Ostern mit Hand und Fuß
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Es war am Abend eben jenes ersten Wochentages - die Jünger hatten dort, wo sie waren, die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen -, da kam Jesus und trat in ihre Mitte, und er sagt zu ihnen: Friede sei mit euch! Und nachdem er dies gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite; da freuten sich die Jünger, weil sie den Herrn sahen. Da sagte Jesus noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und nachdem er dies gesagt hatte, hauchte er sie an, und er sagt zu ihnen: Heiligen Geist sollt ihr empfangen! Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten.

Thomas aber, einer der Zwölf, der auch Didymus genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sagte zu ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und nicht meinen Finger in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite legen kann, werde ich nicht glauben.

Nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen, und Thomas war mit ihnen. Jesus kam, obwohl die Türen verschlossen waren, und er trat in ihre Mitte und sprach: Friede sei mit euch! Dann sagt er zu Thomas: Leg deinen Finger hierher und schau meine Hände an, und streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagt zu ihm: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht mehr sehen und glauben!

 

Es muss ja Hand und Fuß haben, was man glauben soll. Ostern sagen sie alle: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ Und was ändert das?

Auch nach Ostern muss man noch seinen Müll wegbringen. Und auch das wird immer komplizierter. Die Müllentsorgung ist in Deutschland beides geworden, Wissenschaft und Leidenschaft. Wenn du auf die Reihe kriegst, was wann wo hinmuss, bist du einige Sorgen los. Deshalb heißt Müll wegwerfen ja seit einiger Zeit „entsorgen“. Und weil das so kompliziert, gibt es Hilfen. Ich habe eine Entsorgungs-App. Vom Müllentsorger. Die verrät mir, was wann wo zu tun ist, um die Sorgen loszuwerden. Und nach Ostern stand in meiner Müllentsorgungs-App unter Aktuelles: „Ostern: Ein Fest der Hoffnung und des Neubeginns“. Kleine Osterbotschaft vom Müllentsorger. Ein Neubeginn. Aber den Müll musst du immer noch in die richtige Farbe sortieren und am richtigen Tag an die richtige Stelle bringen. Immer noch musst du aufpassen, dass du alles richtigmachst. Das Leben ist auch nach Ostern nicht leichter als davor.

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Thomas hat nach Ostern offenbar nicht alles richtiggemacht. Er hat nicht gleich und unbesehen geglaubt. Er wollte erst sehen. Das war offenbar falsch. Er holt sich gleich einen Rüffel vom Auferstandenen ab: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!“

Es muss aber doch Hand und Fuß haben, was man glauben soll. Ich kann Thomas verstehen.

Am ersten Tag der Woche, also am Ostertag, da war Jesus plötzlich da. Jedenfalls sagten sie das. Thomas war ja nicht dabei. Jesus habe ihnen die Hände und die Seite gezeigt. Da hatte die Sache noch irgendwie Hand und Fuß. Es war Friede, alle waren zusammen, alle sagten: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“. Wenn alle zusammen sind am Ostertag und alle sagen: „Der Herr ist auferstanden!“, dann sagst du es auch. Und dann ist er eben da, wenn alle wegen ihm da sind, und du glaubst es irgendwie. Aber dann kommt Montag, Dienstag, Mittwoch usw. Und du musst den Müll wegbringen und die Probleme und die Sorgen sind wieder da und lassen sich nicht leicht entsorgen, nicht mit Wissenschaft und nicht mit Leidenschaft.

Ich kann Thomas verstehen. An Ostern glaubst du alles, acht Tage später glaubst du nix mehr. Wenn das nicht Hand und Fuß kriegt, wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meiner Finger in die Nägelmale, kann ich’s nicht glauben. Acht Tage nach Ostern kann man schon mal den Finger in die Wunde legen.

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So einfach ist das mit der Hoffnung und dem Neubeginn nämlich nicht. Nicht so einfach, wie die Entsorgungs-App mir das einreden will, die mir zwar bei der Müllentsorgung hilft, aber nicht beim Glauben. Du kannst nämlich nicht neu anfangen, wenn „die Müllfrage“ nicht geklärt ist. Was machst du mit dem alten Müll? Was machst du mit dem, was dich in der Vergangenheit so zugemüllt hat? Was dich so belastet und fertiggemacht hat. Die alten Probleme, die du nicht lösen konntest. Dein Versagen. Neubeginn ohne die Altlasten loszuwerden geht nämlich nicht. Bevor du neu beginnen und auferstehen kannst, musst du das loswerden.

Einer, der von den Toten auferstanden ist, löst noch lange nicht meine Probleme. Thomas will die Nägelmale sehen. Thomas will wissen, ob der Auferstandene derselbe ist, wie den, den sie gekreuzigt haben. Ein neuer Jesus, der mit dem alten nichts zu tun, bringt nämlich gar nichts. Das ist kein Neubeginn. Nur der auferstandene Gekreuzigte kann Erleichterung bringen. Weil nur er in der Lage war, mir meine Sünden abzunehmen.

Denn das, liebe Gemeinde, das ist ja der Clou von Ostern. Da ist nicht einfach mal einer von den Toten auferstanden. Es ist der für uns Gekreuzigte, der auferstanden ist. Ostern ist nicht der Sieg über den physischen Tod – den gibt es ja immer noch. Ostern ist der Sieg über den psychischen Tod, über den Tod einer Seele, die vor lauter Falschem erstickt ist. Sie kann nun wieder frei atmen, ohne Angst, etwas nicht richtig zu machen. Ostern ist die Bestätigung der großen Vergebung durch Gott. Auferstanden ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Deshalb ist in den alten Bildern der Auferstandene immer nicht nur mit seinen Wundmalen, sondern auch mit einem Lamm zu sehen. Und deshalb ist der erste Auftrag, den der Auferstandene seinen Jüngern gibt, mit den Sünden der anderen verantwortungsvoll umzugehen. Sie zu vergeben, aber nicht allzu billig und allzu leichtfertig. Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten.

Es muss ja Hand und Fuß haben, was man glauben soll.

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„Ostern: Ein Fest der Hoffnung und des Neubeginns“. Ist ja nicht falsch, was die Müllentsorgungs-App sagt. Es gehört aber mehr dazu. Nämlich, dass du weißt, wie du deinen eigenen seelischen Müll entsorgt kriegst. Wirf ihn auf Christus. Er nimmt ihn dir ab. Dann kannst du neu beginnen. Ohne Ballast. Ohne die lähmende Angst etwas falsch zu machen, weil du immer alle richtig machen willst. Werde frei von der Last deiner Vergangenheit. Gott hat sie dir längst abgenommen. Steh auf und geh erleichtert deinen Weg. Acht Tage nach Ostern und auch noch acht Wochen nach Ostern.

Amen.