Müder Missionar
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

1Und Achab berichtete Isebel alles, was Elija getan hatte und wie er alle Propheten mit dem Schwert umgebracht hatte. 2Da sandte Isebel einen Boten zu Elija und sprach: Die Götter sollen mir antun, was immer sie wollen - morgen um diese Zeit werde ich dich so zurichten, dass du wie einer von ihnen bist. 3Und als er das sah, machte er sich auf und lief um sein Leben. Und er kam nach Beer-Scheba, das zu Juda gehört, und dort ließ er seinen Burschen zurück, 4er selbst aber ging in die Wüste, eine Tagesreise weit. Und als er dort war, setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod, und er sprach: Es ist genug, Herr, nimm nun mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Vorfahren. 5Dann legte er sich hin, und unter einem Ginsterstrauch schlief er ein. Aber plötzlich berührte ihn ein Bote und sprach zu ihm: Steh auf, iss! 6Und als er hinsah, sieh, da waren an seinem Kopfende ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und er aß und trank und legte sich wieder schlafen. 7Der Bote des Herrn aber kam zum zweiten Mal und berührte ihn und sprach: Steh auf, iss, denn der Weg, der vor dir liegt, ist weit. 8Da stand er auf und aß und trank, und durch diese Speise wieder zu Kräften gekommen, ging er vierzig Tage und vierzig Nächte lang bis zum Gottesberg Choreb. 9Und dort kam er zu einer Höhle, und er übernachtete dort. Und sieh, da erging an ihn das Wort des Herrn, und er sprach zu ihm: Was tust du hier, Elija? 10Und er sprach: Ich habe wahrlich geeifert für den Herrn, den Gott der Heerscharen! Denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen, deine Altäre haben sie niedergerissen und deine Propheten haben sie mit dem Schwert umgebracht. Und ich allein bin übrig geblieben, sie aber haben danach getrachtet, mir das Leben zu nehmen. 11Da sprach er: Geh hinaus und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Und sieh - da ging der Herr vorüber. Und vor dem Herrn her kam ein großer und gewaltiger Sturmwind, der Berge zerriss und Felsen zerbrach, in dem Sturmwind aber war der Herr nicht. Und nach dem Sturmwind kam ein Erdbeben, in dem Erdbeben aber war der Herr nicht. 12Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer, in dem Feuer aber war der Herr nicht. Nach dem Feuer aber kam das Flüstern eines sanften Windhauchs. 13Als Elija das hörte, verhüllte er sein Angesicht mit seinem Mantel. Dann ging er hinaus und trat an den Eingang der Höhle. Und sieh, da sprach eine Stimme zu ihm: Was tust du hier, Elija? 14Und er antwortete: Ich habe wahrlich geeifert für den Herrn, den Gott der Heerscharen! Denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen, deine Altäre haben sie niedergerissen, und deine Propheten haben sie mit dem Schwert umgebracht. Und ich allein bin übrig geblieben, sie aber haben danach getrachtet, mir das Leben zu nehmen. 15Und der Herr sprach zu ihm: Geh, kehre zurück auf deinen Weg in die Wüste, nach Damaskus, und geh und salbe Chasael zum König über Aram.

Er war müde, so müde. Müde, nicht nur vom Fliehen, müder auch vom Eifer. Geeifert hatte er, geeifert für den Herrn. Feuer und Flamme war er für den Gott Israels. Eifern, das ist anstrengend. Es ist ein Kampf, ein Wettstreit. Elia ist müde geworden vom Konkurrenzkampf.

Zu dieser Zeit konkurrierten die Götter in Israel um Israel. Der Herr auf der einen Seite und die von der Königin Isebel kräftig favorisierten Baale.

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Elia ist müde. Er hatte kurz zuvor eine perfekte Göttershow abgeliefert. Anders kann man es nicht nennen. Er allein gegen 450 Baalspriester. Vor spektakulärer Kulisse, oben auf dem Berg Karmel. Eine Riesenshow. Lief an Ende leider etwas aus dem Ruder. Aber die Inszenierung war klasse. Er allein gegen 450 Gegner. Und er bestimmte das Setting. Zwei große Holzscheite, einer für die Gegner, einen für ihn. Auf jedem ein Stier. Keiner durfte seinen Scheit anzünden. Das sollte Gott selbst tun. Durch Anrufen des Gottesnamens. Die 450 sollten den Namen Baals anrufen, er würde den Namen des Herrn anrufen. Und dann sieht man, welcher Gott hört.

Das Volk war begeistert. Wettkämpfe sind immer was fürs Volk.

