Am liebsten würde ich mich dazulegen, in den Stall zu dem Kind, neben Maria, neben Josef. Am liebsten würde ich mich dazulegen und mit den beiden das Kind anhimmeln. Der Ochse dahinten im Dunkeln würde mich nicht stören, der Esel in der Ecke auch nicht, das Stroh nicht und der Dreck auch nicht. Am liebsten würde ich mich dazulegen und alles vergessen. Wenn so ein neugeborenes Kind vor dir liegt, vergisst du doch alles andere. Das Wunder neuen Lebens und weg ist der ganze Mist dieses Jahres, die schrecklichen Kriege, die verrückten Präsidenten, die zerstrittenen Regierungen und jetzt schon wieder so ein furchtbarer Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt, ach, ich könnte schreien. Aber ich will mich nicht aufregen, es ist Weihnachten!
Am liebsten würde ich mich in den Stall legen und anhimmeln und vergessen.
Doch es geht nicht. Mir geht da eine Sache nicht aus dem Kopf. Es gibt da diese alte Prophezeiung von Jesaja, die hindert mich am Vergessen:
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Und dann: Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.
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Das ist einer der alten Weihnachtstexte. Aufgeschrieben, Jahrhunderte bevor Jesus zur Welt kam. Ein Text vor Christus. Aber er reißt einen Erwartungshorizont auf, der mir ganz aktuell vorkommt. Erwartet wird die Geburt eines Kindes, eines Sohnes, also eines Mannes, der, wenn er erwachsen ist, herrscht, regiert, also König oder Präsident ist. An seine Regierung sind große Erwartungen geknüpft. Er soll wunderbar gute Ideen haben, er soll heldenhaft seinen Willen durchsetzen und tatkräftig sein, er soll eine Art Vaterfigur sein, also nicht nur ein geschickter und machtvoller Politiker, sondern auch ein Mensch, dem man sich blind anvertrauen kann und der einem auch sonst alle Sorgen abnimmt, und er soll den Frieden wiederherstellen und endgültig sichern.
Das ist der Erwartungshorizont – damals wie heute. Die, die diesen Erwartungshorizont heute bedienen, indem sie versprechen: Ich mach das alles für euch, ich mache alles wieder gut, die nennt man Populisten.
Und jetzt, liebe Gemeinde, geht mir eine Frage nicht mehr aus dem Kopf, seit ich mir diese alte Prophetenverheißung nochmal angeguckt habe, die zu den klassischen biblischen Weihnachtstexten gehört. Ich habe mir lange überlegt, ob ich diese Frage, die mich jetzt daran hindert, mich in den Stall neben Maria und Josef zu legen und das Gotteskind anzuhimmeln, ob ich diese Frage heute Abend wirklich stellen soll. Es ist eine komische Frage, eine Frage, die sich im Grunde für eine ernsthafte Predigt verbietet, schon grad an Weihnachten. Eine Frage, die einige ärgern, andere verwundern wird, aber ich krieg diese Frage nicht aus dem Kopf. Sie lautet: Was eigentlich ist der Unterschied zwischen Jesus Christus und Donald Trump?
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Ja, wirklich eine komische Frage, weil doch nichts klarer scheint als das. Der eine wurde in ärmsten Verhältnissen in einem Stall in Bethlehem geboren, der andere vermutlich in einer Privatklinik für Superreiche in New York und so weiter, die Unterschiede ließen sich durch zwei ganze Leben durchdeklinieren.
Aber da ist diese alte Prophezeiung, der der Welt einen Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst, verheißt. Natürlich sollen wir dabei ganz gläubig und bewundernd an Jesus Christus denken, aber ich denke – ganz ungläubig und verwundert - an Donald Trump.
Für die, die ihn gewählt haben – und das sind nicht wenige – ist auch er ein Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Trump hat oft wundersame Ideen und ist ein Held, keiner hat je Größeres in der Geschichte Amerikas bewirkt – sagt er – und alles, was die anderen falsch gemacht haben, wird er wieder richtigmachen – sagt er. Er ist ein Ewig-Vater, sorgt für seine Familie und sein Land - vielleicht mehr für seine Familie. Und das mit dem Frieden, das haben wir alle gehört, noch bevor er überhaupt Präsident ist, in einem Tag. Also innerhalb der nächsten 27 Tage wird der Frieden in der Ukraine ausbrechen. Man muss ihm nur glauben.
