Predigt über das Glück
Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser

Reden wir vom Glück, liebe Gemeinde! Das Glück, das viele suchen, und andere nicht. Heißt, biblisch vom Glück reden, also in einer Predigt vom Glück reden, vom Himmelreich reden? Ich weiß nicht, ob das dasselbe ist. Manchmal scheint es mir so. Heute scheint es mir so. 

Jesus erzählte viel vom Himmelreich. Es hat gar keinen Sinn, zu erklären, was das denn sei, das Himmelreich. Jesus hat es nie erklärt. Aber er hat viele kleine Geschichten davon erzählt. Die Gleichnisse. Zwei ganz kleine von diesen vielen Himmelreichgeschichten, und noch zwei sehr ähnliche stehen heute auf dem Predigtplan. Wenn man es doch wagen will, auf den Begriff zu bringen, was Jesus nie auf einen Begriff gebracht hat, auf den Begriff zu bringen, was das Himmelreich sei, dann würde ich heute sagen: das Glück.

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Auf der Suche nach dem Glück

Die eine der beiden Geschichten fängt so an:

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Händler, der schöne Perlen suchte.

Manche Menschen sind ihr Leben lang auf der Suche. Sie suchen die schönste Perle. Es gibt viele schöne Perlen. Man könnte damit zufrieden sein. Sie aber suchen die schönste Perle von allen. 

Einer streunt Abend für Abend durch die Bars der Stadt auf der Suche nach der schönsten Frau. Eine kennt alle Schuhgeschäfte, weil sie die schönsten Schuhe sucht. Einer sucht die beste Anlagerendite, eine die schönste Urlaubsinsel. Einer bereist die Strände der Ozeane auf der Suche nach der schönsten Welle zum Surfen. Eine hält es in keiner Arbeitsstelle lange aus, denn sie sucht den besten Job. Einer sucht sein Traumhaus, eine andere den Duft ihres Lebens. Eine sucht die schönste Kirche für ihre Hochzeit, ein anderer sucht die schönste Grabstelle für seine Frau. Eltern suchen ein Lebenszeichen ihres vermissten Kindes, und eine junge Frau sucht ihre leiblichen Eltern. 

Ein Perlenhändler sucht die schönste Perle. Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Händler, der schöne Perlen suchte.

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Nicht auf der Suche

Die andere der beiden Geschichten fängt so an:

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der im Acker vergraben war; den fand einer.

Manche Menschen sind ihr Leben lang auf der Suche. Andere suchen nicht. Sie haben es aufgegeben. Man findet doch nie, was man sucht. Besser man sucht erst gar nicht. Sie haben sich in ihrem Leben eingerichtet, es ist ein Leben ohne Suche. Das geht auch. Und gibt es vermutlich sehr häufig. Sie stehen auf und trinken ihren Kaffee ohne die Hoffnung eines neuen Tages, sie lesen die Zeitung ohne den Glauben an das Gute, sie essen ihr Mittagessen ohne Dankbarkeit, und am Abend dämmern sie vorm Fernseher weg. Sie haben verlernt zu glauben, sie haben verlernt zu hoffen, sie haben verlernt zu lieben. Deshalb wissen sie nicht mehr, was sie sagen sollen, wenn einer fragt, egal zu was. 

Sie suchen nichts mehr. Darum gehen sie auch nicht am Sonntag in die Kirche. Vielleicht gehen sie am Sonntag in den Wald. Auch dort suchen sie nichts, keine Pilze, keine Kühle, keine Ruhe. 

 

„Ich ging im Walde so für mich hin

Und nichts zu suchen, das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich ein Blümchen stehn

Wie Sterne leuchtend wie Äuglein schön.“ (Goethe)

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„Gefunden“.

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der im Acker vergraben war; den fand einer.

Nicht nur die, die suchen, finden ihre schönste Perle. Auch die, die nichts mehr suchen, finden manchmal einen Schatz. So gnädig ist der Himmel. 

Ein Schatz im Acker, eine Perle vor Augen, ein Blümchen im Walde. Margarita übrigens heißen die Perlen auf Griechisch. Margarita, wie die Blümchen. 

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Gefunden

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der im Acker vergraben war; den fand einer und vergrub ihn wieder. Und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker.

Weiter: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Händler, der schöne Perlen suchte. Als er aber eine besonders kostbare Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie. (Mt 13,44-46)

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Das Himmelreich fängt damit an, dass wir einen Schatz finden, die schönste Perle, ob wir danach suchen oder nicht. Das Himmelreich beginnt mit dem Finden. Gott macht sich nicht abhängig von unserem Suchen. 

Aber dann, wenn wir ihn gefunden haben, den Schatz, die Perle, dann werden wir alles verkaufen, was wir haben, um ihn zu besitzen. Das ist das Verbindende der beiden kurzen Gleichnisse: Sie verkauften alles, was sie hatten, nachdem sie das Kostbare gefunden hatten. 

