2. Die Erde rollt dem Tag entgegen;
wir ruhen aus in dieser Nacht
und danken dir, wenn wir uns legen,
dass deine Kirche immer wacht.
3. Denn unermüdlich, wie der Schimmer
des Morgens um die Erde geht,
ist immer ein Gebet und immer
ein Loblied wach, das vor dir steht. (EG 266, Gerhard Valentin nach John F. Ellerton)
Rund um Erde, die sich immer dreht und auf der immer irgendwo Menschen wach sind, steigt immerzu ein Gebet in den Himmel. Es vergeht keine Sekunde, in der nicht irgendwo gebetet wird.
Reden wir heute, am Sonntag Rogate, dem Sonntag, an dem es ums Beten geht, über die Gebetsemissionen. Es gibt nicht nur CO2-Emissionen, es gibt auch Gebets-Emissionen. Gemessen werden nur die einen, die schädlichen, weil sie runter müssen, damit wir nicht den Kipppunkt erreichen, den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Die anderen sollten auch mal gemessen werden, die immerwährenden Gebetsemissionen. Da sollten die Zahlen steigen. In Europa sinken die Emissionen, sowohl die von CO2 wie die von Gebeten, aber weltweit steigen sie. Leider die von CO2 immer noch, Gott sei dank aber die von Gebeten auch.
Sonderbarer Vergleich: Beten und CO2-Ausstoß. Lebensäußerungen des Menschen, die gen Himmel steigen und dort was machen – die einen schaden, die anderen wenden Schaden ab – hoffentlich!
Wenn die Kette unaufhörlicher Gebetsemissionen einmal ins Stocken gerät, wenn für eine Sekunde einmal kein Gebet gen Himmel steigt – kippt dann was? Hält unser unaufhörliches Beten die Welt überm Abgrund? Lässt Gott das Werk seiner Hände so lange nicht fahren, rollt die Erde so lange nicht aus seinen Händen, so lange das Rufen und Beten der Menschen an sein Ohr gelangt?
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Betet ohne Unterlass, sagt Paulus. (1.Thess 5,17). Und im 1. Timotheusbrief steht:
Insbesondere bitte ich euch nun, vor Gott einzutreten für alle Menschen in Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung, für die Könige und alle Amtsträger, damit wir ein ruhiges und gelassenes Leben führen können, fromm und von allen geachtet. Das ist schön und gefällt Gott, unserem Retter, 4der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5Einer nämlich ist Gott, einer auch ist Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, 6der sich selbst gegeben hat als Lösegeld für alle.
Wir sollen für alle Menschen beten. Insbesondere aber für Könige und Amtsträger. Letzte Woche wurde für einen König gebetet vor aller Welt in Westminster Abbey. Das war einerseits beeindruckend, weil die Kirche von England noch was von Pomp versteht, andererseits aber auch ein bisschen Kasperletheater. Wenn die ersten Christen für die Könige gebetet haben, dann ging um ihr Überleben in heidnischen Reichen. Heute sind Könige Marionetten von Traditionen und Ritualen. Nicht sie haben die Fäden in der Hand, sondern die Amtsträger. Aber auch für sie soll gebetet werden. Nicht dafür, dass sie einen in Ruhe lassen, sondern dafür, dass sie uns Ruhe verschaffen, also Friede und Sicherheit, aber auch Freiheit und Rechtsicherheit.
Heute beten wir also nicht mehr für Könige, sondern für die Amtsträger und Amtsträgerinnen. Die brauchen unser Gebet. Auch die, die selbst nicht mehr beten oder an Gott glauben. Dass sie die ihnen auf Zeit gegebenen Macht und Entscheidungsvollmacht gut gebrauchen, also für die anderen gebrauchen und nicht missbrauchen für nur das eigene Ansehen und Fort- und Auskommen.
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Wir sind immer besser informiert über das, was in der Welt los ist, wo sie also unser Beten gerade brauchen. Unsere Fürbitten werden immer globaler, aktueller, präziser, und länger.
