Das Kreuzworträtsel und die dumme Welt
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

18Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. 19Denn es steht geschrieben (Jes 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt?

Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben.

22Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; 24denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

 

Ihr lieben, berufenen und weisen Menschen, das wird keine leichte Sommerpredigt heute Morgen, nicht bei diesem Kreuzwort-Rätsel des christlichen Obertheologen Paulus über Weisheit und Torheit, das manche Fragen aufwirft.

Da ist also ein jüdischer Theologe mit sehr guter griechischer Bildung in Philosophie und Rhetorik, der erklärt uns in bestem Griechisch und dialektischen Winkelzügen, dass diese ganze jüdisch griechische Bildung für die Katz ist. Bringt nichts, bringt uns jedenfalls Gott keinen Deut näher.

Da dieser Paulus selbst sehr gebildet ist, sowohl jüdisch wie griechisch, kann er unterscheiden zwischen zwei Zugangsweisen: Die Juden fordern Zeichen, die Griechen fragen nach Weisheit.

Das ist 2000 Jahr später bei den Berlinern immer noch so. Die Christen sind eine Minderheit wie damals in Korinth und unter dieser Minderheit gibt es die einen, die kommen in die Kirche zum Gottesdienst, weil sie Weisheit suchen, weil sie also denken, das Evangelium sollte uns etwas zu denken geben, uns im Kopf weiterbringen oder im Kopf etwas ändern. Und es gibt die anderen, die wollen Zeichen sehen, die kommen am Sonntag, weil sie sich Impulse für den Montag versprechen, dass sie was tun können, was ändern können. Es gibt in Berlin auch Christen, die Zeichen im Gottesdienst fordern. Die finden sie nicht in den normalen, landeskirchlichen Gemeinden, wo gepredigt, gebetet und gesungen wird, sondern in evangelikalen oder charismatischen Gemeinden, wo vor allem Publikum auch geheilt wird oder wenigstens von Heilungen berichtet wird.

Die einen fordern Weisheit, die anderen fordern Zeichen.

Und bei uns? Obwohl wir uns - auch mit Hilfe des Paulus - angewöhnt haben, die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens zu verstehen, gehören wir doch eindeutig auf die Seite der Griechen, denn: Wir wollen verstehen. Wir sind eine eher bildungsbürgerlich geprägte Gemeinde, sind froh, wenn Kilian Nauhaus Bach orgelt und die Prediger gute Theologen sind mit Doktortitel. Es bedarf ja auch einiger intellektueller Fähigkeiten, so eine scharfsinnige Abhandlung wie die des Paulus über die Weisheit der Menschen, die Dummheit ist vor Gott und die Weisheit Gottes, die die Weisheit der Menschen entlarvt, überhaupt zu kapieren. Und es bedarf einer gewissen intellektuellen Fähigkeit der Gemeinde, einer 20minütigen Rede über so einen Text zuzuhören. Allein schon die Bibeltexte einigermaßen zu verstehen, ist nicht ganz trivial. Es gehört ja schon einige Bildung dazu, zu merken, dass wenn hier von den Toren die Rede ist, es nicht um die Fußballeuropameisterschaft geht. Und dass das Gegenteil von den Toren nicht keine Tore ist, sondern die Weisen und dass das Gegenteil von den Weisen wiederum nicht die Schwarzen sind, sondern die Dummen.

Im Fußballstadion ist es einfach einfacher als in der Kirche. Obwohl ich zugeben muss, dass ich in all meiner Weisheit immer noch nicht verstanden habe, was abseits ist. Aber immerhin habe ich gelernt, dass abseits manchmal keine Tore bringt, obwohl der Ball drin war, was einen aber weiterbringen kann. Gut, Fußball kann auch ganz schön dialektisch sein.

Verlieren wir uns nicht auf dem weiten Fußballfeld, kommen wir zurück zum Kreuzworträtsel des Paulus: Wir sind, mussten wir zugeben, eher wie die Griechen, die nach Weisheit, nach Erkenntnis, nach Verstehen suchen. Aber da ist das Wort vom Kreuz. Das Wort vom Kreuz sei eine Torheit, behauptet Paulus. Und provoziert uns.

