Johannes 3, 14-21
Gisela Unruhe

Liebe Gemeinde, 

der Predigttext für den morgigen Sonntag steht im 3. Kapitel des Johannesevangeliums. Bevor wir ihn hören, möchte ich an den Anfang dieses Evangeliums erinnern, ich lese einen Ausschnitt: 

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. (…) Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis. (…) Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. 

Was für eine Vorstellung, dass das Wort sich materialisiert! 

Wir hören die Anklänge an die erste Schöpfungsgeschichte: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war.“ Und so geht es mit der Schöpfung voran: „Gott sprach … und es wurde.“ 

Das Wort Gottes wird Wirklichkeit, das Wort wird Materie, durch Sprache wird die Welt und werden die Menschen geschaffen. Und unterliegen damit allem Irdischen und der Vergänglichkeit. Gott beendet die Schöpfung, bevor er den siebten Tag heiligt, mit dem Resümee: „… und siehe, es war sehr gut.“ Es war sehr gut: Die Vergangenheitsform ist hier sehr angebracht. 

Denn der Schöpfer, um es in einem modernistischen Ausdruck zu sagen, der Schöpfer lässt los. Er verhindert im Weiteren nicht, dass etwas gegen seinen Willen geschieht. Das ist Kinderglaube. Aber er warnt immer wieder vor dem bösen Tun. Es schmerzt ihn. 

Was aus dem Geschenk der Schöpfung wird, im Guten wie im Bösen, liegt nicht mehr in seiner Hand. Man könnte auch sagen: Geschenkt ist geschenkt. 

Wir kennen das alle: Wir schenken jemandem etwas, das wir „sehr gut“ befinden, und können nur noch zusehen, was mit dem Geschenk gemacht wird. Es liegt nun ganz in der Hand des Beschenkten, wie er damit umgeht. Mal freuen wir uns darüber, mal sind wir enttäuscht oder ärgerlich oder traurig. 

Kehren wir zurück zu Johannes: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ 

Schon in diesem Satz klingt das Ende Jesu mit. Gottes Sohn ist Mensch geworden und unterliegt so wie alle Menschen nicht göttlichen, sondern irdischen Bedingungen. 

Hören wir den Predigttext aus dem 3. Kapitel des Johannesevangeliums, die Verse 14 – 21; Jesus befindet sich hier in einem Gespräch mit dem Schriftgelehrten Nikodemus, welcher mit ihm grundsätzliche Glaubensfragen erörtert; Jesus erläutert Nikodemus: 

Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben habe. Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde gehe, sondern ewiges Leben habe. Denn Gott hat den Sohn nicht in die Welt gesandt, um die Welt zu richten, sondern dass die Welt durch ihn gerettet würde. 

Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet, Wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes. Das aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, aber die Menschen die Finsternis mehr liebten als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Denn jeder, der Schlechtes tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht offenbar gemacht werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit seine Werke offenbar gemacht werden, dass sie in Gott getan sind. 

Die zentralen Worte sind Liebe, Licht und Rettung gegenüber Finsternis und dem Bösen. In die Liebe Gottes und in das Licht ruft uns Jesus, die Liebe und das Licht, die bereits jetzt in ihm allgegenwärtig sind. 

Aber wir fragen uns, warum rettet Gott diesen seinen Sohn nicht vor dem schändlichen Tod? 

Das ist schwer zu akzeptieren. Aber wir sehen auch hier wie in vielen anderen Erzählungen der Bibel, dass Gott das Böse, Schmerzen und Leid nicht verhindert. Er warnt, vermittelt zum Beispiel durch Mose und die Propheten Hinweise zur Änderung des Verhaltens und leidet er mit, wenn sie ungehört bleiben. Und er sendet als starke Botschaft seinen Sohn

Wir führen uns erneut vor Augen: Gott hat durch das Wort Wirklichkeit geschaffen, Wirklichkeit, die selbst-wirksam ist, ihre eigenen Bedingungen hat. Und denen unterliegt auch sein Sohn. 

Den Bedingungen, unter denen der Gerechte leidet; unter denen diejenigen, die wahr sprechen, ins Gefängnis gesperrt werden; unter denen die, die für Benachteiligte Partei ergreifen, entlassen werden. 

