Große Wörter und einfache Geschichten
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

1Und der Herr sandte Natan zu David. Und der kam zu ihm und sprach zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine war reich, und der andere war arm. 2Der Reiche besass Schafe und Rinder in grosser Zahl, 3der Arme aber besass nichts ausser einem einzigen kleinen Lamm, das er gekauft hatte, und er zog es auf, und zusammen mit seinen Kindern wurde es bei ihm gross. Es ass von seinem Bissen, trank aus seinem Becher und schlief an seiner Brust, und es war für ihn wie eine Tochter. 4Da kam ein Besucher zu dem reichen Mann, und diesen reute es, eines von seinen eigenen Schafen oder Rindern zu nehmen, um es für den Reisenden zuzubereiten, der zu ihm gekommen war. Und so nahm er das Lamm des armen Mannes und bereitete es für den Mann zu, der zu ihm gekommen war.

5Da entbrannte der Zorn Davids heftig über den Mann, und er sprach zu Natan: So wahr der Herr lebt: Der Mann, der das getan hat, ist ein Kind des Todes! 6Und das Lamm soll er vierfach ersetzen, weil er das getan hat und weil er kein Mitleid hatte.

7Natan aber sprach zu David: Du bist der Mann! So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe dich zum König über Israel gesalbt und habe dich aus der Hand Sauls gerettet. 8Und ich habe dir das Haus deines Herrn gegeben, und die Frauen deines Herrn habe ich an deine Brust gelegt, und ich habe dir das Haus Israel und Juda gegeben, und wenn das zu wenig ist, will ich dir darüber hinaus noch manches geben. 9Warum hast du das Wort des Herrn verachtet und getan, was ihm missfällt? Urija, den Hetiter, hast du mit dem Schwert erschlagen, und seine Frau hast du dir zur Frau genommen, und ihn selbst hast du durch das Schwert der Ammoniter umgebracht. 10So soll nun das Schwert nie von deinem Haus weichen, weil du mich verachtet und die Frau Urijas, des Hetiters, genommen hast, damit sie deine Frau werde. 11So spricht der Herr: Sieh, ich werde aus deinem eigenen Haus Unheil gegen dich heraufführen, und deine Frauen werde ich dir vor deinen Augen wegnehmen und sie deinem Nächsten geben, und er wird unter den Blicken dieser Sonne mit deinen Frauen schlafen. 12Du hast es heimlich getan, ich aber werde dies vor ganz Israel und vor der Sonne tun.

13Da sprach David zu Natan: Ich habe gegen den Herrn gesündigt. Und Natan sprach zu David: So sieht der Herr über deine Sünde hinweg: Du musst nicht sterben! 14Aber weil du mit dieser Tat den Herrn so verachtet hast, muss nun der Sohn, der dir geboren worden ist, sterben! 15Und Natan ging in sein Haus.

 

4Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; 6und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. 8Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, 9nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Alles klar? Habt ihr was verstanden? Oder war das eher so ein Rauschen mit diesen großen, heiligen Wörtern?

Wir hatten mal vor einigen Jahren eine Predigtversuchsreihe, die hieß „Ohne große Worte“. Wir gingen von der Hypothese aus, eine Predigt müsse umso besser und verständlicher werden, je mehr es uns gelingt, auf die großen theologischen Wörter zu verzichten.

Wenn einer mit solche einem Text bei dieser Reihe mitgemacht hätte, wäre er glatt durchgefallen. Denn da hat sich ganz offensichtlich einer vorgenommen, möglichst viele dieser großen und heiligen Wörter in seinen Text zu packen.

Das allergrößte Wort steht gleich am Anfang: Gott. Und es steht wieder am Ende. Gott am Anfang und am Ende. Jesus Christus kommt dazwischen viermal vor. Dreimal Gnade, dreimal Werke, zweimal Liebe, zweimal Reichtum, einmal Barmherzigkeit oder Erbarmen. Dann auch noch Tod und Sünde, Leben und Himmel, Glaube und Güte.

All diese großen Worte rauschen in diesem Text da so an einem vorbei, man möchte hineingreifen, eines von ihnen fassen – Moment mal! – aber da ist es schon wieder weg und das nächste taucht kurz auf, um herrlich zu funkeln und gleich wieder abzutauchen.