Die Spiele möge beginnen. Elia ließ den anderen den Vortritt. Den ganzen Vormittag liefen sie um den Altar und riefen Baal an. Nach einer Weile rief Elia: Ihr müsst lauter rufen! Euer Gott ist wohl grad sehr beschäftigt. Vielleicht schläft er noch. Die Baalspriester fingen dann noch an, sich zu ritzen. Das sollte ihrer Bitte wohl Nachdruck verleihen. Aber es tat sich nichts.

Am Nachmittag war Elia dran. Er baute einen zerstörten Altar wieder auf mit 12 Steinen für die 12 Stämme, legt Holz drauf und dann den Stier und bewässerte ihn dann noch mit 12 Eimern Wasser. Dann betete Elia zu Gott und erklärte ihm, um was es geht und was auf dem Spiel steht. Nämlich darum, dass das Volk erkennen soll, wer der wahre Gott ist. Da spielt Gott mit und ließ Feuer vom Himmel fallen, so fiel und so dolle, dass auch die Steine Feuer fingen und das viele Wasser im Graben um den Altar herum.

Das war natürlich alles sehr überzeugend. Das Volk wurde glänzend unterhalten und hatte nebenbei auch seine religiöse Erkenntnis. Was will man mehr.

Leider wollte Elia noch mehr. Der Eifer hatte ihn jetzt richtig gepackt. So was geht selten gut aus. Er stachelte das Volk gegen die Baalspriester auf. Sie packten sie. Und Elia schlachtet sie, alle gar.

Das macht müde.

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Seid ihr auch manchmal müde? Vor allem die unter euch, die sich in und für die Kirche engagieren? Ich bin es manchmal. Ich will mich nicht mit Elia vergleichen und euch auch nicht. So doll wie der treiben wir es ja nicht mit unserem Eifer. Aber wir engagieren uns. Wir machen viel. Viel auch fürs Volk. Suchen nach neuen Formen und Formaten, machen hier mit und dort mit. Man muss sich heute schon ganz schön ins Zeug legen, damit ein paar Leute kommen, ein paar mehr als die üblichen. Jubiläen feiern, Stadtteilfeste, Kiezfeste, lange Nacht der Kirchen, lange Nacht der Religionen, kleine Kirchentage und der große Kirchentag. Die Eventkirche. Da kommen schon mehr als normal. Aber es ist auch immer sehr viel Arbeit. Und nicht selten fragt man hinterher: Hat es denn am Ende all die Mühe gelohnt?

Menschen, die in der Kirche arbeiten, gleich ob haupt- oder ehrenamtlich, Menschen, die das tun, weil sie einen Glauben haben, eine Überzeugung, für die sie sich einsetzen, Menschen, ein bisschen wie Elia, sind zunehmend erschöpft. Es ist so viel Arbeit und Mühe und der Erfolg hält sich oft in Grenzen.

Selbst Elia ist müde, obwohl er offensichtlich mehr Erfolg hatte, als wir gewöhnlich haben, sieht man vom Kirchentag ab. Seine Götterwettstreit-Show war ein voller Erfolg. Gott hat mitgespielt und alle haben erkannt, wer Gott in Israel ist.

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Aber Elia ist müde, so müde. Lebensmüde. Er will sterben. Er sitzt unter dem Ginster und sagt: Es ist genug, Herr, nimm nun mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Vorfahren.

Das ist nicht nur Erschöpfung. Das ist noch mehr. Da ist auch eine tiefe Verunsicherung seiner selbst, eine Depression. Ich bin auch nicht besser als meine Vorfahren. Hat Elia Zweifel bekommen? Zweifel an seinem Tun, Zweifel an seinem Eifer? Sollte ihm klargeworden sein, dass er es am Ende vielleicht doch etwas übertrieben hat? Musste denn aus Begeisterung und daraus, dass er für Gott brannte, Eifertum werden? Und musste dann aus Eifertum Fanatismus werden und ein Gewaltexzess?

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Ich gebe zu: Das sind moderne Fragen, das sind nicht die Fragen der Bibel; das sind unsere Fragen an den Bibeltext. Aber deshalb predigen wir ja heute, um unsere Fragen an den Text zu stellen.

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Elias Wunsch zu sterben, wird nicht erfüllt. Aber er erhält eine Antwort. Ein Bote Gottes ist da und sagt: Steh auf und iss! Elementarste Anweisungen an Erschöpfte und Deprimierte: Steh auf und iss! Bevor du redest, bevor du eine Therapie beginnst, musst du aufstehen und was essen. Und dann schlaf nochmal und dann steh nochmal auf und iss wieder. Das Leben wieder lernen im ganz Elementaren. Aufstehen und essen. Anfang der Therapie für depressive Propheten und alle anderen tiefenerschöpften Menschen auch. Und dann geh. 40 Tage und 40 Nächte. So lang musst du gehen, um das Leben wiederzufinden und deine Seele und den Mut. 40 Tage und 40 Nächte. Um zu dir zu finden, dich zu finden und Gott zu finden. Am Berg Gottes.

