Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Seit einem Jahr leben wir nun schon in und mit der Pandemie. Sie will nicht enden. Sie bringt nicht nur ständig neue Virenmutanten hervor, sie bringt auch ständig neue Wörter hervor. Lockdown und Inzidenz, Mutant und Teststrategie, Coronaleugner und Querdenker. Das neuste Wort, frisch geboren, ein paar Tage alt, ist „mütend“, Vater wütend, Mutter müde. Mü-tend. Neue Wörter werden dann schnell groß und machen Karriere, wenn sie was treffen. Dies trifft. Viele sind müde und viele sind wütend. Müde, weil es so lange dauert, und wütend, weil nichts zu funktionieren scheint und vieles besser sein könnte. Diese blöden Rankings machen einen ja auch noch künstlich wütend: Wo steht Deutschland im Ländervergleich bei den Impfzahlen, Testzahlen, Todeszahlen, Infektionszahlen… Weil da ja immer die Erwartung ist, Deutschland müsse immer ganz oben stehen, bzw. bei den schlechten Zahlen ganz unten.
Mütend. Müde und wütend.
Im Predigttext für heute steht der Satz:
Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist. (Hebr 12,1)
Vor einem Jahr war ich zu einem Spaziergang bereit. Keiner hat mir gesagt, dass es ein Marathonlauf wird. Ein Lauf, der ein Kampf geworden ist. Kein Kampf, bei dem man Mut braucht, sondern einer, bei dem Geduld alles ist. Ein Kampf, der das Gegenteil von „action“ ist. Ein Kampf mit der Passivität, ein Kampf mit dem Nichts-tun-können, ein Kampf mit der Unge-duld.
Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist.
Ein Kampf mit einem unsichtbaren Feind, doch die Waffen werden nicht geliefert.
Noch ein Satz aus dem Predigttext für heute:
Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. (Hebr 11,1)
Man sieht nichts. Man sieht nicht dieses Virus, man sieht nicht die Hoffnung. Und die Sprit-zen sind auch nicht in Sicht. Doch, manche scheinen am Ziel. Michael Ehrmann z.B. wurde vorgestern geimpft. Er ist Lehrer. Und doch braucht auch er noch Geduld. Am Ziel ist er erst wirklich, wenn alle anderen auch geimpft sind oder fast alle.
Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist.
Damit wir durchhalten bei diesem Marathonlauf, in diesem Kampf gegen die Ungeduld, damit wir den Glauben nicht verlieren – die feste Zuversicht dessen, was man hofft, gibt uns der Hebräerbrief ein Stärkungsmittel für den Glauben. Glaubensdoping.
Jetzt verlassen wir die Welt des Sports und wenden uns der Kunst zu. Der Hebräerbrief führt uns in ein biblisches Museum, die alte Pinakothek der Glaubensahnen und Hoffnungshelden. Wir sehen viele ehrwürdige Portraits und bei jedem Bild hängt ein Messingschild, da steht vor dem Namen des Glaubenshelden immer ein „Durch den Glauben“, das ganze elfte Kapitel des Hebräerbriefes lang, durch den Glauben: Abel und Henoch, Noah und Abraham, auch Sara, immerhin, hier hängt auch eine Frau, Dann Isaak, Jakob, Josef und Mose. Dann Rahab, noch eine Frau. (11,4-31)
Und dann kommen noch ein paar. Aber da scheint unserem Sporttrainer und Kunstführer tat-sächlich die Puste auszugehen, denn er schriebt: Und was soll ich noch mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon und Barak und Simson und Jeftah und David und Samuel und den Propheten. (Hebr 11,32)
Es gibt gute und es gibt schlechte Museumsführer. Die schlechten erzählen einem kaum mehr, als das, was auf dem Messingschild steht. Und mir scheint, dass der Hebräerbrief an dieser Stelle kein besonders guter Führer ist. Und dann hast du die Wahl: Entweder, du hakst das ab, gehst raus und nimmst deinen Lauf durch die Pandemie wieder auf ohne feste Zuversicht und weiter mit Ungeduld oder du nimmst dir Zeit, bleibst noch in der Galerie und machst die Betrachtung der Glaubenshelden zu einem Bildungserlebnis. Man muss schon etwas genauer hinsehen, als es der Hebräerbrief erlaubt.
Da ist z.B. das Heldenbild des Noah, wo auf dem Messingschild des Hebräerbriefes steht: Durch den Glauben hat Noah Gott geehrt und die Arche gebaut zur Rettung seines Hauses, als er ein göttliches Wort empfing über das, was man noch nicht sah. (11,7)
Wie mag er sich aber gefühlt haben, als die Wasser stiegen und stiegen, als die Tiere ertranken und die Menschen dann auch? Und als Gott ihm sagte, er und seine Familie sollen als einzige überleben – hat ihn froh gemacht? Kann ihn diese Botschaft erleichtert haben?
Und Abraham. Da steht auf dem Messingschild zu lesen: Durch den Glauben hat Abraham den Isaak dargebracht, als er versucht wurde, und gab den einzigen Sohn dahin, als er schon die Verheißungen empfangen hatte. (11,17)
Da fragen sich alle schon seit tausenden von Jahren: Was ist denn das für ein Glaube? Kann dieser Glaube wirklich ein Vorbild und eine Hilfe sein? Und wie mag Abraham sich gefühlt haben bei und mit solch einem Glauben. Er muss gewusst haben, dass es gut ausgeht. Anders kann und will ich mir das nicht denken. Eine schier unglaubliche Hoffnung. Übermenschlich. Aber nie und nimmer ein gutes Gefühl.
Und bei Sarah steht geschrieben: Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte. (11,11)
Aber wie viele Jahre der immer wieder enttäuschten Hoffnung sie zuvor durchlitten hat, das steht hier nicht. Und dass sie erstmal Gott die Treue hielt, der so lange seine Verheißungen nicht zu erfüllen gedachte.
Jedes einzelne dieser Bilder kannst du dir betrachten. Je länger du das tust, desto deutlicher siehst du: Da ging nichts glatt auf durch den Glauben. Da war jedes Leben ein Marathon. Auch bei Mose und David, und natürlich auch bei Jesus. Ein Leben voller Zweifel und Anfechtung, tausendmal die Frage, ob Gott es noch gut mit ihnen meint, ob er noch dabei ist oder sich nicht längst vom Acker gemacht hat und ob du durchhältst oder gleich zusammenbrechen musst.
Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist.
Leben, laufen, mütend sein, weiterlaufen, geduldig bleiben, weiterlaufen, glauben.
Alle sind sie weitergelaufen. Durch den Glauben. Ihr Lebenslauf war sehr unterschiedlich. Aber sie sind weitergelaufen, bis zum Schluss. Sie haben nicht alle das verheißende Ziel erreicht. Aber sie hatten es vor Augen. Glauben.
Auf halben Weg durch seine Glaubensgalerie hält der Hebräerbrief und Museumsführer kurz inne und bekennt: Diese alle sind gestorben im Glauben und haben die Verheißungen nicht ergriffen, sondern sie nur von ferne gesehen und gegrüßt und haben bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind. (11,13)
Wir laufen unsern Lebensmarathon. Oft müde, manchmal wütend, aber geduldig. Denn wir werden nach Hause kommen, nach Hause zu Gott. Durch den Glauben.
Mehr lässt sich heute nicht sagen. Aber genau betrachtet ist das schon ziemlich viel.
Amen.