Es gibt Sätze, die muss man erst ein bisschen zerpflücken, fast zerhacken und zerstören, oder trockenlegen, um die Edelsteine freizulegen, die darin sind. Und dann liegen sie da so vor einem, wie auf Samt gebettet, Gnade und Güte, Liebe und Barmherzigkeit, Glaube und Werke, Jesus Christus und Gott, Edelsteine, die je für sich glänzen und die man sich genauer betrachten könnte, unter die Lupe nehmen könnte und vielleicht auch müsste, weil sie ja schon ein bisschen aus der Zeit gefallen sind. Wer schmückt sich heute noch mit Edelsteinen, wer spricht heute noch von Gnade oder Barmherzigkeit und selbst in der Kirche kommt Jesus Christus nicht mehr in jeder Predigt vor. Dieser Text ist wie ein prächtiges Kollier. Jeden, der es sieht, funkelt es an und jeder sagt: Oh, was für eine herrliche Pracht! Aber keiner mag es anziehen. Man zieht so was nicht mehr an.

Ist das also ein schmucker Text aus dem Bibelmuseum, funkelnd und glänzend, doch dick aufgetragen. Es gibt auch eine Mode für biblische Texte. Solche Abschnitte, dichte Episteltexte, sind aus der Mode. Man bevorzugt heute Leichteres, Flüssigeres, Narratives, Geschichten, die man erzählen kann. Geschichten, die einen genauso strahlend, glücklich und selig machen, wie der Anblick dieses edelsteinbesetzten Episteltexts. Die aber nicht so schwer zu tragen sind. Geschichten, die von Gnade erzählen, vom Gerettetwerden aus Sünde und Tod, Geschichten, die von einem irdischen Leben erzählen, das eigentlich schon ein himmlisches Leben ist, weil sie von der Liebe erzählen, Geschichten, in denen die Edelsteinworte, all die großen Wörter gar nicht vorkommen, auch die Worte Gott und Jesus Christus müssen nicht vorkommen, und die doch genau davon erzählen. Das wäre es und das wäre vielleicht am Ende doch mehr als nur eine literarische Mode und eine Predigtmarotte.

Solche Geschichten gibt es. Es gibt sie im Leben, ich möchte behaupten: in jedem Leben. Dort sind sie mitunter schwer zu finden. Und es gibt sie in der Bibel. Dort findet man sie leichter.

Eine solche Geschichte haben wir vorhin gehört. Eine Geschichte, in der zwar ein König vorkommt, aber kein Christus, auch nicht die Worte Gnade und Erbarmen, Güte und Glaube und die doch unverkennbar von all dem erzählt.

Ja, mehr noch: Wir haben eine Geschichte gehört, in der selbst wiederum eine Geschichte erzählt wird. Ein Prophet tritt vor seinen König und liest ihm nicht die Epistel und nicht die Leviten, lässt die großen Worte im Sack und holt stattdessen eine kleine und einfache, aber anrührende Geschichte hervor. Erzählt von einem armen Menschen und seinem einzigen Schaf und davon wie lieb er es hat, und von einem reichen Menschen, der so viele Schafe hat und dem nichts Besseres einfällt, als dem armen Mann sein einziges Schaf wegzunehmen.

So, liebe Gemeinde, so wie Nathan würde ich das auch gerne machen. Würde gern bei jedem, dem ich begegne, sofort das Problem erkennen und ihm sofort eine kleine Geschichte erzählen, die so anrührend und so passend ist, dass sie ohne weiteres kranke Seele heilt, Traurige zum Lachen bringt, Harte zum Weinen, Blinde zur Einsicht. So ein Pasteur wäre ich gerne. Ein Geschichtenerzähler - keine Geschichten zum Ablenken, sondern Geschichten zum Drauflenken. Leider bin ich kein so phantasievoller Mensch, dass mir immer die passenden Geschichten einfallen.

Gut, dass wenigstens ein paar richtig gute Geschichten in der Bibel stehen. Wie diese hier, die sich von selbst versteht, die man nicht erklären muss, bei der man sich aber nicht genug wundern kann, dass sie überhaupt in der Bibel steht, wirft sie doch ein äußerst schlechtes Licht auf David, den König der Könige, den König, der so sehr von Gott erwählt, berufen, begnadigt und begünstigt wird, dass selbst der Sohn Gottes sich nicht die Ehre nehmen lässt, Davids Sohn genannt zu werden. Da kann man wirklich nicht aufhören sich zu wundern, dass die Bibel über ihn Dinge zu berichten weiß, die den König der Könige als ein – man kann es nicht anders sagen – korruptes Schwein zeigen. Er verguckt sich in die Frau seines Nachbarn Uria, der für ihn im Krieg ist. David lädt die schöne Bathseba in den Palast ein und legt sie flach. Als Bathseba schwanger wird und es David sagt, beordert der sofort Uria von der Front nach Jerusalem, damit Uria mit seiner Frau schläft, so dass das Kind als Urias Kind gelten wird. Uria aber schläft nicht in seinem Haus bei seiner Frau, sondern im Lager der Soldaten. Wenn alle Soldaten im Lager schlafen und Entbehrungen leiden, kann er es sich nicht gutgehen lassen. So wie David es sich gutgehen lässt, während seine Soldaten für ihn kämpfen und fallen. Als alles nichts nützt, weil Uria anständiger ist, als es David recht sein kann, schickt er Uria wieder zurück an die Front und gibt Befehl, ihn in die vorderste Linie zu stellen und sich hinter ihm zurück zu ziehen, wenn die Feinde auf ihn losschlagen. Ein sicheres Todesurteil.

