Der Kelch des Segens, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?
Denn ein Brot ist’s. So sind wir, die vielen, ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.
Ein Laib Brot. Eine runde Sache. Ohne Ecken und Kanten. Ein großer Tisch, fast ein Kreis, eine Tischrunde.
Wir sind zusammen. Wir sitzen an einem Tisch. Wir essen von einem Laib Brot. Wir sind alle Christen, wir glauben alle an Christus, wir sehen gemeinsam in diesem Laib Brot den Leib Christi. Wir feiern unser Einssein, unsere Einigkeit in dem, was wir glauben, indem wir das Brot brechen und miteinander teilen an einem Tisch sitzend.
Das Christentum, liebe Schwestern und Brüder, hat starke Symbole der Gemeinschaft und der Einheit. Brot und Wein, Essen und Trinken, an einem Tisch sitzen, teilen. Und das alles mit direktem Bezug auf den Kern unseres Glaubens.
Schön, dass wir das dieses Jahr wieder machen können. Wir haben früher hier dieses Tischabendmahl immer mit der Friedrichstadtgemeinde zusammen gefeiert. Jetzt sind die nicht mehr da. Dafür seid ihr gekommen; jetzt feiern wir das zusammen mit euch, deutschsprachige Gemeinde und französischsprachige Gemeinde.
Wir viele sind ein Leib, der Leib dessen, an den wir alle glauben, wir sind eins.
Mit den starken Symbolen lässt sich unsere Einheit glänzend beschwören. Und wir könnten uns durch die Beschwörung betören lassen, wenn es uns gelänge, nicht genau hinzusehen.
Aber können wir das genaue Hinsehen lassen? Es gehört ja gewissermaßen zu unserer Kultur, es gehört zur Modernen, zur Aufklärung, das Analysieren und Differenzieren, das Problematisieren und Kritisieren. Das täglich Brot aller Wissenschaft.
Der Laib Brot und der Leib Christi. Das klingt so stimmig. Aber beim genauen Hinsehen sieht man: der eine Laib, der des Brotes nämlich schreibt sich mit ai und der andere, der Körper, mit ei. Es ist eben nicht immer dasselbe, was so gleich klingt.
Wir sind alle Christen. Aber glauben wir wirklich alle dasselbe? Denken wir dasselbe? Sprechen wir die gleiche Sprache, obwohl die einen Französisch und die anderen deutsch sprechen?
Wer am Tisch des Herrn Platz nehmen darf, hat teil am Leib des Herrn, gehört zur Kirche. Die Abendmahlsgemeinschaft drückt die Kirchengemeinschaft aus. Seit fast 50 Jahren, seit der Leuenberger Konkordie von 1973 haben die reformatorischen Kirchen in Europa Abendmahlsgemeinschaft. Erst seit 50 Jahren dürfen lutherische und reformierte Christen zusammen Abendmahl feiern. Die Katholiken sind nicht dabei.
Wenn sich Theologieprofessoren an einen Tisch setzen, entdecken sie viele gravierende Unterschiede in den Lehren zwischen katholischer Kirche und den Kirchen der Reformation. Wenn sich zwei „normale“ Menschen an einen Tisch setzen, eine evangelische und eine katholische Christin, werden sie viele Gemeinsamkeiten in ihrem Glauben, aber auch in ihrer Lebenseinstellung entdecken und sich fragen, wieso sie nicht gemeinsam Abendmahl feiern dürfen.
Um ehrlich zu sein: Nein, auch ich will und kann mich nicht mit jedem an einen Tisch setzen und mit ihm Abendmahl feiern. Mit einem Christen, der Putin verehrt, dessen Lügen nachbetet und den Krieg in der Ukraine verherrlicht oder verharmlost, kann und will ich mich nicht an einen Tisch setzen. Mit einem rechtsextremen, ausländerfeindlichen, rassistischen und homophoben Menschen oder mit einem Impfgegnern und Verschwörungstheoretiker will ich mich nicht an einen Tisch setzen, auch wenn er getauft und Mitglied der evangelischen Kirche ist. Wie kann ich mit Menschen Abendmahl feiern, die ich nie im Leben zum Abendessen zu mir nach Hause einladen würde?
Der Kelch des Segens, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?
Denn ein Brot ist’s. So sind wir, die vielen, ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.
Wir sind ein Leib. Nicht ich bestimme die Einheit, nicht, ob ich mir mit meinem Tischnachbarn einig bin in diesem oder jenem, ist das Kriterium für die Einheit der Christen, nicht meine Ansichten und meine Gefühle, sondern Christus.
Indem wir in all unserer Unterschiedlichkeit an dem einen Tisch des Herrn Platz nehmen und das eine Brot teilen, beschwören wir nicht eine Einigkeit, die nicht da ist. Aber wir suchen eine Einheit, die hinter all unserer Unterschiedlichkeit liegt. Die gibt es. Die Dimension der Menschlichkeit, die wir erkennen, wenn wir unsere Unvollkommenheit, unsere Gebrochenheit wahrnehmen und wahrhaben wollen. Es gibt etwas, das uns alle in der ganzen Unterschiedlichkeit unseres Denkens und Fühlens eint: Wir alle sind auf Vergebung angewiesen sind. Darin sind wir alle vor Gott gleich. Es gibt niemanden, der es nicht nötig hätte, dass Gott ihm gnädig ist.
Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen (Röm 3,22f), schrieb Paulus.
In der Tat: Wir sind alle nichts Berühmtes vor Gott. Wir sind alle in der einen oder anderen Weise gebrochene Wesen. Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?
Das gebrochene Brot ist die Gemeinschaft der Gebrochenen.
Amen.