Ein Sommermärchen?
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Es ist Sommer. Da werden die Geschichten einfacher und die Themen elementarer. Brot und Wasser, statt Rechtfertigung und Heiligung. Die Pläne zur Weltrettung sind im Urlaub, wir müssen uns mal keine Gedanken machen. Eine einfache Geschichte vom Profeten Elia, eine Geschichte von Brot und Wasser und Gastfreundschaft, ein Sommermärchen für laue Sommernächte mit Gästen bei Brot und Wasser und noch ein bisschen Käse und ein bisschen Wein. Worüber reden wir in diesem Sommer, worum drehen sich die Gespräche? Um die erste und die zweite Impfung, um die dritte und die vierte Welle, und ums Klima, um die Hitze und die Dürre hoch im Norden, um die Sturzbäche bei uns, um die Frage, ob es das früher auch schon gab oder ob das alles neu ist und Zeichen einer bevorstehenden Apokalypse mit nie gekannten Hitzewellen und Waldbränden, nie gesehenen Stürmen und Gewittern, mit untergehenden Inseln und abbrechenden Bergen und langen Schlangen von Klimaflüchtlingen bis hintern Horizont. Dann sagt einer: „Ja, das gab es schon immer, vielleicht nicht so massiv.“ Und erzählt:

Und Elija, der Tischbiter aus Tischbe im Gilead, sprach zu Achab: So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, vor dem ich diene: In diesen Jahren wird kein Tau fallen und kein Regen, es sei denn auf meinen Befehl!

2Und das Wort des Herrn erging an ihn: 3Geh fort von hier und wende dich nach Osten. Halte dich verborgen am Bach Kerit, der jenseits des Jordan fließt. 4Und aus dem Bach kannst du trinken, und den Raben habe ich geboten, dich dort zu versorgen. 5Und er ging und handelte nach dem Wort des Herrn. Er ging und blieb am Bach Kerit, der jenseits des Jordan fließt. 6Und die Raben brachten ihm am Morgen Brot und Fleisch und auch am Abend Brot und Fleisch, und aus dem Bach trank er.

Ja, natürlich, das gab es schon, Dürren, das gab es immer wieder, ist natürlich. Immer schon flohen Menschen vor einer Dürre und hofften, dass ihr Gott ihnen gut rät, damit sie die richtige Richtung einschlagen und damit sie als Fremde im unbekannten Land nicht gleich entdeckt und vertrieben werden. Sie wollen nicht auffällig werden, nicht gleich um Brot und Wasser betteln und den Einheimischen zur Last fallen wollen, sie scheuen die Ämter und die Beamten, leben von der Hand in den Mund, von den Brosamen, die vom Tisch der Geladenen übrig bleiben und erst für die nimmersatten Hunde und dann für die sorglosen Vögel unter dem Himmel und dann – am Ende der Nahrungskette - für die Flüchtlinge übrigbleiben. Die Spatzen bringen es ihren hungrigen Spätzchen in die Nester, nur die Raben, diese schlausten unter den Vögeln im Himmel, die bringen Elia, dem Mann Gottes, Brot und Fleisch.

Elia, der Profet, der regierungskritische Blogger, der Influencer eines lebenden Gottes, Flüchtling im eigenen Lande, geflohen vor der Dürre, die nicht nur im Boden ist sondern auch in den Köpfen, nicht nur eine klimatische, auch eine geistige.

Nun sagt und erzählt sich das so leicht: Dürren gab es immer und Flüchtlinge auch und mit Gottes Hilfe und den Raben ging doch alles immer gut. Ein Sommermärchen. Wenn wir solche Geschichten erzählen, um es uns leichter zu machen im heißen Sommer, dann geht es kurz mit Gottes Hilfe und es könnte hier Schluss sein.

