Gottes Geist gibt zu Verstehen
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Liebe Schwestern und Brüder,

schön, dass ihr da seid. Es ist ja keine Selbstverständlichkeit mehr, in die Kirche zu gehen. Selbst an Pfingsten, selbst zum Geburtstagsfest der Kirche nicht. Die meisten machen was anderes. Man kann es sich an so einem schönen Tag wirklich schöner machen, als in die Kirche zu gehen. Und ganz ehrlich: Dafür habe ich Verständnis. Ganz nüchtern betrachtet: Was gibt es denn hier?

Ist das nicht eine sehr merkwürdige Veranstaltung hier? Richtig lustig ist es nicht, auch nicht wirklich unterhaltsam. Emotional berührend auch eher selten. Und so richtig was zum Lernen gibt es auch nicht. Und selbst wenn - will man denn am Sonntag in die Schule gehen?

Gottesdienst - eine merkwürdige Veranstaltung, eine Mischung aus Musik, Songs und der Darbietung altertümlicher Texte. Die Musik kommt von einem Instrument, das sich außerhalb der Kirche nicht durchgesetzt hat – das wird ja wohl seinen Grund haben. Die Songs sind sehr altmodisch. Es gibt auch neuere, die es mit Synkopen und Triolen versuchen, aber so richtig hip und trendy sind die auch nicht. Die Texte sind aus einem alten Buch in einer Sprache, die so nicht mehr gesprochen wird. Und im der Mitte der Veranstaltung hält einer eine Ansprache und redet die Leute mit Schwestern und Brüder an, statt mit „Sehr geehrte Damen und Herrn“ oder „liebe Freunde“. Der versucht zwar, normal zu reden, aber so richtig gelingt das selten.

Aber ihr seid gekommen. Wenn ich es jetzt so betrachte, ist das fast ein Wunder. Ein Pfingstwunde. Ein Wunder, dass überhaupt jemand kommt. Denn, was es hier gibt, das passt in keine Kategorie: Es ist nicht Unterhaltung, es ist nicht Kunst, es ist nicht politische Manifestation. Es ist auch nicht Religion. Religion ist doch, wenn Menschen in ein Gotteshaus oder in einen Tempel kommen und einem Gott opfern. Wir haben keine Opferstätte für Ziegen und Schafe oder Tauben, nicht mal für Reis oder Blumen, nicht mal für Kerzen oder Räucherstäbchen. Selbst das Opfern von Geld ist zweckrationalisiert als Spende, die ausdrücklich nicht für Gott ist, sondern für andere Menschen, die Geld brauchen, um anderen Weise helfen zu können.

Einen kleinen Rest von Religion, einen winzigen Opferkult gönnen wir uns heute, wir feiern Abendmahl. Wir opfern natürlich nichts, wir denken nur an ein Opfer, an ein uraltes, das gar nicht wir dargebracht hat, sondern Gott für uns. Und selbst dieser Gedanke lässt manchen von uns schon die Nackenhaare schwellen. Nein, Abendmahl hat nichts mit Opfer zu tun, nicht mit Religion, es ist symbolische Darstellung von Gemeinschaft, also Ringelpiez mit Anfassen, würden es die Spötter nennen.

Ein evangelischer Gottesdienst und ein reformierter noch dazu ist etwas, das aus allen Schubladen fällt. Und deshalb: Schön, dass ihr da seid, danke, es ist nicht selbstverständlich, es ist ein Wunder, es ist ein Pfingstwunder.

Herzlich willkommen bei einer Veranstaltung, die nicht von dieser Welt ist.