Die Tage, die Ereignisse, auch die Geschichte – sie legen uns die Themen für unsere Gebete auf den Tisch oder den Altar. Heute, die wichtige Wahl in der Türkei. Wir werden für die Türken beten, nicht für oder gegen Erdogan, sondern für eine faire und geordnete Wahl und dafür, dass der Sieger ein Präsident wird, der die Menschenrechte und die Minderheiten achtet und ein guter Demokrat ist, also einer, der Widerspruch nicht nur ertragen, sondern damit umgehen kann.
Wir werden für Israel beten, das heute seinen 75. Geburtstag feiert. Und wo wir in diesen Tagen auch für die Erhaltung der Demokratie beten müssen, dafür, dass gewählte Demokraten gewählte Demokraten bleiben und nicht zu Machterhaltungsmaschinen mutieren.
Und heute ist Muttertag. Im Jahre 2023 sollten wir am Muttertag auch für die Väter beten. Denn so, wie es keine echten Könige mehr gibt, gibt es auch nicht mehr die Sorte Hausfrauenmütter, die früher zum Muttertag beehrt werden sollten. Ursprünglich kam der Muttertag aus der amerikanischen Frauenbewegung. Bis ihn der Blumenhandel entdeckte. In der biederen westdeutschen Nachkriegszeit wurde der Muttertag zum Festtag des Hausfrauenglücks. Heute haben die Mütter die gleiche Rolle wie die Väter und umgekehrt – hoffentlich. Das Gebären und Stillen kriegen die Väter noch nicht hin, aber alles andere schon. Also beten wir am Muttertag für die Eltern. Und für die alleinerziehenden Mütter, weil bei den Alleinerziehenden es immer noch vor allem die Mütter sind, die die Last der Kindererziehung tragen.
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Betet für alle, besonders für die Amtsträger. Ist Gott nicht auch ein Amtsträger? Einer, der die Macht zwar nicht auf Zeit hat, sondern in Ewigkeit, also ein wahrer König, der einzig wahre König. Müssten wir nicht auch für Gott beten?
Wir haben diese Woche im Pfarrkonvent über diesen Text gesprochen. Ein Kollege meinte, man solle Gott im Gebet nicht allzu konkrete Vorschriften machen. Gott wisse ja, was zu tun sei.
Dem lässt sich nur schwer widersprechen. Trotzdem gefällt mir der Gedanke, dass wir auch für Gott beten sollten. Er hat es ja wirklich nicht leicht mit dieser Welt und mit diesen Menschen. Wenn schon das Volk, das ihm besonders am Herzen liegt, weil es von ihm erwählt wurde, wenn schon die ihn an den Rand der Verzweiflung gebracht haben durch ihre Halsstarrigkeit – wie müssen erst wir anderen alle ihn zur Verzweiflung bringen? Mindestens also um Geduld, um Nachsicht müssten wir ihn doch immer wieder bitten. Dafür, dass er uns nicht aufgibt, und auch die nicht aufgibt, die ihn längst aufgegeben haben. Und doch wohl auch dafür, dass Er den Überblick nicht verliert, wenigstens er nicht in dieser immer komplizierter werdenden Welt.
Und schließlich doch auch das: Müssen wir Gott nicht auch erinnern? Nicht nur uns im Gebet erinnern, wer Hilfe braucht, sondern auch Gott erinnern? Warum sonst erzählt Jesus diese sonderbare Geschichte vom schlafenden Freund, als seine Jünger ihn bitten, ihnen das Beten beizubringen? Man muss diesen Freund wachrütteln und hartnäckig sein, damit er einem einen Gefallen tut. Wir müssen schon bitten, ordentlich bitten, Gott aufrütteln. Ich will nicht behaupten, Gott schlafe tief. Ich will nicht behaupten, er haben keine Lust mehr. Ich will nur annehmen, er habe einfach so schrecklich viel zu tun. Das kann man ja verstehen. Gott ist eben auch nur ein Mensch, hätte ich beinahe gesagt. Ich hab’s gesagt. Es stimmt natürlich nicht, nicht ganz. Aber es hilft in jedem Fall beim Beten. Reden wie mit einem Menschen, reden mit der Mutter oder mit dem Vater, oder – für mich noch passender - mit einem guten Freund reden.
Amen.