Sind wir Reformierten nicht Griechen höheren Ordnung? Wir rühmen uns unserer theologischen Klarheit, wir rühmen uns, keine Kreuze in unseren Kirchen zu haben, in keinem Fall Kruzifixe, an denen der gemarterte Leib Jesus zur Schau gestellt wird. Als sei das ein Gräuel, unappetitlich, ja mehr noch, eine Beleidigung unseres Verstandes.

Es gibt so eine leichte reformierte Hochnäsigkeit über das Kreuz, als sei das Kreuz eine Torheit. Die Darstellung des Kreuzes mag eine Sache sein, das Wort vom Kreuz ist eine andere Sache. Ist uns auch das Wort vom Kreuz eine Torheit?

Was ist das Wort vom Kreuz? Ich würde es so formulieren: Jesus Christus ist für alle gestorben. Das Lamm Gott, das hinwegnimmt die Sünd der Welt.

Wir Reformierten mögen kein Kreuz in unseren Kirchen. Mögen wir auch kein Wort vom Kreuz in unseren Kirchen? Ist das Wort vom Kreuz eine Beleidigung unseres Verstandes? Eine Torheit für die Griechen, eine Torheit auch für die Reformierten? Sind die Reformierten ganz besonders wie die Griechen?

Ja, das Kreuz ist und bleibt eine Provokation. Vielleicht ist der Abwehrreflex der Reformierten gegen das Kreuz sehr ehrlich. Denn das Wort vom Kreuz wirft auch heute noch unangenehme Fragen auf und provoziert immer noch. Wie kann es sein, dass etwas so Gutes wie Vergebung und Versöhnung durch etwas so Schauerliches zustande kommt? Wie kann es sein, dass ein Tod Vielen das Leben bringt? Wie kann überhaupt Tod Leben bringen? Wie kann einer ausbaden, was alle verbrochen haben? Wird nicht überall furchtbar gelitten? Musste auch noch der gute Mensch von Nazareth furchtbar leiden? Ist nicht jeder, der leidet, einer zu viel? Was soll das bringen?

Das Wort vom Kreuz, eine Torheit für die Griechen, eine Torheit für die Reformierten, eine Beleidigung des Verstandes.

Warum also? Paulus gibt darauf eine verblüffende Antwort, eine Antwort, mit der der Verstand nicht zufrieden sein kann, eine Antwort, die nicht logisch ist, aber theologisch: Es habe Gott so gefallen!

Weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben.

Es hat Gott gefallen. Und dass es Gott gefallen würde, das hat sich Paulus nicht ausgedacht, das ist kein dialektischer Trick eines griechisch geschulten Rhetorikers, sondern das hat Paulus gefunden. Das stand nämlich schon geschrieben, stellt er fest, bei Jesaja:

19Denn es steht geschrieben (Jes 29,14) – schreibt er -: »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«

Es hat Gott gefallen. Diese Antwort wirft weitere Fragen auf, Fragen nicht an Gott, sondern an uns.

Gibt es eine Möglichkeit, das zu übergehen, was Gott gefallen hat? Gibt es eine Möglichkeit, sich das Kreuz aus dem Blick zu nehmen und aus dem Sinn zu schlagen? Oder anders gefragt: Gibt es eine Möglichkeit, vor dem Leben die Augen zu verschließen?

Denn das Leben ist nicht weise. Das Leben ist ganz schön dumm. Für so viele. Für so viele läuft das Leben ziemlich dumm. Es gibt so viele Dumme. Die Dummen, das sind nicht die, die sich weigern, etwas einzusehen. Die Dummen, das sind nicht die, die sich weigern, etwas zu lernen. Die Dummen, das sind die, die keine Chance hatten, zur Schule zu gehen, die sich für unwürdig halten, je eine Universität zu betreten, die keine Chance bekamen, etwas zu lernen. Die Dummen, das sind auch die, denen niemand gesagt hat, wie man sich möglichst schadlos durchs Leben schlägt, die immer unter die Räder kommen, die immer am Ende der Schlange stehen, die zu dumm sind, den eigenen Vorteil zu ergreifen, die zu dumm sind, die anderen übers Ohr zu hauen. Die Dummen, das sind die, die irgendwo in einem kleinen korrupten Niemandsland im letzten Winkel der Welt auf die Welt gekommen sind und denen niemand je eine Leiter hingehalten hat, damit sie aus ihrem Loch rausklettern können.