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Man darf jetzt keine falschen Schlüsse ziehen! Man darf die Sache nicht umkehren. Jesus sagt nicht: Verkaufe alles, was du hast und du wirst einen Schatz finden. Diese Glücksrezepte gibt es ja auch: Ohne Reichtum, ohne Besitz bist du freier, sorgenloser und glücklicher. Wer viel hat, will immer mehr haben und das Immer-mehr-haben-wollen macht einen krank. Ja, aber so ein Leben ohne Besitz und Geld muss man sich auch leisten können. Im Kloster geht das oder im Kibbuz. Die aber, die wirklich arm sind, sind nicht glücklich, sondern haben viele Sorgen. Der Rat: Werde arm und du wirst glücklich sein, ist Quatsch oder gar zynisch und kommt meist von Leuten, die genug haben und sich den Verzicht leisten können. Aber damit wären die beiden Gleichnisse auch gründlich missverstanden. Denn erst nachdem sie einen Schatz im Acker und die schönste Perle gefunden haben, verkaufen sie alle, was sie haben. Sie sind ja erst ganz reich geworden, bevor sie alles verkaufen. Sie sind schon glücklich geworden, bevor sie alles verkaufen. Sie haben etwas gefunden, das sie sehr glücklich gemacht hat. Ob sie danach gesucht haben oder nicht – sie haben das Glück gefunden. 

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Aber nun, was ist das Glück? Was ist der Schatz im Acker, was ist die Perle? 

Ich gehe verschiedene Antwortmöglichkeiten durch.

Der Schatz ist Jesus. Jesus erzählt eigentlich von sich. Mit ihm ist das Himmelreich, das Reich Gottes bereits angebrochen. Wer ihm begegnet, wer ihm nachfolgt, kann alles verkaufen, kann alle irdischen Bindungen loslassen, und wird frei und glücklich. 

Vielleicht war das so, damals, als Jesus lebte, mit seinen Jüngern, und später in den Klöstern und Ordensgemeinschaften. Aber für uns hier und heute scheint mir die Personifizierung des Himmelreiches auf Jesus nicht überzeugend. Sie klingt sehr fromm, evangelikal und damit irgendwie aufgesetzt. In den alten Liedern kann ich so was singen. „Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide, Jesu, meine Zier“. Aber als Antwort auf die Frage nach meinem Schatz erschiene mir das wenig authentisch. Ich weiß nicht, ob mich solch eine Antwort überzeugen würde. Ist es ein echt empfundenes Glück oder ein in frommer Pose eingeredetes Glück? 

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Was also ist das Glück? Was ist der Schatz im Acker, was ist die Perle? Ich suche nach einer anderen Antwort. 

Gestern las ich in einer Pressemitteilung, dass nach einer neusten Studie aus Großbritannien junge Erwachsene lange nicht mehr so glücklich sind wie in den Jahrzehnten davor. Früher galten die Heranwachsenden bis etwa Mitte 20 als die glücklichste Altersgruppe. Danach sank die Glückskurve und stieg erst wieder ab 60. Doch die jungen Erwachsenen werden immer unglücklicher – weltweit. Ein Glücksforscher sprach davon, dass die bekannten und oft beschworenen globalen Krisen (Klimakrise, Kriege, Demokratieverlust) dazu führen, dass die Welt bei den jungen Erwachsenen zunehmend als feindselig erlebt werde. 

Glück wäre dann, die Welt nicht mehr als feindselig zu erleben, sondern als Ort der Hoffnung und der Zukunft. 

Das Himmelreich ist mitten unter uns, sagt Jesus. Es ist längst angebrochen. Gott ist da. Wirksam. Der Schatz liegt im Acker, die schöne Perle gibt es. Und dann tauchen sie auf, lassen sich entdecken, plötzlich und unvermutet. 

Die Menschen, die fröhlich sind und freundlich. Die Politiker, die ehrlich sind und empathisch. Die Freunde, die treu sind und verlässlich. 

Die Wahrheit ist stärker als die Lüge. Das Leben ist stärker als der Tod. Denn Gott herrscht. Seine Herrschaft ist sanft, unterschwellig, ein Schatz im Acker, eine noch zu entdeckende Perle. Deshalb ist seine Herrschaft nie eine Meldung in der Tagesschau. Aber wer Ohren hat zu hören, wer Augen hat zu sehen, wird den Schatz finden. Die Welt ist nicht feindselig, sondern der Ort, an dem es Vertrauen gibt und Hoffnung und Liebe. 

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Auf der Suche nach dem Glück. Das Glück heißt Himmelreich. Ein herrliches Wort. Der Himmel reicht schon auf die Erde. Er ist schon angekommen, er ist unter uns. In den alten Liedern hat das Himmelreich noch einen anderen Namen: Jesus Christus, meine Perle, mein Schatz. Und mit den alten Liedern kann ich es gut singen, dass Jesus mein Schatz ist und meine Perle. Weil er uns daran erinnert, dass die Welt, wie Gott sie sich vorstellt, schon anfängt, sich zu verwirklichen. Man muss nur die Augen und die Ohren dafür bekommen. 

2. Ei meine Perl, du werte Kron,

wahr’ Gottes und Marien Sohn,

ein hochgeborner König!

Mein Herz heißt dich ein Himmelsblum;

dein süßes Evangelium

ist lauter Milch und Honig.

Ei mein Blümlein,

Hosianna! Himmlisch Manna, das wir essen,

deiner kann ich nicht vergessen.

5. Herr Gott Vater, mein starker Held,

du hast mich ewig vor der Welt

in deinem Sohn geliebet.

Dein Sohn hat mich ihm selbst vertraut,

er ist mein Schatz, ich seine Braut,

drum mich auch nichts betrübet.

Eia, eia, himmlisch Leben wird er geben mir dort oben;

ewig soll mein Herz ihn loben. (EG 70,2+5)

Amen.