Klare Worte, klarer Klang
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Predigt im musikalischen Gottesdienst nach erfolgter Generalüberholung der Eule-Orgel

Bleibt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Geistesgaben, vor allem aber danach, prophetisch zu reden.

2Wer in Zungen redet, spricht nicht zu Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht ihn: Er redet im Geist von Geheimnissen. 3Wer dagegen prophetisch redet, spricht zu Menschen: Er erbaut, ermutigt, tröstet. 4Wer in Zungen redet, baut sich selbst auf; wer aber prophetisch redet, baut die Gemeinde auf.

5Ich möchte, dass ihr alle in Zungen redet, vor allem aber möchte ich, dass ihr prophetisch redet. Wer prophetisch redet, ist grösser, als wer in Zungen redet, es sei denn, er übersetze es, damit der Gemeinde Erbauung zuteil werde.

6Komme ich jetzt zu euch, liebe Brüder und Schwestern, und rede in Zungen, was nützt es euch, wenn ich nicht mit einer Offenbarung, einer Erkenntnis, einer Prophetie oder einer Lehre komme und zu euch rede?

7Wenn die leblosen Instrumente, Flöte oder Leier, zwar Töne von sich geben, Töne aber, die sich nicht unterscheiden lassen, wie soll dann erkannt werden, was auf der Flöte oder auf der Leier gespielt wird? 8Und wenn die Posaune ein undeutliches Signal gibt, wer wird sich dann zum Kampf bereitmachen? 9So ist es auch mit euch: Wenn ihr mit eurer Zunge kein deutliches Wort hervorbringt, wie soll man da verstehen, wovon die Rede ist? Ihr werdet in den Wind reden. 10Es gibt wer weiß wie viele Arten von Sprachen in der Welt, nichts ist ohne Sprache. 11Wenn ich aber die Bedeutung eines Lautes nicht erkenne, werde ich für den, der spricht, ein Fremder sein, und der, der spricht, ein Fremder für mich. 12So auch ihr: Wenn ihr schon um die Geistkräfte wetteifert, dann trachtet nach dem, was der Erbauung der Gemeinde dient, damit ihr alles im Überfluss habt.

13Darum bete, wer in Zungen redet, dass er es auch übersetzen kann. 14Denn wenn ich in Zungen bete, so betet zwar mein Geist, mein Verstand aber bleibt ohne Frucht. 15Was folgt daraus? Ich will im Geist beten, ich will aber auch mit dem Verstand beten; ich will im Geist lobsingen, ich will aber auch mit dem Verstand lobsingen. 16Denn wenn du den Lobpreis sprichst im Geist, wie soll dann, wer als Fremder dazustößt, auf dein Dankgebet hin das Amen sprechen? Er versteht ja nicht, was du sagst. 17Du magst zwar ein schönes Dankgebet sprechen, doch der andere wird nicht aufgebaut. 18Ich danke Gott, dass ich mehr als ihr alle in Zungen rede; 19aber in der Gemeinde will ich, um auch andere zu unterweisen, lieber fünf Worte mit meinem Verstand sagen als tausend Worte in Zungen.

 

„Ein klarer Raum für klare Worte und klaren Klang.“

Diesen Dreiklang haben wir gefunden, als wir vor einigen Jahren ein Motto für diese Kirche gesucht haben. Ein klarer Raum für klare Worte und klaren Klang.

Der Raum ist wieder klar und hell, seit Maler die Wände gestrichen und Fensterputzer die Fenster geputzt haben. Die Orgel klingt nun auch wieder klar. Die Orgelbaumeister von Eules haben ihren Klang aufpoliert. Jetzt müssen nur noch die Worte klarer werden.

Wie werden die Worte in der Kirche klarer? Welche Meister, welche Handwerker beauftragen wir damit? Tontechniker für die Verstärkung der Stimme? Gewiss. Aber das reicht nicht. Rhetoriker für den rechten Gebrauch der Grammatik und der Syntax, der Sprachbilder und der Spannungsbögen? Gewiss. Aber das reicht nicht.

Was braucht es noch, damit die Worte klar werden?

Man muss wohl noch einen ganz anderen Meister bitten und beauftragen, eine Spezialistin für Inspiration, den Heiligen Geist. Doch finden Sie mal heute einen guten Handwerker.

Obwohl: Mit dieser Fachkraft hatten sie schon immer gewisse Probleme. Schwer zu kriegen, wenn sie aber kam, machte sie nicht unbedingt das, was man wollte.

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In der Gemeinde in Korinth gab es ausgewiesene Spezialisten für unklare Worte. Richtige Laller vor dem Herrn. Auf die Kunst der Glossolallie verstanden sie sich, auf die Zungenrede. Redeten unverständliches Zeug, aber durch den Geist Gottes inspiriert. Ganz offensichtlich hätte der Apostel seinen Korinthern gern geschrieben: „Lasst das Lallen!“ Weil aber die Zungenrede als vom Geist Gottes gewirkt galt, konnte Paulus es sich nicht so einfach machen, er musste argumentieren, gewichten und Prioritäten setzen. Zungenrede – o.k., könnte ihr machen, wenn euch der Geist ergreift, aber nur für euch. In der Gemeinde, wenn die anderen zuhören, sollen sie es auch verstehen, was ihr sagt. Darum müsste ihr es auslegen, müsst euch erklären.

