zwei Fische werden zum Abendmahl und zum Leib des Herrn, genug, um die Heiden satt zu machen und auch dann wird Israel nicht verhungern.

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In Zeiten des Überflusses ist Brot bloß Brot. Fisch ist besser und Filet am besten. Wenn es aber kein Filet mehr gibt und nur noch wenig Fisch und wenn selbst das Brot knapp wird, dann braucht es gute Worte, die das wenige Brot, das noch da ist, aufladen und wertvoll machen. Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jedem Wort aus Gottes Mund. Wenn das Brot bloß Brot bleibt und nicht mehr wird, dann wird es zur Mangelware und dann reißen sich die Menschen darum, nehmen es sich weg, hamstern es, dann gibt es Gewalt und Totschlag um Brot. Wenn aber die Mangelware Brot durch gute Worte aufgeladen ist, wenn das Brot mehr ist als Brot, wenn es geistlich wertvoll wird, wenn es Brot vom Himmel ist oder der Leib des Herrn, dann nimmt man es dankbar und teilt es mit denen, die auch wenig haben.

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Nicht immer kommt es in Zeiten des Mangels zu Neid und Missgunst, zu Raub und Gewalt und Totschlag. Manchmal geschieht auch genau das Gegenteil: Die Solidarität wächst. Dann teilen sie das wenige, das da ist. Wenn ein guter Geist in den Leuten ist. Und oft genug ist ein guter Geist in den Leuten.

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Alles deutet darauf hin, dass wir wieder achtsamer mit den Lebensmitteln umgehen müssen. Dass wir sie achten müssen, bevor wir sie verzehren. Und dass wir wirklich nur so viel nehmen, wie wir brauchen und vertragen. Vielleicht gehört die Rekultivierung einer Esskultur dazu. Zu festen Mahlzeiten zusammenkommen. Sich Zeit fürs Essen nehmen, weil das Essen wichtiger ist als die Freizeit und selbst wichtiger ist als die Arbeit. Und die Mahlzeiten selbst zubereiten. Das macht sie schon wertvoll. Selbst gekocht. Es wird immer weniger gekocht in Deutschland. Was man selbst gekocht hat, wirft man nicht so schnell weg, wenn was übrigbleibt. Man hebt es auf. Wer das Brot achtet, hat viele Körbe zu Hause und manche Tupperdosen. Zusammen sicher mehr als zwölf.

Alles wird knapp, alles wird teuer. Brot und Nudeln, Fisch und Fleisch, Gas und Strom, Wasser und Fachkräfte. Alles wird knapp, alles wird teuer. Die fetten Jahre sind vorbei.

Wir werden einen neuen Reichtum entdecken. Den Reichtum des Weniger, den Reichtum des Teilens mit anderen, den Reichtum der Genügsamkeit und den Reichtum der Dankbarkeit. Das Leben wird nicht schlechter. Es kann eigentlich nur besser werden.

Amen.