Die alte Weissagung des Jesaja, die wir an Weihnachten hören, weil sie uns verraten will, wessen Geburt wir da eigentlich feiern, diese Weissagung kann auch als Steilvorlage für Populisten aller Art gelesen werden, und das irritiert mich.
Darum nochmal auf den Punkt hin gefragt: Was ist der Unterschied zwischen Jesus Christus, dessen Geburt wir heute feiern, weil er der Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst ist, und Donald Trump, der wunderlich rät, sich als großen Helden feiert, der ebenso paternalistisch wie patriarchal ist und sich als Friedensdealer inszeniert?
Wir suchen nach einer Antwort. Aber zunächst unterbrechen wir ein bisschen Bach. [Musik]
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Ach, ich möchte mich jetzt wirklich lieber zu dem Kind in den Stall legen und es anhimmeln, wenn ich diese wunderbare Musik höre, statt mir das Hirn zu zermartern, was der Unterschied zwischen Jesus Christus und Donald Trump ist. Aber nun ist die Frage gestellt und will beantwortet werden und ich habe das Gefühl, wenn wir eine gute Antwort gefunden haben, werden wir dem Geheimnis der Weihnacht ein wenig nähergekommen sein.
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Also: wir haben zwei Bewerbungen für den Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst: Jesus Christus und Donald Trump. Wie unterscheiden sie sich?
Beide haben ziemlich viele Anhänger gesammelt. Man sagt, Donald Trump vor allem deshalb, weil er anders ist als andere Politiker. Er sagt z.B. sehr offen und ungeschützt, was er gerade denkt. Das ist scheinbar für viele wichtiger als das, was er denkt. Milei in Argentinien, der Präsident mit der Kettensäge, ist auch anders. Das ist ein Kennzeichen der Populisten: Sie sind anders. Jesus war auch anders. Ohne Zweifel, aber anders anders.
Anders als Trump sprach Jesus nicht unentwegt von sich selber. Jesus war kein Angeber, Lügner und vermutlich auch kein narzisstischer Egomane. Zwar gibt es im Johannesevangelium ein paar steile Worte Jesu über sich selbst, wie etwa: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, aber solche Worte sind vermutlich nicht authentisch, sondern bereits theologische Deutungen des Johannes.
Donald Trump geht es darum, sich selber groß und alle anderen klein zu machen, Jesus machte sich selber klein und die Kleinen groß. Jesus wollte keine Macht, er lehnte sie ab, sah sich scheitern und verlieren und fügte sich in sein Schicksal. Trump will Macht, will immer gewinnen und selbst, wenn er verliert, gibt er es nicht zu.
Trump sagt: „America first!“, Jesus sagte: Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten werden die Ersten sein. Und: Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. (Mt 23,12) Und: So sei es unter euch: Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein (Mk 10,43)
Trump will Zäune bauen und ausgrenzen. Zum Standartrepertoire aller Populisten gehört die Forderung nach Ausweisung aller Menschen, die angeblich nicht hierhergehörten.
Jesus hingegen kommt aus einer Familie mit politischer Flüchtlingserfahrung. Kurz nach seiner Geburt musste seine Familie nach Ägypten fliehen, weil der Despot Herodes Angst vor Konkurrenz hatte, Angst vor eben jenem geweissagten Sohn, der lauten Jubel weckt und das drückende Joch zerbricht. Deshalb ließ Herodes alle neugeborenen Jungen töten. Davor flohen Josef und seine Frau mit dem Kind nach Ägypten. Jesus Christus, ein Mann mit Migrationshintergrund. Vor diesem Hintergrund sagte er: Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. (Lk 13,29)
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Der wichtigste Unterschied aber ist: Jesus Christus ist auferstanden von den Toten. Gott hat ihn auferweckt und zu sich genommen. Dadurch hat Gott sich mit diesem Menschen solidarisiert, ja mehr noch, Gott hat sich mit diesem Menschen identifiziert. Gott sagt: Ich war und ich bin mit ihm, ja mehr noch, ich war und ich bin in ihm.
Gott hat sich für Jesus entschieden und nicht für Trump. Also für den Antihelden. Der Starke ist ein Schwacher. Der Herrscher ist ein Diener. In ihm sollen wir erkennen, wie Gott herrscht.
