Was kostet ein Segen? Finanzministervergleich
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Was kostet ein Segen? Ist das eine Sommerlochfrage, liebe Gemeinde? Vielleicht. Dennoch stellt sich die Frage von Zeit zu Zeit, also muss ihr nachgegangen werden. Ich tue das mit einem Finanzministervergleich. Ich vergleiche den aktuellen deutschen Finanzminister mit seinem äthiopischen Kollegen von vor etwa 2000 Jahren.

Über Christian Lindner gab es in den letzten Wochen viele Meldungen wegen seiner Glamourhochzeit auf Sylt. Neben der Frage, ob es richtig sei, dass sich einer mit einer gewissen Vorbildfunktion eine Luxus-Hochzeit in Zeiten gönnt, in denen es für viele im Land eng und teuer wird, wurde auch gefragt, ob es richtig sei, den beiden eine kirchliche Trauung zu gewähren, obwohl weder er noch seine Frau mehr in der Kirche sind.

Über den äthiopischen Finanzminister findet sich eine Meldung in der Bibel. Und diese Meldung aus der Apostelgeschichte, die einer der Predigttexte für heute ist, liest sich so:

Ein Engel des Herrn aber sprach zu Philippus: Mach dich auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt; sie ist menschenleer. 27Und er machte sich auf und ging. Da kam ein äthiopischer Hofbeamter vorüber, ein Eunuch der Kandake, der Königin der Äthiopier; er war ihr Schatzmeister. Der war nach Jerusalem gereist, um dort zu beten. 28Nun befand er sich auf dem Heimweg; er saß auf seinem Wagen und las im Propheten Jesaja. 29Da sprach der Geist zu Philippus: Geh und folge diesem Wagen. 30Philippus holte ihn ein und hörte, wie er im Propheten Jesaja las, und sagte: Verstehst du, was du da liest? 31Der sagte: Wie könnte ich, wenn niemand mich anleitet? Und er bat Philippus, auf den Wagen zu steigen und sich zu ihm zu setzen. 32Der Abschnitt der Schrift, den er las, war folgender: Wie ein Schaf wurde er zur Schlachtbank geführt; und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. 33In seiner Erniedrigung wurde aufgehoben das Urteil gegen ihn; doch von seinem Geschlecht, wer wird davon erzählen? Denn weggenommen von der Erde wird sein Leben. 34Der Eunuch sagte nun zu Philippus: Ich bitte dich, sage mir, von wem spricht hier der Prophet? Von sich oder von einem anderen? 35Da tat Philippus seinen Mund auf und begann, ihm von dieser Schriftstelle ausgehend das Evangelium von Jesus zu verkündigen. 36Als sie weiterzogen, kamen sie zu einer Wasserstelle, und der Eunuch sagte: Schau, hier ist Wasser; was steht meiner Taufe noch im Weg? 38Und er ließ den Wagen anhalten, und sie stiegen beide ins Wasser hinab, Philippus und der Eunuch, und er taufte ihn. 39Als sie aber aus dem Wasser stiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Eunuch sah ihn nicht mehr; doch er zog voll Freude seines Weges.

Vergleich zweier Finanzminister. Drei Gemeinsamkeiten und viele Unterschiede gibt es zwischen dem Menschen, von dem hier berichtet wurde, und Christian Lindner. Die drei Gemeinsamkeiten: Erstens: Beide sind Finanzminister. Zweitens: Beide suchen ein Gotteshaus auf; und drittens: Beide sind getauft. Bei der Taufe beginnen aber schon die Unterschiede. Der äthiopische Finanzminister sucht erst ein Gotteshaus auf und wird danach getauft, der deutsche Finanzminister wurde erste getauft und suchte dann eine Kirche auf, um zu heiraten, trat allerdings dazwischen aus der Kirche aus. Es gibt weitere Unterschiede: der deutsche Finanzminister ist weiß, der äthiopische war schwarz; er war Kämmerer der Kandake, also einer Herrscherin, denn in jenem Teil Schwarzafrikas, das in der Antike Äthiopien genannt wurde, herrschte traditionell die Königsmutter, die Kandake. Lindner allerdings fand damals das Regieren unter einer Herrscherin Merkel irgendwie falsch.

Ein weiterer Unterschied ist, dass der äthiopische Finanzminister, wie alle Minister der Kandake, ein Eunuch war, der deutsche es aber allem Anschein nach nicht ist.