Das sind die Dummen. Und von denen gibt es sehr viele.

Nicht also das Kreuz ist eine Beleidigung unseres Verstandes und unserer Weisheit, sondern die Welt ist eine Beleidigung unseres Verstandes und unserer Weisheit. Die Welt, so wie sie ist, ist ganz und gar nicht vernünftig und weise.

Das Wort vom Kreuz, liebe reformierten Griechen – und das bin ich ja auch – die wir so vernünftig und gebildet nach der Weisheit des Evangeliums fragen, das Wort vom Kreuz ist ein Skandal, ein Ärgernis und eine Dummheit, aber sehr nötig. Denn es hat Gott gefallen, uns so aufzurütteln. Uns mit Gewalt die Augen zu öffnen, uns mit der Nase draufzustoßen, wie dumm das Leben für so viele ist und wie unvernünftig die ganze Welt ist. Uns vor den Kopf zu stoßen, damit uns die Scheuklappen von den Augen fallen und uns klar wird, wie unsere vornehme Weisheit fehlgeht, weil sie immer nur das weiß, was sie wissen will. Und was sie nicht wissen will, davor verschließt sie die Augen.

Die Furcht Gott ist der Weisheit Anfang. Das wussten nicht die Griechen, Das wussten aber die Juden. Das ist die Weisheit Israels. Weisheit ist es, wissen zu wollen, was Gott gefallen hat. Die Furcht Gott ist der Weisheit Anfang. - Weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen.

Müssen wir nun in unserer Kirche Kreuze aufhängen? Nein. Wir sollten uns nur davor hüten, es besser wissen zu wollen als Gott. Solange wir uns nicht vor dem Wort vom Kreuz die Ohren zuhalten, brauchen wir keine Kreuze aufzuhängen. Das Wort vom Kreuz ist ein Ärgernis, dem wir uns stellen müssen. Du sollst dich aber nicht über Gott ärgern, weil es ihm gefallen hat, dich mit dem Kreuz vor den Kopf zu stoßen. Sondern du sollst dich über dich selbst ärgern, weil du dir in all deiner Weisheit die Dinge immer wieder so zurechtlegst, wie du sie sehen möchtest. Du stellst lieber Gott infrage als dich selber.

Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft.

Nicht, wer sich die Ohren zuhält vor den Schreien und Klagen der Leidenden, wird selig, sondern wer hinhört, wird selig.

Nicht, wer wegguckt, kriegt die Kraft Gottes, sondern wer hinguckt.

Amen.

 

Fürbitte

Unendlicher, ewiger, geheimnisvoller Gott,

Dein Wort ist die Quelle aller Weisheit.

So bitten wir dich heute um Weisheit.

Wir bitten dich für die Kirche, dass sie nicht herrsche mit dem Kreuz, sondern den Blick denen zuwende, die leiden, wie dein Sohn gelitten hat.

Wir bitten dich für die Predigenden, dass sie nicht mit ihrer Weisheit glänzen, sondern von deiner Weisheit zeugen, und dass die Torheit ihrer Predigt selig macht, die daran glauben.

Wir bitten dich für die Theologen und Theologinnen an den Universitäten, dass sie nicht klügeln und philosophie­ren als gäbe es dich nicht, sondern denken und reden und schreiben in Ehrfurcht vor dir, dem lebendigen Gott, dem Geheimnis des Lebens

Wir bitten dich für die Wissenschaft, dass sie nicht alles ausprobiert, was sie zu erkennen glaubt, sondern Respekt vor dem Leben hat und um ihre Grenzen weiß.

Wir bitten dich um Weisheit für die Regierenden, dass sie die ihnen geliehene Macht nicht missbrauchen und sie zurückgeben, wenn es an der Zeit ist.

Wir bitten dich für alle Menschen, die nach Weisheit streben: Schenke ihnen Weisheit von deiner Weisheit, dass sie sich nicht überheben. Lass uns alle unsere Grenzen erkennen und annehmen, auf dass wir klug werden.

Gott, du Quelle aller Weisheit, dir vertrauen wir, dich beten wir an und zu dir beten wir gemeinsam mit den Gebetsworten deines Sohnes

Unser Vater...