Indem wir Weihnachten feiern, sagen wir: Ja, Jesus Christus ist der Wunder-Rat, der Gott-Held, der Ewig-Vater, der Friede-Fürst, der, und nicht Trump oder Musk oder Milei oder wie die Trumps sonst noch heißen. Indem wir Weihnachten feiern, sagen wir: So soll die Regierung sein, so soll Herrschaft sein. Nicht mit Macht, sondern mit Recht und Gerechtigkeit.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Eine Herrschaft durch Recht und Gerechtigkeit. Nicht durch die Macht des Stärkeren, nicht durch Gewalt. Herrschaftsprinzipien, die uns Gott durch Jesus Christus vorgelebt hat. Und zu denen wir Ja sagen, wenn wir Weihnachten feiern.
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Weil Gott in seiner Regierung auf Macht und Gewalt verzichtet und sich anderer Herrschaftsmethoden bedient, um Menschen zu erreichen und zu überzeugen, – z.B. Weihnachten feiern – darum geht das so langsam mit der Gerechtigkeit, mit der Menschlichkeit und mit dem Frieden. Das Reich Gottes wächst unglaublich langsam, aber es wächst. Glaubt mir!
Und irgendwann ist es da. Dann werden die Stiefel, die mit Gedröhn daher gehen und die durch Blut geschleiften Mäntel verbrannt sein und Recht und Gerechtigkeit wird herrschen überall und es wird Friede sein und es wird keiner mehr fragen müssen, ob Donald Trump ein Heiland sei, weil wir ja schon einen haben. Irgendwann wird das so sein.
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So, liebe Gemeinde, jetzt ist diese blöde Frage endlich beantwortet. Jetzt können wir uns neben Maria und Josef in den Stall legen und das Kind anhimmeln, bis die Hirten kommen und das Wort ausbreiten, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und wir werden uns immer noch wundern über die Rede, die die Hirten zu uns gesagt hatten und die Worte im Herzen bewegen und Gott preisen und loben für alles, was wir gehört und gesehen haben… wie immer an Weihnachten … bis irgendwann, rigendwann…. Amen.
Fürbitten
Gott im Himmel, Gott als Mensch auf Erden!
In jener Nacht hast du deinen Weg unter uns Menschen begonnen. Du bist in Jesus Christus Mensch geworden, hast gelehrt und gemahnt, hast geheilt und versöhnt, hast geliebt und die Liebe gelebt, hast unsere Schuld auf dich genommen und uns vom ewigen Tod erlöst. Das wollen wir dir nicht vergessen.
Und nun lass dich bitten für uns und alle Welt:
Sei ein Wunderrat allen Ratlosen und Verzweifelten, allen Gewissenlosen und Verführten.
Sei ein Gott-Held den Zaghaften und den Ängstlichen, allen Sinnsuchenden und Ewigzweiflern.
Sei Ewig-Vater und Immer-Mutter den Beziehungsgehemmten, den Alleinerziehenden, den vaterlosen Kindern und den Sterbenden.
Sei ein Friedefürst denen in der Ukraine, denen im Gazastreifen und in Israel, denen im Libanon und in Syrien. Sei uns allen Friedefürst, allen Menschen guten Willens.
Gott im Himmel, jetzt hat uns dieser Tage schon wieder Schrecken, Angst, Wut und Trauer erfasst durch den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg.
Tröste alle, die dort einen Menschen verloren haben. Nimm ihre Verzweiflung auf und stell ihnen Menschen zur Seite, die sie halten können. Heile die vielen Verletzten in den Krankenhäusern.
Segne die Arbeit der Sicherheitskräfte, der Polizisten, der Feuerwehrleute, der Rettungsdienste in diesen Tagen, gib ihnen Kraft und Wachsamkeit.
Uns alle aber bewahre vor weiteren Anschlägen, vor Terror und Wahnsinn.
Geleite uns nach Hause, komm mit deinem Geist dahin, wo wir jetzt hingehen, sei unser Gast, heute Nacht und morgen und bleib, wenn das Fest vorüber ist. Bleib bei uns mit deiner Gnade, bleib in uns mit deinem Frieden. Dann sind wir gehalten und getröstet und wollen singen, wie wir heute singen: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede.
Gott im Himmel, an diesem Abend beten wir zu dir wie an allen Abenden und du hörst heute wie in allen Nächten, wenn wir dich anrufen mit den Worten des Menschensohns und Friedefürst. Amen.