Elia also kam zum Berg Gottes und übernachtete dort. Ausgeruht hört er am andern Tag Gott. Der fragte ihn: Was machst du hier, Elia?

Ja, das ist wirklich eine gute Frage, vielleicht die entscheidendste Frage von allen. Was machen wir eigentlich, wenn wir Gott aufsuchen? Warum wollen wir Gott treffen?

Elia gibt darauf keine Antwort. Er erzählt, was er in letzter Zeit gemacht hat. Das ist die Antwort. Dies habe ich getan und das, was ich getan habe, hat mich so fertiggemacht, dass ich zu dir muss. Entweder durch Sterben und den Tod oder durch das Leben, aber zu Gott. Ich kann allein nicht mehr leben. Ich habe für dich missioniert; ich habe alle für dich gewonnen, ich habe für dich getötet, ich bin ganz allein. Ich kann nicht mehr.

Es hat ja etwas Berührendes, Tragisches und auch wieder Komisches, dass dieser Prophet, dieser Eiferer und Missionar erst jetzt zu Gott kommt, erst, nachdem er einen so überwältigenden Erfolg errungen hat. Erst danach kamen ihm die Zweifel. Ich habe alle für Gott gewonnen. Vielleicht ist es jetzt doch mal an der Zeit, mit Gott auch zu reden.

Elia beginnt das Gespräch mit einer Beichte. Ich habe für dich geeifert, und jetzt bin ich ganz allein.

Darauf antwortet Gott nicht. Kein Trostwort, kein Gnadenwort, keine Vergebung. Nur eine Handlungsanweisung: Geht hinaus und stelle dich auf den Berg vor mich.

Erst hat Elia mit Gott seine Spielchen gemacht, hat diesen Showkampf auf herrlicher Bergkulisse inszeniert und die Regeln bestimmt. Gott hat mitgespielt. Jetzt macht Gott sein Spiel mit Elia, jetzt bestimmt Gott die Regeln. Jetzt ist es auch eine Show, aber eine, die keiner sieht. Keiner ist dabei, keiner außer Elia und Gott. Elias Show auf dem Karmel war schon großes Theater. Aber jetzt kommt ganz großes Theater. Auf dem Choreb. Leider ohne Publikum. Erst ein gewaltiger Sturm, der Berge zerfetzte. Das ist noch viel beeindruckender als einen triefend nassen Stier zum Brennen zu bringen. Aber Gott war nicht im Sturm. Dann ein Erdbeben. Welche Gewalt ein Erdbeben hat, haben wir jüngst wieder schmerzlich erleben müssen. Aber Gott war nicht im Erdbeben. Dann ein Feuer. Aber Gott war nicht im Feuer.

Dann kam ein leichtes kaum merkliches Säuseln des Windes. Da merkte es Elia. Jetzt ist Gott da!

Demonstrativer als das kann es ja gar nicht sein, liebe Gemeinde. Klarer als so konnte Gott dem Elia gar nicht demonstrieren, was er selbst von dessen Gottesdemonstrationen hält: gar nichts. Gott hatte mitgespielt auf dem Karmel, mit gespielt bei Elias Göttershow. Vielleicht wollte er seinen Propheten nicht bloßstellen. Gott spielt bei manchem Unsinn mit, den wir uns in der Kirche für ihn – oder vielleicht doch nur für uns selber - ausdenken. Aber am Ende gibt es die Lektion: Das ist nicht mein Ding, mein lieber Elia. Ich hab es lieber sanft. Ein sanftes Säuseln. Ohne Großartigkeit, ohne Showeffekte, ohne Bühnenzauber, ohne Gewalt. Ein sanftes Säuseln, ein gutes Wort, ein Bissen Brot.

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Diese Geschichte gibt mir immer wieder zu denken: Vielleicht ist Gott gar kein so großer Freund von all den tollen Veranstaltungen, die wir als Kirche uns so für ihn ausdenken. Und die uns so müde machen. Es scheint, dass er es lieber leise haben will und intimer. Geben wir in der Kirche der leisen Begegnung Raum, nicht dem lauten Event. Erst nach dieser zarten Begegnung mit Gott, die in der einfachen Frage bestand: „Was tust du hier, Elia?“ fand diese Kraft, wieder seinen Weg zu gehen.

Amen.