Gottes glänzendes Reden
Pfarrer Dr. Matthias Loerbroks

Es geschah: als Mose vom Berg Sinai herabstieg – die zwei Tafeln des Zeugnisses waren in Moses Hand, als er vom Berg herabstieg –, wusste Mose nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte von seinem Reden mit ihm. Aaron sah Mose und alle Söhne und Töchter Israels und, siehe!, die Haut seines Angesichts glänzte, und sie fürchteten sich, zu ihm zu treten. Mose rief sie, und sie kehrten zu ihm zurück, Aaron und alle Fürsten der Gemeinde, und Mose redete zu ihnen. Danach traten alle Söhne und Töchter Israels herzu, und Mose gebot ihnen alles, was der HERR mit ihm geredet hatte auf dem Berg Sinai. Als aber Mose geendet hatte, mit ihnen zu reden, tat er auf sein Angesicht einen Schleier. Wann immer Mose kam vor den HERRN, mit ihm zu reden, tat er den Schleier ab, bis er hinausging. Dann kam er heraus und redete zu den Söhnen und Töchtern Israels, was er geboten hatte. Und die Söhne und Töchter Israels sahen das Angesicht des Mose: dass die Haut von Moses Angesicht glänzte. Dann legte Mose wieder den Schleier auf sein Angesicht, bis er kam, mit ihm zu reden.

Wenn Gott redet, wird es hell. Sein Reden hat Glanz, strahlenden Glanz, und das gibt auch seinen Gesprächspartnern Glanz, Menschen mit denen er redet, die mit ihm reden. Wer hier mit wem redet, das lässt der Verfasser in der Schwebe: Moses Angesicht glänzte von seinem Reden mit ihm – von Moses Reden mit Gott? von Gottes Reden mit Mose? Mose legte den Schleier auf sein Angesicht, bis er kam, mit ihm zu reden. Kommt Gott zu Mose? oder Mose zu Gott? Diese Zweideutigkeit deutet die Zweisamkeit von Gott und Mose an. „Der HERR redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freund redet“, hieß es im Kapitel davor, und das wirkt sich nun aus im Angesicht des Mose: es glänzt. Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht eines Menschen. Mose bekommt Anteil am Glanz Gottes, die Herrlichkeit des HERRN erstrahlt an ihm. Das gilt weniger für die historische Person Mose, über die wir wenig wissen. Das gilt vor allem für die fünf Bücher, die seinen Namen tragen, die Tora. Sie hat göttlichen Glanz. Und sie ist nicht nur, das wird durch jene Doppeldeutigkeit unterstrichen, Gottes Wort im Menschenmund; sie ist kein Monolog Gottes. Sie ist Gespräch: Gott redet mit Mose; Mose redet mit Gott.

In einem Loblied auf die Tora heißt es:

Die Tora des HERRN ist vollkommen

und erquickt die Seele.

Das Zeugnis des HERRN ist gewiss

und macht die Unverständigen weise.

Die Anordnungen des HERRN sind gerade

und erfreuen das Herz.

Das Gebot des HERRN ist lauter

und erleuchtet die Augen.

Die Furcht des HERRN ist rein

und besteht auf ewig.

Die Rechte des HERRN sind Treue,

allesamt gerecht.

Sie sind köstlicher als Gold,

als viel feines Gold,

süßer als Honig und Honigseim.

Der Psalmdichter besingt den Glanz der Tora – auch Honig leuchtet ja golden, und erstrecht tut das die Sonne, die in diesem Psalm ebenfalls zum Vergleich herangezogen wird. Köstlicher als Gold – in unserer Geschichte erinnert dieser Vergleich daran, dass Mose hier zum zweiten Mal mit Tafeln vom Berg herabsteigt. Während seines ersten Aufenthalts auf dem Berg hatte Aaron auf Anweisung des Volkes ein Bild des unsichtbaren Gottes her- und hingestellt: ein glänzend goldenes Stierkalb. Es mag sein, dass diese Schuldgeschichte mitspielt, wenn Aaron und die Israeliten sich nun fürchten vor dem Glanz auf Moses Angesicht. Vielleicht hatten sie eher damit gerechnet, einen vom Zorn Gottes verfinsterten Mose zu treffen? Vielleicht aber ist es immer erschreckend für uns Menschen, wenn die Herrlichkeit des HERRN auf Erden aufleuchtet – wir erinnern uns der großen Furcht der Hirten bei Bethlehem. Aaron und die Israeliten erfahren jedenfalls: diesmal ist es nicht bloß Gold, was da glänzt. Mose, die Tora ist Gottes Alternative zu unseren selbstgemachten Gottesbildern: köstlicher als Gold.

Wozu aber dann der Schleier, den Mose über sein glänzendes Angesicht legt? Will Mose die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf seinem Angesicht verhüllen, verschleiern? Man hat zunächst den Eindruck, Mose wolle das Volk schonen, ihm den furchterregenden Anblick seines Glanzes ersparen. Doch das ist nicht so. Wenn Mose verkündet, was der HERR geboten hat, tut er das unverschleiert – die Söhne und Töchter Israels sahen das Angesicht des Mose: dass die Haut von Moses Angesicht glänzte. Und das sollen sie auch sehen, sollen auch optisch wahrnehmen, dass in diesen Worten die Herrlichkeit des HERRN auf Erden erstrahlt. Im Alltag jedoch, wenn Mose von diesen Worten Gebrauch macht und sie anwendet, Entscheidungen trifft und Recht spricht, ist dieser Glanz zwar nicht weg, aber verborgen. Der Schleier markiert den Unterschied zwischen der Tora selbst und ihrer Auslegung.