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Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der von Gott kommt, damit wir verstehen, was uns von Gott geschenkt worden ist, schreibt Paulus. Und dann weiter:

Und davon reden wir, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern mit Worten, wie der Geist sie lehrt, indem wir für Geistliches geistliche Bilder brauchen. Der natürliche Mensch aber erfasst nicht, was aus dem Geist Gottes kommt, denn für ihn ist es Torheit; und er kann es nicht erkennen, weil es nur geistlich zu beurteilen ist. Wer aber aus dem Geist lebt, beurteilt alles, er selbst aber wird von niemandem beurteilt. Denn wer hätte die Gedanken des Herrn erkannt, dass er ihn unterwiese? Wir aber haben die Gedanken Christi.

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Wir sind hier, weil uns ein Geist gerufen hat. Der Geist Gottes hat uns hergebracht, nicht der Geist der Welt. Uns hat keine Werbung und keine Attraktion hergeführt. Uns hat der Geist Gottes hergeführt. Dieser Geist spricht, und er verspricht, dass wir verstehen werden. Hier gibt es etwas zu verstehen: die Welt, das Leben, uns selbst und die anderen. Das ist die große Verheißung des Gottesdienstes.

Doch dieses Verstehen, dieses Wunder von Pfingsten, geschieht selten sofort und selten mit einem Schlag und auch selten im Gottesdienst. Dort artikuliert sich der Geist Gottes zunächst in Worten und Gedanken, in den Geschichten und der Poesie eines uralten Buches, in Texten, die Menschen vor 2000 Jahren und mehr aufgeschrieben haben.

Man übersetzt und überträgt, legt aus und erklärt, muss das immer wieder tun – doch all das Bemühung um Verstehen ändert nur wenig: Es bleibt oft lange eine fremde Welt. Und das ist gut so! Denn nur so kann meine kleine Welt weiter werden, nur so können Horizonte sich öffnen.

Wir reden, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern mit Worten, wie der Geist sie lehrt, indem wir für Geistliches geistliche Bilder brauchen.

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So ein geistliches Bild wie das aus der Pfingstgeschichte, das Brausen vom Himmel und die geteilten Zungen wie von Feuer, von denen sich jeweils eine auf einen Jünger niederlässt – so was kann man nicht übersetzen, erklären, plausibilisieren. Das bleibt fremd. Sicher, man kann manches geistliche Bild in geistreiche Metaphern überführen, man könnte hier von einer brennenden Begeisterung reden, aber man sollte diese Feuer nicht zu schnell unter Kontrolle bringen, nicht zu schnell eindämmen und löschen, indem wir sie in unsere Alltagswelt überführen.

Übersetzen und übertragen, auslegen und erklären – all das muss sein, damit wir überhaupt etwas verstehen von diesen fremden Worten und fremde Geschichten. Doch das hat auch seinen Preis: Wenn man damit zu weit geht, wird es banal.

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Das ist die Gefahr jeder Predigt. Wie oft habt ihr – und wir oft habe ich selbst schon beim Hören von Predigten gedacht: Was für eine schöne Predigt, was für tolle Beispiele, was für schöne Bilder! Aber was ist die Botschaft? Am Ende ist es dann oft etwas ziemlich Banales.

So ist es auch mit der allerersten Predigt. Die Jünger werden vom Geist Gottes erfüllt. Dann tritt Petrus vor die verwunderten Menschen und fängt an zu predigen. Er nimmt ein Stück Bibel, eine Weissagung des Propheten Joel, die ziemlich befremdlich klingt.

Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da werde ich von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure jungen Männer werden Gesichte sehen, und eure Alten werden Träume träumen. … Wunder oben am Himmel werde ich wirken und Zeichen unten auf Erden: Blut und Feuer und qualmenden Rauch. Die Sonne wird Finsternis werden und der Mond Blut, ehe der große und herrliche Tag des Herrn kommt. (Apg 2,17-20)

Was für ein starker Text! Aber auch: Was für ein befremdlicher Text!

Dann predigt Petrus von Jesus, der der Sohn Davids sei, der getötet und von den Toten auferweckt wurde und zur Rechten Gottes erhöht wurde. Und fasst alles in dem Schlusssatz zusammen: Klar und deutlich erkenne also das ganze Haus Israel, dass Gott ihn zum Herrn und zum Gesalbten gemacht hat. (Apg 2,36)

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Liebe Schwester und Brüder im Geist!