Es sind diese Bedingungen, die Gott nicht gleichgültig sind. So sollte das Geschenk der Schöpfung nicht genutzt werden! 

Es sind diese Bedingungen der Welt, für die sich die Erschaffenen entscheiden, die in die Finsternis führen. Die dürfen auch uns nicht gleichgültig sein. 

Ich denke an einen Ausschnitt aus dem Buch „Nacht“ des Shoa Überlebenden Elie Wiesel, in dem er über die Zeit im KZ Auschwitz schreibt. 

Er schildert, wie zwei Männer und ein Knabe im KZ erhängt werden und der Knabe einen langsamen, qualvollen Tod stirbt. Und er schreibt: 

„Ich hörte hinter mir fragen: 
‚Wo ist Gott jetzt?‘ 
Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: 
‚Wo er ist? Dort – dort hängt er, am Galgen …‘“ 

Wir heben die Augen und sehen den Gemarterten leiden – und leiden mit ihm mit. Der, der am Kreuz hängt, ist aus der bedingungslosen Liebe Gottes gesandt. Der Liebe Gottes, die vorausgeht und durch nichts zu erwerben ist. Mit Gott Jesus hat in die Liebe gerufen. Dieser Liebe können wir vertrauen. Diese Liebe ruft uns immer und immer ins Licht gegen die Dunkelheit des Bösen, so dass wir dem mutig entgegentreten können. 

Dieser Liebe zu trauen schafft Vertrauen in uns selbst. Ja, das Vertrauen in das Wort Gottes, der mitleidet, stärkt uns im Widerstand gegen das Böse. Gottes liebendes Wort stärkt uns gegen die Worte all derer, die uns Angst einflößen wollen, die andere diskriminieren, die uns einreden wollen, Hilfesuchende seien eine Gefahr. 

So können wir nicht gleichgültig danebenstehen, wenn Menschen in binationaler Beziehung bei der Eheschließung Sorge haben, den „nicht deutschen“ Namen anzunehmen, weil sie Nachteile bei der 2 Wohnungssuche befürchten. Wir können nicht gleichgültig danebenstehen, wenn jeder afghanische Mitbürger des Terrorismus verdächtigt wird. Jeder und jedem von uns werden Beispiele aus dem Alltag und aus der großpolitischen Lage einfallen … 

Was folgt daraus? Gottes liebendes Wort schützt nicht vor Ungerechtigkeit. Aber es stärkt darin, nicht gleichgültig danebenzustehen, sondern ihr zu widerstehen und dagegen aufzustehen. 

Die Zusage der Liebe Gottes ist präsent, das ewige Leben ereignet sich nicht irgendwann, sondern, wie es Jesus im Gespräch mit Nikodemus sagt: Die Teilhabe an Gottes Liebe gilt im Hier und Jetzt. 

Und das soll uns Auftrag sein, oder – mit Worten von Elie Wiesel gesagt: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ 

Amen 

Fürbitten Herr, unser Gott! Wir danken dir, dass dein lebendiges Wort in diese Welt gekommen ist. Erhalte uns, dass wir seine Hörer und Hörerinnen bleiben und täglich neu werden. 

Wir wünschten uns so oft, dass du direkt eingreifst in die Welt! 

Dass du die Ohren der Verstockten öffnest, so dass sie bereit werden für das Gespräch für ein liebendes Miteinander. 

Dass du die Verschleppten vor den Mördern schützt. 
Dass du die Überfallenen vor den Kriegsherren rettest. 
Dass du die Verfolgten vor den Gewalttätern rettest. 

Lass dein Wort die Reichen und Mächtigen erreichen, damit sie von ihrer Gier nach Gut und Macht befreit werden; damit ihr Geist und ihr Herz frei werde für die Menschen, die unter ihnen leiden. 

Herr, unser Gott! 
Stehe den Kranken und Sterbenden bei, dass sie in ihrem Leid dein Licht sehen und Trost finden in deiner Liebe. 

Wir bringen in Stille vor dich, was uns belastet und zweifeln lässt. 
Wir beten mit den Worten, die Jesus uns gelehrt hat: 

Unser Vater …