Aber hier ist noch nicht Schluss, denn das ist kein leichtes, kurzes Sommermärchen, die Geschichte steht in der Bibel und die Bibel erzählt Geschichten aus dem richtigen Leben, das kein Urlaub ist und keinen Urlaub macht, so wenig die Welt und das Wetter und das aufgeheizte Klima und auch die klugen Raben, die dem Flüchtling Brot und Fleisch besorgen, kommen keineswegs aus dem Märchen in das richtige Leben und die wahre Bibel geflogen, sondern sie gehören zum richtigen Leben dazu, das in Wahrheit nicht leicht ist und sommerlich, sondern dramatisch und ruhelos und ebenso wunderlich und wunderbar.

Elia findet da, wohin er vor der Dürre geflüchtet ist, keine Ruhe. Die Dürre nimmt kein Ende, macht sich breit, er muss wieder fliehen.

7Nach einiger Zeit aber trocknete der Bach aus, denn es fiel kein Regen im Land.

8Da erging an ihn das Wort des Herrn:

9Mach dich auf, geh nach Zarefat, das zu Sidon gehört, und bleibe dort. Sieh, einer Witwe dort habe ich geboten, dich zu versorgen. 10Und als er an den Eingang der Stadt kam, sieh, da sammelte dort eine Witwe Holz. Und er rief ihr zu und sagte: Hole mir doch einen Krug mit etwas Wasser, damit ich trinken kann!

11Und sie ging, um es zu holen, und er rief ihr nach und sagte: Hole mir doch auch einen Bissen Brot. 12Sie aber sagte: So wahr der Herr, dein Gott, lebt, ich habe nichts vorrätig, außer einer Handvoll Mehl im Krug und ein wenig Öl im Krug. Und sieh, ich bin dabei, zwei, drei Stücke Holz zu sammeln; dann werde ich gehen und für mich und für meinen Sohn zubereiten, was noch da ist, und wir werden es essen, dann aber müssen wir sterben.

Wieder glauben wir, ein Märchen zu hören. Eine Witwe, ein Krug mit Wasser, ein Bissen Brot, ein Krug mit Mehl, dann essen wir und dann sterben wir. Alles elementar, kein Denken und kein Fühlen, kein Jammern und kein Jubeln, keine Metaphysik und nichts zwischen den Zeilen. Wasser und Brot, Leben und Tod. So dürr wie das Land, so dürr ist auch die Erzählung.

Ein Wort nur, das wie am Rande steht, beiläufig, eine Interjektion, macht aus dieser dürren Erzählung eine Predigt: Sie aber sagte: So wahr der Herr, dein Gott, lebt.

Es gibt eine Verbindung zwischen dem Flüchtling und der Witwe. Ein Wissen, eine Gewissheit. Der Flüchtling weiß: Ihm wird geholfen werden, und die Witwe weiß, sie wird helfen. Gott lebt: Ein Flüchtling kommt und erhält einen Schluck Wasser und einen Bissen Brot. Selbst, wenn nichts mehr da ist.

Die Witwe wohnt mitten im Libanon an der Küste. Heute heißt der Ort Sarafand, früher Sarepta, Zarpat oder Zarefat.

Libanon ist das Land, das gemessen an seiner Einwohnerzahl weltweit am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Libanon ist immer noch gezeichnet von den Folgen des Bürgerkriegs mit hoher Arbeitslosigkeit und schlechter Infrastruktur. Der Bürgerkrieg in Syrien spülte die Flüchtlinge ins Nachbarland. 89% der syrischen Flüchtlinge leben im Libanon unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Dann kam vor einem Jahr die verheerende Explosion im Hafen von Beirut hinzu.

Es ist kein Märchen. Die Leute im Libanon geben den Flüchtlingen aus Syrien ihr letztes. Sie teilen mit ihnen das, was sie selbst nicht haben.

Und weil das alles bisher kein Märchen war, ist auch das, was jetzt kommt, kein Märchen.

13Da sagte Elija zu ihr: Fürchte dich nicht. Geh, tu, wie du es gesagt hast; doch bereite davon zuerst einen kleinen Brotfladen für mich zu und bringe ihn mir heraus; für dich aber und für deinen Sohn kannst du danach etwas zubereiten. 14Denn so spricht der Herr, der Gott Israels:

Das Mehl im Krug

wird nicht ausgehen,

und der Ölkrug

wird nicht leer werden,

bis zu dem Tag, an dem der Herr

dem Erdboden Regen gibt.

