Gute Führung – (wie) geht das?
Pfarrerin Senta Reisenbüchler

Liebe Gemeinde, “Wenn sie unzufrieden sind, dann gehen sie doch einfach.“  „Sie sind jederzeit ersetzbar” „Ein bisschen mehr Dankbarkeit für den Arbeitsplatz ist doch nicht zu viel verlangt“ „Die wollen ja gar nicht mehr arbeiten diese jungen Leute“

Das ist meine kleine Auswahl an toxischen Sätzen, die Chefs und Chefinnen zu ihren Mitarbeitenden so sagen oder zumindest denken. Entmutigende, entwürdigende oder zumindest nicht-wertschätzende Kommunikation auf dem Arbeitsplatz haben wir wohl schon alle erfahren.

Neulich habe ich mit einem ehemaligen Kollegen, der kurz vor dem Ruhestand steht, über das Thema geistliche Führung gesprochen. Mitten im Gespräch hat er eine etwas seltsame Geste gebracht. Er piekte den rechten Zeigefinger in die Luft, senkrecht nach oben. Und er sagte: „Schließlich ist es doch so: Mein Chef … ist da oben, … alles andere … relativiert sich von selbst.“ Ganz im Sinne von Psalm 23, den wir vorhin gehört haben: Der Herr ist mein Hirte.

Nicht der Willkür eine Vorgesetzten ausgesetzt zu sein, sondern allein den barmherzigen Gott zum Chef. So einfach – so gut. Soviel zur Kurzpredigt heute. Oder gibt es noch mehr zu sagen? Ja. J Denn der Predigttext für den heutigen Hirtensonntag hat einiges zum Thema geistliche Führung zu sagen.

Ich lese aus dem 1. Petrusbrief, aus dem 5. Kapitel. Da heißt es:

1 Ich bin ein Gemeindeältester und ein Zeuge für die Leiden von Christus. Deshalb habe ich auch Anteil an der Herrlichkeit, die bald offenbar werden wird. Nun ermahne ich die Gemeindeältesten unter euch: 2 Leitet die euch anvertraute Gemeinde Gottes wie ein Hirte seine Herde! Achtet auf sie. Tut dies nicht aus Zwang, sondern freiwillig. Denn so gefällt es Gott. Handelt dabei nicht aus hässlicher Gewinnsucht, sondern tut das bereitwillig. 3 Spielt euch in eurer Gemeinde nicht als Herrscher auf, sondern seid Vorbilder für die Herde.4 Wenn dann der oberste Hirte erscheint, werdet ihr den Siegeskranz empfangen, dessen Herrlichkeit unvergänglich ist.

Liebe Gemeinde,

wir befinden uns mittendrinnen in dem Prozess der Gemeindeentwicklung der ersten Christ*innen im 1./2. Jahrhundert nach Christus. Wir erinnern uns: Jesus und auch Paulus und die ersten Jünger und Zeitzeuginnen leben nicht mehr. Die ihnen nachfolgende Generation von Christen stehen – nicht anders als wir heute – vor der Aufgabe Regeln und Normen für die Ausübung des gemeinsamen Glaubens zu etablieren; den Glauben der Einzelnen in die Gemeinschaft zu überführen und somit gewissermaßen zu institutionalisieren; ein Leitungsteam aufzustellen und darum zu ringen was diese Einzelnen denn mitbringen sollten um dieser wichtigen Aufgabe gerecht zu werden.

Im Petrusbrief wird die anvertraute Gemeinde als Schafherde bezeichnet, die einen Hirten braucht. Das mag ein gängiges Bild gewesen sein aber entspricht das auch unseren Erfahrungen?

Wir können uns etwas vorstellen unter dem Bild von dem Hirten und den Schafen. Klar. Und dennoch scheint die Vorstellung aus der Zeit gefallen zu sein, nicht den Nerv der Zeit zu treffen. Es ist wohl kaum so, dass ein Führungscoach in einem sagen wir Berliner Start-Up Büro von Schafen und Hirtinnen spricht. Denn suggeriert das Bild nicht automatisch die Schafe als gehorsam, unterwürfig gar orientierungslos ohne eine starke Führungspersönlichkeit? Die Leitung hier – die zu leitenden dort. Problematische Implikationen. Gehen wir dem nach.

