Lust auf Liebe?
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Habt ihr Lust auf Liebe? Nee, wa? Icke ooch grad nich. Nicht im Februar! Nicht in diesem Jahr! Obwohl der Februar schon seit Jahren ein Mistmonat ist. Vor drei Jahren fing im Februar das mit Corona an. Letztes Jahr im Februar der Krieg. Dieses Jahr im Februar das Erdbeben. Der Februar ist ein Mistmonat. Da hat man keine Lust auf Liebe. Und die Biokräfte sind auch aufgebraucht. Wir lechzen nach ein bisschen Sonne. Im Mai kannst du wieder nach der Lust fragen. Aber im Februar lass mich in Ruhe.

„Sei mir!“, heißt dieser Sonntag, Esto mihi! Da kommt noch was: Sei mir ein starker Fels! Das passt zum Februar. Da kommt immer was. Da kommt’s immer dicke im Februar. Und wer weiß: Vielleicht kommt’s im März noch dicker. Sei mir, Gott, ein starker Fels. Unter mir wankt alles. Nicht nur in der Türkei und in Syrien wankt und bebt alles, auch in meiner Seele und im Gemüt! Jetzt geht es in die Passionszeit. Sei mir ein starker Fels, damit ich stehen bleibe, und eine Burg, darin ich überlebe. Alles wankt. Eine harte Zeit.

Mir ist es schon immer seltsam vorgekommen, dass am Sonntag Estomihi in der Predigt ein hohes Lied auf die Liebe gesungen werden soll. Ein Karnevalsscherz? Nein, es kein Lied fürs Funkenmariechen. Es ist ein Lied für verwirrte Februardepressive wie uns, obwohl auch uns heute die Schellen klingen. Doch hört selbst, ihr kennt das Lied, man kann es nicht oft genug hören.

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1Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.

4Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, 5sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, 6sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; 7sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

8Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. 9Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. 10Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.

11Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. 12Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

13Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

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Habt ihr Lust auf Liebe? Jetzt vielleicht schon! Dieses Lied über die Liebe macht Lust. Man kann sich seiner Wirkung schwer entziehen. Da redet ein Mensch mit Engelzungen über die Liebe, er singt ihr mit Engelzungen ein Lied. Und der Cantus firmus seines Liedes ist: Die Liebe ist das höchste und größte. Es gibt nichts, was darüber geht. Sie ist eine Alleskönnerin. Sie kann alles, alles ertragen, alles glauben, alles hoffen, alles dulden.

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Die Liebe ist das größte und höchste. Größer als alles gute Reden und Zureden.

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

Rhetorisches Talent, tolles Predigen – man merkt es doch am Ende immer, wenn das Herzblut fehlt. Kalte Meisterschaft im Predigen, gekonnt die Bilder ausgemalt, kundig die Theologie in die Zeit gezogen, wach die Themen der Zeit gestreift. Aber wenn die Liebe fehlt – man merkt es. Oft nur tönendes Erz oder klingende Schelle.

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Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis … und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Man analysiert und studiert, man untersucht und macht Umfragen, man versucht Ziele zu formulieren und Visionen zu erarbeiten – am Ende kommt es doch anders. Wie sieht die Kirche in 50 Jahren aus? Gibt es noch die Kirchensteuer? Wahrscheinlich nicht. Gibt es noch Gottesdienste? Hoffentlich doch. Singen wir noch die schönen alten Lieder? Wer weiß? Die EKD will ein neues Gesangbuch machen. Wir fürchten uns schon davor.

Aber alles Vorausschauen und kluge Planen hilft nichts, wenn uns die Liebe fehlt. Was soll eine tolle Performance der Kirche, wenn es in ihr kalt ist? Nicht, weil wir Energie sparen, sondern weil wir Liebe sparen.

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Und wenn ich allen Glauben hätte, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Die Liebe ist die größte – größer als Glaube und Hoffnung. Dabei ist doch eigentlich der Glaube das Kraftpaket. Er kann Berge versetzen, sagt Jesus. Doch auch das, wendet Paulus ein, sei eigentlich nichts, wenn die Liebe fehle. Berge versetzen hat ja auch etwas Gewaltsames. Die Liebe ist nie gewaltsam. Sie duldet und erträgt nämlich alles. Ein starker Glaube ohne Liebe wird unmenschlich, wird gefährlich. Es ist der Glaube der Mullahs und der Taliban, auch der Glaube christlicher Fundamentlisten. Der Glaube ohne Liebe. Er kann Berge versetzen und die größte Militärmacht der Welt aus dem Land jagen. Und ist doch ein Übel, weil ihm die Liebe fehlt, die Liebe zu den Menschen in Afghanistan, die Liebe zu den Menschen im Iran.

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Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.

Auf die Tat kommt es an. Meinen viele. Liebe zeige sich nicht in Worten, sondern in Taten. Meinen viele. „Lasst uns nicht lieben mit Worten, sondern mit der Tat und der Wahrheit“ (1.Joh 3,18) ist eines der beliebtesten Taufsprüche. Auf die Tat kommt es an, meinen viele. Aber wenn die tollste Tat, die aufopferungsvollste Hingabe lieblos ist? Wenn es dabei nur darum geht, etwas zu beweisen oder sein eigenes schlechtes Gewissen zu bedienen? Die lieblose Nächstenliebe nützt keinem.

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Die Liebe ist das höchste und größte. Habt ihr Lust auf Liebe? Auf welche Liebe eigentlich, meine oder deine oder Seine?

Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.

Alles hört mal auf, alles, nur die Liebe nicht. In diesem Leben brauche ich Erkenntnis. Ich will wissen. Ohne Wissen kann ich mich kaum orientieren. Nach diesem Leben brauche ich das nicht mehr. Denn dann ist die Erkenntnis vollkommen und ich muss nichts mehr dazulernen.

In diesem Leben brauche ich Glauben. Es muss etwas geben, an das ich mich halten kann, etwas, das über meinem Leben und jenseits der Welt steht. Nach diesem Leben brauch ich keinen Glauben mehr. Denn dann schaue ich den, an den ich glaube.

In diesem Leben brauche ich Hoffnung. Sonst überfällt mich die Verzweiflung. Und ich werde so triste, dass keine Liebe mich mehr erreicht. Nach diesem Leben brauche ich keine Hoffnung mehr. Dann steht die Zeit, weil sich in der Ewigkeit nichts mehr ändern muss.

Die Liebe ist die größte unter ihnen. Sie bleibt. Auch nach diesem Leben. Wenn wir bei Gott sind, brauchen wir keinen Glauben mehr und keine Hoffnung mehr. Aber die Liebe wird bleiben.

Mein Glaube ist mein Glaube, meine Hoffnung ist meine Hoffnung. Aber die die Liebe ist nicht meine Liebe. Sie ist nicht deine Liebe, sie ist nicht Seine Liebe. Sie ist die Liebe. Sie legt sich zwischen uns. Man hat immer nur Anteil an ihr. …und hätte der Liebe nicht. Das ist kein Druckfehler, das ist ein partitiver Genitiv. Man hat nämlich die Liebe nie ganz, keiner kann sie für sich allein haben. Einsame Liebe ist toten Liebe. Zur Liebe gehören zwei. Man hat immer nur Anteil an ihr. Aber wenn man keinen Anteil an ihr hat, ist das auch nichts. Und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

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Habt ihr Lust auf Liebe? Nein. Dazu braucht man auch keine Lust. Denn die Liebe, von der hier die Rede ist, ist kein romantisches Gefühl. Romantische Gefühle vergehen manchmal schneller als alles andere. Die Liebe, von der hier die Rede ist, ist die höchste und die tiefste, die unvergänglichste. Da braucht man keine Lust zu, da braucht man Mut. Denn es ist nicht die Liebe, die in den schönen Tagen lacht. Es ist die Liebe, die sich in den schlimmen Tagen zeigt. In den Tagen des Februars, in den Tagen des März, in den Tagen, in denen es dicke kommt. Es ist die Liebe, die sich zeigt, wenn wir jetzt mit Jesus hinauf nach Jerusalem ziehen. Noch sind sie unten in Jericho, das liegt in der Jordansenke – geologisch heißt so was Depression. Aber nun geht es aufwärts, noch nach Jerusalem, raus aus der Depression, mit der Liebe den schlimmen Tagen entgegen voller Enttäuschung und Lüge, voller Verrat und Angst, voller Missverständnisse und Gewalt. Die Tage des Februars, die Tage des März, die Tage der Passion, die Tage des Krieges und des Bebens, die Zeichen einer Zeit, die nur noch Gott zum Besseren wenden kann. Und er wird es tun.

Wenn das Leben in Gefahr ist, dann zeigt sich die Liebe. Ich wünsche keinem Gefahr. Aber wenn sie kommt, die Lebensgefahr – und sei es einfach nur am Ende des Lebens mit dem Tod, dann zeigt sich, dass sie mehr ist als alles andere, mehr als das gute Wort, mehr als die gute Tat, mehr alles Wissen, mehr als der stärkste Glaube, mehr als die glühendste Hoffnung. Die Liebe, einfach nur Liebe, die bleibt auf Erden und im Himmel.

Amen.

 

Fürbittgebet:

Ewiger und liebender Gott,

wir bitten um die Kraft deiner Liebe für all die, denen es schwer fällt zu lieben.

Für die, die alleine sind, dass sie sich nicht vergrämen. Die Liebe eifert nicht.

Für die Ehepaare, die einander täuschen oder einander enttäuschen, dass sie sich im andern wiederfinden. Die Liebe sucht nicht das Ihre.

Für die, die für sich keine Zukunft mehr sehen, dass sie nicht aggressiv gegen sich oder andere handeln. Die Liebe treibt nicht Mutwillen.

Für die, die sich ihrer selbst unsicher sind, dass sie nicht sich und anderen imponieren müssen. Die Liebe bläht sich nicht auf.

Für die Kranken, dass sie Hoffnung bekommen. Die Liebe lässt sich nicht erbittern.

Für die, denen Unrecht getan wurde, dass sie das Vertrauen in die Menschen nicht verlieren. Die Liebe rechnet das Böse nicht zu.

Für die Menschen in der Politik, dass sie der Ungerechtigkeit und der Lüge widerstehen. Die Liebe freut sich nicht über die Ungerechtigkeit.

Für die Kirche, dass sie sich des Evangeliums nicht schämt sondern seinen Anspruch groß macht. Die Liebe freut sich an der Wahrheit.

Für uns alle, dass wir freundliche Menschen bleiben. Die Liebe ist langmütig und freundlich.

Mach uns den Glauben fest, mach uns die Hoffnung stark, gib uns Teil an deiner Liebe und lass das das größte sein. Amen.