15Da ging sie und handelte nach dem Wort Elijas, und sie hatten zu essen, sie und er und ihr Haus, tagelang.

16Das Mehl im Krug ging nicht aus, und der Ölkrug wurde nicht leer, nach dem Wort des Herrn, das dieser durch Elija gesprochen hatte.

Das ist kein Märchen.

Es ist kein Märchen, dass es an immer mehr Stellen der Erde immer trockener und heißer und dürrer wird und es an anderen sintflutartig regnet.

Es ist kein Märchen, dass die Atmosphäre immer heißer wird und die Elemente den Aufstand proben und du dir nicht mal aussuchen darfst, ob dein Haus vom Feuer verzehrt, vom Wasser weggespült oder vom Erdrutsch verschluckt wird.

Es ist kein Märchen, dass immer mehr Menschen vor allem wegen des Klimawandels fliehen.

Es ist kein Märchen, dass es bald selbst innerhalb Deutschlands Klimaflüchtlinge geben wird.

So wahr der Herr, dein Gott, lebt. Auch das ist kein Märchen. So lange das Menschen zueinander sagen, so lange lebt Gott und so lange leben auch wir. Sie sagen nicht: „So wahr mein Gott lebt“, sondern sie sagen: „So wahr dein Gott lebt!“ Das ist die größte Anerkennung, die wir uns zuteilwerden lassen können. Wenn wir zueinander sagen: „So wahr dein Gott lebt!“

Wer das sagt, gibt einem Geflohenen einen Schluck Wasser, ein Dach überm Kopf und teilt mit ihm zur Not auch das letzte Brot. Wer sagt: „So wahr dein Gott lebt!“, sagt nicht: Ich zuerst!

Dein Gott lebt! Darum sehen wir den anderen, wenn er kommt, und helfen ihm, sein Leben zu retten. Damit er lebt und sein Gott mit ihm.

Dein Gott lebt! Darum ist es kein Märchen, dass wir uns helfen, einer dem anderen, auch wenn wir uns noch so fremd sind.

Dein Gott lebt! Darum ist es kein Märchen, dass es für alle reicht, wenn wir das teilen, was da ist.

Unser aller Gott lebt! Darum werden wir gemeinsam überleben auf diesem schönen Planeten, auf dem das Leben dramatisch ist, aber auch wunderbar, hoch gefährdet, aber auch wundersam gehalten von einem Gott, der lebt und der will, dass auch wir leben.

Amen.

 

Gebet:

Jesus, Brot des Lebens,

teile dich aus!

Zuerst denen, die hungern; ihnen sei das Brot, der Reis, die Hirse, die Milch, und denen, die Durst haben, reiche das Wasser.

Dann denen, die kein Dch mehr überm Kopf haben, weil Fluten das Haus weggerissen haben oder Feuer es verbrannt hat, sei ihr Dach überm Kopf, ihre Hilfe und ihre Zuversicht.

Dann teile dich aus denen, die nach Gerechtigkeit hungern, und denen, die nach Frieden dürsten. Lass sie schmecken, wonach sie verlangen.

Teile dich den hungernden Seelen aus als Liebe, den Verzagten als Hoffnung, den Entmutigten als Glaube.

Jesus, Brot des Lebens, sei du in den Kranken, in den Flüchtenden, in den Einsamen, in den Ängstlichen, in den Traurigen, in den Sterbenden, teile dich ihnen aus und nähre ihren Glauben.

Jesus, wir fordern keine Wunder von dir, aber wisse: Wir haben auch nichts dagegen. Es liegt ja so vieles an uns und nicht an dir. Aber hilf, dass uns das Wunder gelingt, dass alle Menschen genug zu essen haben und Gerechtigkeit in der Welt zu säen, damit Friede wächst, und unser Leben und Arbeiten so umzustellen, dass das Klima nicht noch weiter aus den Fuge gerät.

Dein Wort, Herr, Gott, Schöpfer und Erhalter aller Dinge, sei der Seele täglich Brot. Amen.