Nachdem David erfolgreich für den Tod Urias gesorgt hat, reiht er Bathseba in seinen Harem ein.

Dann erhält David Besuch vom Propheten Nathan, der ihm eine einfache Geschichte erzählt. Wir haben sie vorhin gehört.

4Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er … liebt, 5auch David, der tot war in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade ist er gerettet –; 6und er hat ihn mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel.

David ist im Himmel. David ist im Stammbaum des Sohnes Gottes, dieser David wurde nicht von Gott erwählt, weil er unfehlbar war, und dass Gott ihn erwählt hat, das hat ihn auch keineswegs unfehlbar gemacht. Was ihn gerettet hat, was der Reichtum der Gnade, die Gott auf ihn legte, mit ihm machte, war bloß dies, dass er seinem Berater zugehört hat, dass er eingesehen hat, dass er in der Geschichte, die ihm Nathan erzählte, vorkommt, dass er verstanden hat, wer in dieser Geschichte vom armen guten und vom reichen bösen Mann wer ist, dass er daraufhin nicht Nathan feuerte oder vierteilte, sondern ihn ausreden ließ, ihm zuhörte, ihm nicht ins Wort fiel, ihm nicht widersprach, nicht versuchte, sich rauszureden, sich zu verteidigen, um Verständnis zu bitten, sondern nur diesen einen kleinen Satz sagte: Ich habe gesündigt gegen den Herrn.

Dieser kleine Satz erzählt alles vom Reichtum der Gnade Gottes. Die Gnade Gottes ist es, die so einen Satz möglich macht. Gnade ist, seine Fehler einsehen und gestehen zu können. Wegen dieses kleinen Satzes ist David ein großer König. Mit auferweckt vom Tod und eingesetzt in den Himmel durch Gottes vergebende Liebe, die ihm diesen Satz auf die Lippen legte.

Ich lese noch einmal den Text aus dem Epheserbrief, diese „Große-Worte-Rauschen“. Er redet von David, er redet von allen, die den Satz über ihre Lippen bringen: Ich habe gesündigt gegen den Herrn.

Er redet also von uns allen, vor allem aber redet er von einem Gott, der uns alle geschaffen hat und uns nicht preisgibt, auch wenn wir wieder und wieder versagen und Fehler machen, sondern uns rettet und uns schon in den Himmel versetzt hat, damit wir uns keine Sorge um den guten Ausgang machen müssen, sondern unbelastet von dem, was wir falsch gemacht haben und falsch machen könnten, jetzt das tun werden, was richtig ist und notwendig und was Gott schon längst für uns und mit uns vorgesehen hat.

4Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; 6und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. 8Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, 9nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.    Amen.

 

Fürbitten

Gott,

alles hast du getan, damit wir die Werke tun können, die du für uns vorgesehen hast. Du legst uns nicht fest auf unsere Unfähigkeit, vergibst uns die Sünden, führst nicht Buch über unsere Fehler und hältst jedem einen Platz in deiner Nähe frei.

So gibt uns den fehlenden Funken Einsicht, das zu tun, was nach deinem Willen getan werden muss, gib uns den letzten Impuls dazu, das letzte Stück Mut, Leben und Arbeiten, Wirtschaften und Handeln so zu ändern, dass dieser Planet schön und lebensfreundlich bleibt, so wie du ihn geschaffen hast.

Wir bitten dich heute auch für alle Frauen, die wie Bathseba Opfer männlichen Machtmissbrauchs geworden sind. Mach die Frauen so stark, dass sie sich wehren können, und die Männer so schwach, dass sie nicht mehr alles, was nicht recht ist, ihrem Willen unterwerfen können.

Wir bitten dich für die Menschen in Afghanistan. Beende den Krieg und mach aus den Taliban gute Muslime, die den recht erkennen, den sie so verbissen verteidigen, und sie so menschenfreundlich werden, wie du deine Verteidiger haben willst.

Gott, der du reich bist an Barmherzigkeit, höre nicht auf zu lieben, hör nicht auf zu retten, höre nicht auf, aufzuwecken, erzeige weiter den überschwänglichen Reichtum deiner Gnade allen, den Fröhlichen und den Traurigen, den Hochmütigen und den Demütigen, den Kranken und den Gesunden, den Lebenden und den Sterbenden. Amen.