Schön, dass ihr da seid in dieser merkwürdig fremden Veranstaltung Ev. Gottesdienst, die beseelt wird mit einem Geist, der nicht von dieser Welt ist, mit Texten, die nicht von dieser Welt und nicht aus unserer Zeit sind. Alle Übersetzungs- und Übertragungsmühe werden es nicht schaffen, dies alles in unseren Horizont, in unsere Welt, in unsere Zeit zu integrieren. Auch die Predigt wird es nicht schaffen. Es wird immer zu weiten Teilen fremd bleiben. Aber nur so, liebe Gemeinde, nur so birgt es das Versprechen eines Geheimnisses, eines Wunders, das unseren Horizont weitet.

Der Gottesdienst ist nicht dazu da, euch die fremde Welt Gottes zu erklären und zu entschlüsseln. Das würde sie entzaubern. Der Gottesdienst ist dazu da, euch in die fremde Welt Gottes einzuführen, in ihre Wunder, in ihren Zauber. Je vertrauter ihr mit dieser fremden Welt werdet, je besser ihr auch ihre Sprache sprecht, desto leichter könnt ihr sie in euer Leben, in euren Alltag mitnehmen und selbst verstehen, was Gott euch sagt.

Der Geist Gott ist über allen ausgegossen, nicht nur über Theologinnen und Theologen, nicht nur über Predigende und Bibelausleger, sondern über alles Fleisch.

Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der von Gott kommt, damit wir verstehen, was uns von Gott geschenkt worden ist.

Wer sich auf diese fremde Veranstaltung Gottesdienst einlässt, wer versucht, in diese fremde Welt heimisch zu werden, wird mehr verstehen als die, die es nicht tun. Mehr von der Welt, mehr vom Leben, mehr von sich selber, mehr von den anderen. Mehr davon, wie all das ein Geschenkt Gottes ist.

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Nehmt also die fremden Worte, die fernen Texte, die alten Geschichten und die sperrigen Dichtungen mit in euer Leben. Und seht, wie sie zu sprechen beginnen. Irgendwann werden sie es tun. Dazu gebe Gott uns allen seinen sprechenden Geist.

Amen.

 

Fürbitten:

Gott,

gieß ihn aus, deinen Geist, lass ihn fließen vom Himmel auf alles Fleisch wie der Regen auf alles Land. Lass ihn einsickern in unsere Hirne, wie die Tropfen in alle Furchen. Lass ihn befeuchten die trockenen Seelen und Humor geben den dürren Gemütern.

Komm, Geist Gottes und mach uns Gott verständlich, seine Taten, seine Worte, seine Geschenke.

Pack sie aus, aus dem Leben deines Sohnes und pack sie wieder ein in unsere Leben. Gib uns unser Leben zu verstehen und unsere Welt. Gib uns zu verstehen, was werden soll aus ihr und aus uns. Gib uns Hoffnung für sie und für uns.

Treib aus das Treibhausgas und gieß aus den Himmelsgeist. Damit klarer werde die Luft und genügsamer unser Leben, glücklicher die Tiere und grüner die Bäume.

Gib den Geist der Wahrheit den Despoten dieser Welt, dass sie von ihren Lügen lassen und ehrfürchtig werden vor Dir, dem Herrn der Herren, dem Gott aller Götter, dem Allmächtigen, der die Ohnmacht kennt, dem Schöpfer des Lebens, der den Tod kennt, dem Odemgeber allen Lebens auf der Erde, in den Lüften, im Wasser und unter der Erde.

Inspiriere alles, was Geist hat, beflügele alles, was eine Seele hat, lass leben alles, was da leben will, und nimm zu dir alles, was zu dir will. Amen.