Ein Eunuch konnte nicht Jude werden. Er durfte nicht in die Gottesdienste Israels kommen, in die Versammlungen des HERRN (Dtn 23,2), das verbietet die Tora. Dennoch reiste er nach Jerusalem, um dort anzubeten. Er gehörte offenbar zum damals nicht ganz kleinen Kreis von „Gottesfürchtigen“, von heidnischen Anhängern des Judentums, Bewunderern des jüdischen Monotheismus, ohne jedoch selbst Juden werden zu können. Das Gesetz, die Weisungen der Tora hielten sie nur teilweise, nur insofern, wie sie es als Nichtjuden tun konnten.

Sind Christian Lindner und Franca Lehfeldt auch Gottesfürchtige? Christen sind sie – offiziell jedenfalls – nicht mehr. Sie sind aus der Kirche ausgetreten. Dennoch hat die Pastorin auf Sylt sie in ihrer Kirche getraut. Sie hat sich vorher im Gespräch davon überzeugt, dass da ein bisschen Gottesfurcht vorhanden ist.

Wer gehört dazu und wer nicht? Wer darf zu was ins Gotteshaus und wer muss draußen bleiben?

Auch in Bezug auf Eunuchen sind die biblischen Auskünfte nicht eindeutig. Einerseits wird ihnen in der Tora der Zugang zu den Versammlungen des HERRN verwehrt. Andererseits wird im Buch des Propheten Jesaja der Ausschluss der Fremden und der Eunuchen ausdrücklich kritisiert.

Sollte der äthiopische Minister diese Stelle beim Propheten Jesaja nicht auch zur Kenntnis genommen haben? Sie redet ja genau von ihm, von dem, der nach Jerusalem reist, um oder den Gott Israels, der er bewundert, anzubeten und doch erfahren muss, dass er nicht richtig dazu gehört.

Da wird er doch mit Interesse folgendes bei Jesaja gelesen haben:

So spricht der Herr: Wahrt das Recht, und übt Gerechtigkeit, denn bald schon kommt mein Heil, und meine Gerechtigkeit wird offenbar. 2Wohl dem Menschen, der so handelt, und dem Menschen, der daran festhält: der den Sabbat hält und ihn nicht entweiht und der auf seine Hand achtet, dass sie nichts Böses tut. 3Und der Fremde, der sich dem Herrn angeschlossen hat, soll nicht sagen: Gewiss wird der Herr mich ausschließen aus seinem Volk! Und der Eunuch soll nicht sagen: Sieh, ich bin ein vertrockneter Baum! 4Denn so spricht der Herr: Den Eunuchen, die meine Sabbate halten und wählen, woran ich Gefallen habe, und die an meinem Bund festhalten, 5ihnen gebe ich in meinem Haus und in meinen Mauern Denkmal und Name, was mehr ist als Söhne und als Töchter. (Jes 56,1-5)

Hat er doch eine Chance beim Gott Israels, der Äthiopier, der Fremde, der Eunuch? Ist der Gott, der sich das kleine Israel zum Volk seiner Leidenschaft erwählt hat, doch auch offen für Menschen aus anderen Völkern?

Und dann las er weiter beim Propheten Jesaja und kam zu jener Stelle, die von jenem Gezeichneten redet, von jenem Verachteten, der unsere Krankheit und unsere Schuld und unsere Strafe trug, der wie ein Schaf war, das zur Schlachtbank geführt wird, alles stumm erduldet hat, den die Schuld des Volkes getroffen hat und der deswegen aus dem Lande der Lebendigen hinweggenommen wurde.

Der äthiopische Finanzminister fragte sich das, was alle sich fragen, die diese Stelle lesen: Vom wem redet hier der Prophet? Von sich selbst oder von einem anderen? Ist es der Prophet selbst, der für andere leidet und ihre Schuld trägt, ist es ein anderer, ist es das Volk Israel, das für andere leidet und ihre Schuld trägt?

Da steigt einer mit Namen Philippus hinzu und spricht mit dem Minister über diesen Text. Verstehst du, was du da liest?, fragt der Anhalter. Wie sollte ich, wenn es mir niemand erklärt, fragt der Minister zurück. Nun wird die Kutsche des Finanzministers zur Lehrhütte, zur Synagoge, zur Kirche, zum Diskussionsraum der heiligen Texte. Philippus macht einen Vorschlag. Es könnte Jesus von Nazareth gemeint sein. Und dann wird er ihm von diesem Jesus erzählt haben, von seinen Lehren und seinen Taten, von seiner Liebe und seinem Leiden, und dass Gott ihn, den die Menschen ins Unrecht gesetzt hatten, ins Recht gesetzt, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

Wer ist gemeint? Das ist auch heute nicht ganz klar. Solche Fragen müssen geklärt werden, Fragen an den Text. Wer ist gemeint? Was heißt es, dass einer die Schuld der anderen auf sich genommen hat? Solche Fragen und viele mehr müssen im gemeinsamen Gespräch geklärt werden, immer wieder. Sie lassen sich nie ein für alle Mal klären. Jede Generation muss sie neu beantworten, jeder Mensch muss sie für sich beantworten. Aber dazu brauch es andere, die mit einem darüber sprechen.

