Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

So spricht der Herr:
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.
Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Liebe Gemeinde, wir betrachten heute ein Wort aus dem Bulletin des Palastes. Es lautet:
„Die gesamte Familie ist sehr traurig zu erfahren, wie herausfordernd die letzten Jahre für Harry und Meghan waren.“ Wir Theologen sind es gewohnt, Sätze, die wir auslegen, in der Originalsprache zu lesen: “The whole family is saddened to learn the full extent of how challenging the last few years have been for Harry and Meghan.”
Aus diesem Satz kann man mit exegetischer Sorgfalt einiges herauslesen. Das Subjekt ist die Familie. Sie halten zusammen, keiner zeigt sich individuell, keiner zeigt Gesicht. Es klingt, als bedauerten sie Harry und Meghan. Es soll auch so klingen. Schaut man aber genau hin, bezieht sich das Traurigsein der Familie gar nicht auf das Unglück der beiden, sondern darauf, dass sie davon erfahren hat. Das Problem für den Palast ist also nicht, dass die Kinder unglücklich waren. Das Problem besteht für den Palast darin, dass er von diesem Unglück erfahren hat. Das Problem ist das Interview.
Die Briten lieben die Queen und die Deutschen auch. So alt und tapfer. So erhaben und unberührbar. So klein und immer mit Hut. Und immer auf der Hut, besorgt um das Ansehen der Krone, die man selten sieht und die doch immer im Raum ist. Es ist die Familie, die die Krone trägt und damit sie das weiter tun kann, muss sie vieles ertragen. Die Fassade darf nicht brö-ckeln, darum gilt ein eherner Grundsatz: Never complain, never explain! Man erklärt sich nicht und man beklagt sich nicht.
Aus diesem Prinzip hat Netflix eine ganze Serie über Königin Elisabeth gemacht, The Crown, die auch in Deutschland überaus beliebt war. Was immer es in der Familie innerhalb der Palastmauern an menschlichen Regungen gibt, sie sollen nicht nach außen gelangen. Gefühle, darf man haben, man darf sie nur nicht zeigen. Die Krone lebt von der Illusion einer heilen Welt.
Mit dieser Strategie ist die britische Krone sehr erfolgreich. Sie bewahrt ihr den Respekt der Öffentlichkeit. Die kleinen Betriebsunfälle, die Glamourfrauen mit Eigenleben, Diana und Meghan, hinterlassen Kratzer an der Palastmauer, aber bringen das Gebäude nie ins Wanken.
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Es gibt nicht wenige, die meinen, Gott müsse sein wie die Queen: unberührbar und ungerührt. Und die Kirche wie der Palast. Die katholische Kirche versteht sich Palast für Gott. Sie repräsentiert Gottes Heiligkeit. Jeder weiß, dass in der katholischen Kirche Menschen arbeiten, die menschlich fühlen. Aber das darf man nicht zeigen. Never complain, never explain.
Die katholische Kirche und die britische Monarchie sind die erfolgreichsten Institutionen, wenn es darum geht, zu überleben, den Wandel der Zeiten zu überstehen.
Doch wer ist die Queen wirklich? Und wer ist Gott wirklich? Wer und wie die Queen wirklich ist, werden wir vielleicht nie erfahren. Wer aber und wie Gott ist, das erfahren wir. Er hat es veröffentlicht. Er hat sein Herz geöffnet. Nicht in diplomatischen Sätzen eines Palastbulletins, sondern in Worten von geradezu irritierender Menschlichkeit.
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Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.
Ein offenherziges Bekenntnis. Das Eingeständnis eines Versagens. Scham und Reue. Das Versprechen, es besser zu machen. Und die Erinnerung daran, dass er schon mal die Kontrolle verloren hat. Es ist nicht das erste Mal. Es ist ihm schon mal passiert, diese Unbeherrschtheit, dieser Wutausbruch, damals, als er so angefressen war durch die Menschen, die er doch so gut gemacht hatte und die sich keinen Deut um seine Empfehlungen scherten, denn das Dichten und Trachten ihres Herzens war böse von Jugend auf (Gen 6,5; 8,21). Es ist wirklich lange her, aber das hatte ihn damals so in Rage versetzten, dass er sein ganzes Werk zertrümmern wollte, sie alle vernichten wollte, denn da war keiner, der Gutes tut, auch nicht einer (Ps 14,3). Doch, einen fand er, Noah, der durfte schwimmen und überleben. Und dem versprach er ewige Treue. Und jetzt wieder.
Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
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Viele meinen, man dürfe sich Gott nicht so menschlich vorstellen, weil dann allzu offensichtlich wird, dass er eine Projektion sein könnte. Seine Gottheit lasse sich nur wahren, wenn er möglichst abstrakt gedacht wird.
Die Queen meint auch, es schade der Würde der Krone, wenn sie, die Queen, oder ihre Kinder sich allzu menschlich präsentieren.
Gott hat offenbar keine Probleme damit, sich menschlich zu zeigen. So zeigte er sich immer schon, nicht erst seit Christus. Immer noch spukt bei manchen die Vorstellung herum, der Gott des Alten Testaments sei ein zorniger und düsterer Rachegott und habe erst mit Jesus Christus mütterliche oder väterliche Züge angenommen. Wer das meinte, hatte sich offensichtlich ein Bild vom Gott des Alten Testaments gemacht, ohne ins Alte Testament zu blicken.
Von Anfang an zeigte sich der Gott Israels und der Vater Jesu Christi als eine Mutter, als ein Vater, die ihre Kinder liebt, und weil sie sie liebt, nicht gleichgültig bleibt, wenn diese Kinder Mist bauen. Doch kein Ärger kann diese Liebe je auslöschen.
Das Bulletin des Palasts als Reaktion auf das Interview, in dem sich Meghan und Harry so erklärten und beklagten, schließt mit den Worten: “Harry, Meghan and Archie will always be much-loved family members.”
Gottes Bekenntnis schließt mit den Worten:
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.
Welchen Liebesbekenntnissen kann man mehr trauen? Den diplomatischen Palastworten britische Unfehlbarkeit oder den offenherzigen Himmelsworten eines menschlichen Gottes?
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.