Zwei Dinge sind es, die dem Verfasser des 1. Petrusbriefs wichtig sind: Leitet die Gemeinde! Und seid Vorbilder!

Zum ersten Punkt: Leitet! Ein Imperativ! Nehmt euch der Aufgabe an und führt und leitet so, wie es die Aufgabe vorsieht. Doch wie gelingt gute Leitung?

Ein Angebot: Gute Leitung meint, sich an vereinbarte Regeln zu halten, sich bereitstehender Methoden zu bedienen und für geordnete Zuständigkeiten zu sorgen. Aber auch den anderen im Blick zu haben, nach ihren oder seinen Gaben zu suchen und sie zu finden, angstfreie und barrierearme Räume bereitzustellen wo sich alle einbringen können und gesehen fühlen.

Und all das nicht abstrakt im luftleeren Raum, sondern in der Tradition des einen Hirten: Jesus. What would jesus do – kein Slogan der Landeskirche aber hier vielleicht hilfreich. Also was hat Jesus so getan, wie hat er geleitet: Jesus führte indem er das Reich Gottes lehrte und lebte. Führen ist dann sehen und berufen, Führen ist mitgehen und dienen, Führen ist vergeben und glauben an das Gute, den verborgenen Schatz im Gegenüber.

Und dann das zweite: Seid ein Vorbild!

Der erste Petrusbrief steht in der Tradition des Apostel Petrus. Petrus ist gewissermaßen die Idealbesetzung eines Lehrers und Vorbilds für Gemeindehirten. Ja er hat Autorität, weil er als Erster unter den Jüngern von Jesus berufen wurde. Ja er gilt als Apostel und Fels, auf dem die Kirche gründet. Ihm wird die Schlüsselgewalt im Himmel und auf Erden. Doch bemerkenswerter scheint mir, dass Petrus weiß – in der Tiefe - , dass er ein fehlbarer Mensch ist. Petrus hat mit seiner Impulsivität oft genug übers Ziel hinausgeschossen. Zum Schluss seinen Freund Jesus verleugnet. Petrus hat aber gelernt, nimmt sich zurück und reiht sich ein in die Riege der Ältesten.

Liebe Gemeinde,

Führen steht nicht nur etymologisch der Verführung nahe – verführt werden von Macht, Einfluss und Ansehen. Aber Führen, leiten und Vorbild sein ist nichts, dass mit durchsetzender Härte und Macht einhergeht. Weidet die Herde, heißt es bei Petrus. Weidet die Herde und zwar in drei Gegensatzpaaren:

Weidet die Herde Gottes:

1. Nicht gezwungen, sondern freiwillig.

2. Nicht um schändlichen Gewinn willen, sondern von Herzensgrund.

3. Nicht als Beherrscher, sondern als Vorbilder.

Weiden heißt für den guten Grund zu sorgen, auf dem Gedeihen und Nähren passieren kann. Mit auf der Weide zu sein, nach allen schauen und alle im Blick zu haben. Dafür sorgen, dass die Herde ausreichend Platz und Freiräume hat – Bewegungsfreiheit. Immer frisches Gras zum grasen und eine Quelle um sich zu erfrischen.

Und wir stehen alle gemeinsam auf der Weide.

Petrus hat seinen Auftrag von Jesus persönlich erhalten. (Joh 21,15): „Weide meine Lämmer“, sagte Jesus zu ihm. Petrus war sicher mulmig, wusste er doch, wie wenig er zum Vorbild taugte. Doch Jesus beruft ihn obwohl er versagt hat. Die eigenen Grenzen kennen, darauf vertrauen, dass Gott uns führt und Kraft für unsere Aufgaben schenkt. Ich denke dieses Vertrauen braucht es um Gemeinde zu leiten.

Ein entlastender Gedanke zum Abschluss: Kein Mensch kann immer Hirte sein. In schwierigen Momenten, Herausforderungen, festgefahrenen Sitzungen - vielleicht kann es da hin und wieder hilfreich sein den rechten Zeigefinger in die Luft zu pieken, senkrecht nach oben, und sich mit großer Ruhe und Bestimmtheit, vielleicht etwas Pathos, zu erinnern: „Mein Chef ist da oben …“ oder um es mit Psalm 23 zu sagen: der Herr ist mein Hirte.   Amen.