Verstehst du, was du da liest?, fragt Philippus. Der Minister sagte: Wie könnte ich, wenn niemand mich anleitet?

Nach dem Bibelgespräch zwischen Philippus und dem Minister ließ der sich taufen. Er musste dazu nicht in eine Kirche, die es ja damals noch nicht gab, oder in den Tempel. Eine Wasserstelle am Weg tat’s auch. Mit der Taufe bestätigt und besiegelt der Minister, dass er glaubt, etwas verstanden zu haben. Er glaubt, dass auch er – als Heide, als Eunuch, als Schwarzer, als Finanzminister - zu denen gehören kann, die von Gott erwählt wurden, seine Ehre zu bezeugen. Und er glaubt, dass Jesus Christus der ist, der ihm die Dazugehörigkeit ermöglicht hat, dass Christus der ist, der auch für ihn und seine Sünden gestorben ist und seine Schuld auf sich genommen und abgetragen hat. Denn auch er ist ein Sünder. Nicht, weil er ein Eunuch ist, nicht, weil er ein Schwarzer ist. Aber vielleicht, weil er ein Finanzminister ist.

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Vergleich zweier Finanzminister. Eines ist deutlich geworden. Ganz so billig ist der Segen Gottes nicht zu haben. Im Blick auf Lindner Hochzeit fragt sich schon, ob die Kirche den Segen Gottes nicht allzu billig gemacht habe, ihn also verramscht hat. Dabei geht es an keiner Stelle ums Geld und um die Kirchensteuer. Auch der äthiopische Finanzminister hat nichts für seiner Taufe bezahlt. Sondern es geht darum, Gottes Wort verstehen zu wollen. Und damit geht es auch darum, sich selbst verstehen zu wollen. Man braucht schon etwas Mut, sich vor Gott zu stellen und zu ihm zu sagen: „Sieh mich an, hier bin ich!“ Du musst damit rechnen, dass Gott dich dann tatsächlich sieht, und zwar so sieht, wie du in Wahrheit bist. Aber dieser Mut lässt sich aufbringen. Denn du weist ja, dass Gott ein gnädiger Gott ist, der dich zwar so sieht, wie du bist, es aber dir nicht anrechnet, dass du so bist, wie du bist, sondern dich so gelten lässt, wie er dich geschaffen hat und dich haben will, also nicht als Sünder, sondern als ein Gerechter und ein Heiliger. Weil er die Schuld für alle deine Sünden längst auf Christus geworfen hat und dir längst vergeben hat, was du ihm gestehst.

Das ist der Preis für den Segen. Er ist nicht ganz billig. Er kostet etwas. Ein bisschen Mut zur Wahrheit. Man muss es schon in den alten Texten nachlesen und mit anderen besprechen wollen, man muss es verstehen wollen, was Gott alles unternommen hat, damit wir ihm seine Liebe abnehmen und glauben können, damit also seine Zusagen auch dann noch halten, wenn mal mit dir nicht alles klar ist, wenn du in einer Krise bist und die Zweifel an dir nagen. Dann erst zeigt sich, was ein Segen taugt. Wenn er nicht mit dem Mut zur Wahrheit erbeten wurde, wird er nichts taugen. Wenn der Segen nur so ein billiges Giveaway ist, landet er nach wenigen Tagen dort, wo alle billigen Giveaways landen: in der Tonne.

Der äthiopische Finanzminister wollte es verstehen. Er wollte verstehen, wer dieser Gezeichnete Ist, der die Schuld aller auf sich genommen hat. Er wollte verstehen, wie auch er zu denen gehören kann, denen vergeben worden ist. Denn er hatte den Mut zu verstehen, dass auch er einer war, der es nötig hatte, dass ihm vergeben wird.

Erst als er all dies verstanden hatte, ließ er sich taufen. Erst als er all dies verstanden hatte, konnte ihm der Segen etwas sagen.

Ich wünsche Christian Lindner und Franca Lehfeldt, dass sie etwas von dem Gott verstanden haben, dessen Segen sie auf Sylt gesucht haben, und dass dieser Segen ihnen in dem gemeinsamen Leben, das vor ihnen liegt, etwas sagen wird.

Amen.