Vorhin haben wir gehört, wie das Angesicht Jesu aufstrahlt, hell leuchtet wie die Sonne. Da ist Jesus im Gespräch mit Mose und Elia, mit Tora und Propheten: mit der Hebräischen Bibel. Doch die Christen haben Jesus – der himmlischen Stimme entgegen – lange nicht gehört in seinem Gespräch mit Tora und Propheten; sie haben stur und störrisch darauf bestanden, dass das Licht Jesu, der Glanz des Evangeliums den Glanz der Tora in den Schatten stellt. Das aber hat die Leuchtkraft Jesu nun gerade gemindert und darum auch die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in seinem Angesicht. Jesus selbst hatte gesagt, er sei nicht gekommen, das Gesetz und die Propheten aufzulösen, ist damit aber auf taube Ohren gestoßen. Viele seiner Jüngerinnen und Jünger haben lange geglaubt, genau dazu sei Jesus gekommen: insbesondere das Gesetz aufzulösen, abzulösen durch das Evangelium. Einige glauben das noch immer.

Heute, am letzten Sonntag nach Epiphanias hören wir von beidem, vom Glanz auf dem Angesicht des Mose und vom Glanz auf dem Angesicht Jesu. Wir sind froh und dankbar dafür, dass wir beide Erzählungen nicht mehr als Konkurrenten hören, nicht mehr meinen, wir könnten und sollten das Licht des Evangeliums dadurch heller leuchten lassen, dass wir den Glanz der Tora verdunkeln, zum düsteren Hintergrund machen, vor dem das Evangelium erst richtig erstrahlt. Von Jesus wird ja gesagt, dass er das Wort Gottes verkörpert, und im selben Zusammenhang heißt es: wir sahen seine Herrlichkeit – die Herrlichkeit des Wortes Gottes, den strahlenden Glanz der Tora. Epiphanias bedeutet Aufleuchten, Aufscheinen; in der Epiphaniaszeit feiern wir, dass die Herrlichkeit Gottes auf Erden aufscheint als Licht im Finstern: als Mose-Glanz und als Jesus-Glanz.

Am heutigen letzten Sonntag nach Epiphanias nähern wir uns der Passionszeit, in der wir daran erinnern und erinnert werden, dass der strahlende Glanz auf dem Angesicht Jesu verborgen ist, verhüllt, verschleiert in der erschütternden Gestalt eines Leidenden, eines Gequälten. Mit Jesusjüngern und -jüngerinnen steht es ähnlich: das helle Aufscheinen der Herrlichkeit Gottes ist verborgen in zerbrechlichen Gefäßen: in Bedrängten, Verfolgten, Unterdrückten. Wir gehören hier und jetzt nicht zu ihnen, werden aber an unsere vielen verfolgten und bedrohten Geschwister in anderen Ländern erinnert. Und jedenfalls gilt auch uns: eine Kirche, die selbst glänzen, selbst glänzend dastehen will, ist nicht die Kirche des Gekreuzigten.

Die drei Jünger aber, die mit Jesus auf den Berg durften, sehen Osterlicht schon vor dem Leiden Jesu – er hatte es gerade angekündigt –, sehen den Auferstandenen schon vor der Kreuzigung; und wissen nun von diesem Glanz auch dann, wenn sie Jesus allein sehen – ohne seine Gesprächspartner und auf dem Weg ans Kreuz. Wie die Söhne und Töchter Israels vom Glanz auf Moses Angesicht wissen, auch wenn der Schleier darüber liegt. Kurz vor dem Gang auf den Berg hatte Jesus gesagt: Einige, die hier stehen, werden den Tod nicht schmecken, ehe sie den Menschensohn kommen sehen in seinem Reich. Petrus, Jakobus und Johannes ist das gegeben: sie sehen schon zu ihren Lebzeiten den Menschensohn in seiner Herrlichkeit. Nach Ostern tun das auch die anderen Jünger. Und uns wird heute vor Beginn der Passionszeit davon erzählt.

Zu Beginn des Gottesdienstes haben wir einen strahlend verheißungsvollen Zuspruch für das Volk Israel gehört: Die Völker, heißt es im Jesajabuch, tappen noch im Dunkel, aber über dir, Israel, strahlt auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Doch es soll nicht dabei bleiben, dass Finsternis die Erde, die Völker umhüllt. Jesus ist gekommen, damit das Licht, das Israel aufgegangen ist, der Glanz der Tora, weltweit zum Leuchten kommt. Als Jesus noch ein kleines Kind war, wurde ihm eine Doppelrolle prophezeit: er werde ein Licht sein zur Aufklärung der Völker und zur Ehre, zur Herrlichkeit, zum Glanz Israels. Vielleicht haben wir Jesusjünger und -jüngerinnen so wenig Aufklärung in der Völkerwelt bewirkt, weil wir uns so hartnäckig weigern, Gottes Volk Israel die Ehre zu geben, seinen Glanz strahlen zu lassen? Doch das lässt sich ja ändern.

Amen.