Noch besser als die Zungenrede aber ist das prophetische Reden. „Strebt nach den Geistesgaben, schreibt Paulus, vor allem nach der prophetischen Rede! Denn wer in Zungen redet, redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; keiner versteht ihn. … Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, baut die Gemeinde auf.“

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Führt also die prophetische Rede zu den klaren Worten, die wir suchen? Ja, denn das prophetische Wort klärt auf, es klärt den Horizont. Das prophetische Reden schaut nicht in trübe Tassen und brodelnde Kessel, um dunkle Schicksale zu ahnen, sondern in die Bibel, wo die Worte Gottes einen Horizont aufspannen, der manches klärt, weil er weit hinter unserem Sehvermögen und weit über unseren Einsichten liegt. Prophetisches Reden ist ein Reden in unsere Zeit aus einer anderen Zeit, die eingespannt ist in die Zeit Gottes, wo die Zukunft von Gott gehalten wird und die Vergangenheit nicht versinkt, weil sie von Gott gehoben wird. In der Kirche werden die Worte klar, wenn sie im Horizont der Verheißungen Gottes gesagt werden. Dann fällt ein Licht in unsere Gegenwart, das nicht aus ihr selbst kommt. Unsere Zeit ist nicht verloren. Gott hebt sie auf. Das ist Hoffnung.

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Die Zungenrede hat sich – jedenfalls in den traditionellen Kirchen - nicht halten können. Der Heilige Geist ließ sich wohl von Paulus überzeugen. Wenn heute manches, was in der Kirche gesagt wird, unklar ist, dann liegt es nicht daran, dass der Geist in Zungen redet, sondern daran, dass er gar nicht redet.

Auch bei uns wird nicht in Zungen geredet, sondern hoffentlich klar und prophetisch, damit wir uns Hoffnung machen können.

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Dennoch gibt es bei uns Zungen, viele sogar, aber nicht auf der Kanzel, sondern in der Orgel. Unsere Orgel hat besonders viele Zungenregister. Und da geschieht nun Erstaunliches. Während die Zungenrede die Sprache dumpf, trüb und unverständlich macht, machen die Zungenregister den Orgelklang hell und klar.

Kleine Orgelkunde für alle, die keine Orgelsachverständigen sind: Es gibt Labialpfeifen, bei denen der Luftstrom über eine scharfe Kante weht wie bei einer Blockflöte. Das ergibt einen reinen, eher schlichten Ton. Und es gibt Zungenpfeifen, bei denen der Luftstrom ein Blättchen zum Schwingen bringt wie bei der Klarinette. Und wenn ein Blättchen schwingt, schwingt mehr mit. Der Zungenklang ist voller, schärfer, oft auch lauter. Und dann gibt es noch die Cornette – typisch französisch barocker Klang – bei denen noch mehr mitschwingt, denn der Cornettklang ist sehr obertonreich, weil bei einem Ton gleich mehrere Pfeifen in der Obertonreihe erklingen.

Zungen und Cornette, nicht einfach, sondern vielschichtig und obertonreich, aber klar – so ist der französische Orgelklang und genauso ist auch der Klang der biblischen Sprache.

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Ein klarer Raum für klare Worte und klaren Klang. Klar sollen die Worte sein, die in der Kirche geredet werden – nicht nur in dieser Kirche. Ihre Klarheit kommt aus dem Wort Gottes. Biblische Klarheit ist nicht unbedingt Eindeutigkeit. Oft fragen wir, wenn wir in der Bibel lesen: Was ist denn damit gemeint? Biblische Klarheit ist vielschichtig und obertonreich. Ganz wie unsere Orgel. Da schwingt immer viel mit. Gerade in prophetischer Rede, in den Worten, die sagen, was werden soll, schwingt immer viel von dem mit, was war.

Die Worte, die in der Kirche gesagt werden und die aus dem Wort Gottes schöpfen, sind beziehungsreich und vielschichtig. Nur so werden sie unserem komplizierten Leben, unserer komplizierten Welt gerecht.

Ein klarer Raum für klare Worte und klaren Klang. Hier ist der Raum für Worte und für Klänge, die so obertönig klingen, dass sie Unerhörtes mitschwingen lassen.

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So was Unerhörtes und Unvorstellbares hören wir jetzt. Dona nobis pacem, Gib uns Frieden. Wo wir eintönig geworden sind und schmallippig, weil wir nicht mehr wissen, wie in der Ukraine noch mal Frieden werden sollte, wo wir ihn uns - wenn überhaupt - nur als Waffenstillstand und Friedhofsruhe vorstellen können, hören wir jetzt einen Frieden erklingen, der quicklebendig ist, fröhlich und laut, schrill und lachend. Einen Frieden mit vielen Zungen und Cornetten, obertonreich, himmlisch klar und festlich. So soll ein Friede sein. So muss er wieder werden, so wird er sein. Dona nobis pacem, Gib uns Frieden.

Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Christus Jesus.

Amen.